Felix Krämer - 4. Juli 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Heimat-Kunst

Emil Nolde


Können und sollen die Werke eines expliziten Antisemiten und überzeugten Nationalsozialisten Heimat repräsentieren?

Als Angela Merkel 2008 nach ihrer Urlaubslektüre gefragt wurde, nannte sie: Emil Noldes „Mein Leben“. Kurz zuvor war eine Neuauflage der Autobiografie veröffentlicht worden. In einem Artikel für „Die Zeit“ bemerkte damals Florian Illies, was für einen „geistigen Sprengstof“ sie da im Reisegepäck hatte. „Juden haben wenig Seele und Schöpfergabe. Juden sind andere Menschen, als wir es sind“, war Nolde überzeugt. In der Neuausgabe fehlen diese Sätze – sie waren kommentarlos gestrichen worden. Dabei ist seine Autobiografie bei Weitem nicht die einzige Quelle, in der der Künstler Auskunft über sein krudes Weltbild gibt. Immer wieder finden sich auch in Briefen und Veröffentlichungen von ihm antisemitische und rassistische Aussagen.

 

Nolde gehörte zu denen, die die sogenannte Machtergreifung der Nationalsozialisten euphorisch begrüßten. Bis zum Kriegsende blieb er ein überzeugter Nationalsozialist und schreckte auch nicht davor zurück, seinen Kollegen Max Pechstein als angeblichen Juden bei den Behörden zu denunzieren. Nolde gab die Hoffnung nicht auf, offizieller Staatskünstler zu werden – der Arno Breker der Malerei. Er verstand sich selbst als Teil der „Bewegung“, obwohl Adolf Hitler und einige weitere NS-Größen seine Kunst vehement ablehnten. Anderen in der Partei galt seine Malerei als typisch deutsch und fest verbunden mit der Heimat. So ließ Joseph Goebbels auf Anregung Albert Speers seine Dienstwohnung mit Aquarellen des Künstlers ausstaffieren. Auch Hermann Göring schätzte Noldes Arbeiten.

 

Umso unverständlicher war es für Nolde, dass seine Werke gemeinsam mit denen anderer Expressionisten 1937 in der Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“ in München gezeigt wurden, hatte er sich doch als „fast einzigster [sic] deutscher Künstler im offenen Kampf gegen die Überfremdung der deutschen Kunst“ eingesetzt, wie er in einem Brief an Goebbels schrieb. Etwa zeitgleich wurden 1.112 seiner Bilder aus den Sammlungen deutscher Museen entfernt, mehr als von jedem anderen Künstler. Hitler hatte sich innerhalb der NSDAP mit seinem rückwärtsgewandten Kunstgeschmack letztendlich durchgesetzt.

 

Trotz dieser Situation liefen die Geschäfte für Nolde gut. 1940 betrugen seine Einnahmen über 70.000 Mark. Und selbst nachdem er ein Jahr später aus der „Reichskunstkammer“ ausgeschlossen wurde – was faktisch einem Berufsverbot gleichkam – malte und verkaufte er seine Werke weiterhin. Als der Krieg vorbei war, stilisierte sich Nolde zum Opfer von Verfolgung und Überwachung, was er – anders als viele andere Künstler – nie wirklich war. Es gab auch nie das von Siegfried Lenz in der „Deutschstunde“ popularisierte Malverbot.

 

Aus der Ablehnung der offiziellen NS-Kulturpolitik zu folgern, dass Noldes expressive Kunst mit deren Weltanschauung nichts zu tun hätte, sie gleichsam seinen Widerstand dokumentierte, ist schlichtweg absurd. Noldes Werke reflektieren ästhetisch und ideologisch seine Überzeugungen. Auch ein Blumenstilleben ist nicht frei von Ideologie. Einige seiner Werke tragen sogar auch ganz vordergründig der nationalsozialistischen Begeisterung für eine vermeintlich germanisch-nordische Kultur Rechnung. Dabei fällt auf, dass Nolde zwischen 1933 und 1945 – anders als vorher – weder religiöse noch exotische Motive malte. Er konzentrierte sich vor allem auf heimische Landschaften, Pflanzen, Porträts und mythologische Sujets.

 

Zu den in dieser Zeit entstandenen Werken gehört auch das Gemälde „Brecher“ von 1936, das – gemeinsam mit einem Blumenbild – seit Jahren im Büro der Bundeskanzlerin hängt. Mit ihrer Begeisterung für den Maler ist sie nicht allein. Schon Helmut Schmidt schätze die Kunst des Expressionisten Nolde, von dem er privat Arbeiten besaß. Noldes Fähigkeiten als Maler sind unstrittig – er ging mit Farbe um wie kein zweiter und hat einen festen Platz in der Kunstgeschichte. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir seine Arbeiten nicht bloß als faszinierend gut gemalte Bilder betrachten, sondern die historischen Zusammenhänge mitdenken. Ob die Werke eines überzeugten Nazis jedoch dazu geeignet sind, die Bundesrepublik und unsere heutige Vorstellung von Heimat zu repräsentieren, ist fraglich.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2019.


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