Urs Johnen - 30. Januar 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Frauen in Kultur & Medien

Eine Chance für alle?


Gleichstellung von Frauen und Männern im Jazz

Eine verrauchte Kellerbar, irgendwo in einem angesagten Bezirk einer nächtlichen Großstadt. Der Laden ist voll, die Stimmung am Kochen. Auf der beengten Bühne liefern sich gealterte und zugleich jung gebliebene Männer ein mitreißendes Duell auf ihren Instrumenten. Dann setzt die herausgeputzte Sängerin mit verführerischem Charme zum letzten Chorus an.

 

Klischeehafte Szenarien und überkommene Rollenzuschreibungen wie diese bestimmen auch heute noch oftmals das Bild des Genres Jazz. Damit sich das ändert, hat sich eine Arbeitsgruppe der Union Deutscher Jazzmusiker (UDJ) dem Thema „Geschlechtergerechtigkeit im Jazz“ angenommen und mit über 450 unterzeichnenden Institutionen und Personen die „Gemeinsame Erklärung zur Gleichstellung von Frauen im Jazz“ veröffentlicht.

 

Die Lage ist komplex. Im Grunde besteht Einigkeit darüber, dass der Jazz, wie keine andere Musik- oder sonstige Kunstrichtung, von Offenheit, Toleranz und Integration geprägt ist. Ist er also nicht prädestiniert für eine selbstverständliche Gleichstellung – nicht nur von Frauen und Männern, sondern von allen unterschiedlichen Gruppen und Individuen?

 

Die Realität sieht anders aus. Die deutsche und internationale Jazzszene ist nach wie vor maßgeblich von Männern geprägt. In Deutschland machen Frauen laut der Jazzstudie 2016 nur ein Fünftel der Jazzmusikerinnen und -musiker aus. Bei der Verteilung auf die verschiedenen Instrumentengruppen fällt zudem auf, dass nur zwölf Prozent der Instrumentalistinnen und Instrumentalisten Frauen sind, dafür aber 86 Prozent der Sängerinnen und Sänger.

 

Obwohl in der Jazzstudie immerhin keine Unterschiede bei der Bezahlung von Frauen und Männern festgestellt werden, klemmt es an allen Ecken und Enden: So gibt es derzeit beispielsweise nur eine einzige Instrumental-Professorin für Jazz an einer deutschen Musikhochschule, und das auch erst seit 2018. In den vier Bigbands des öffentlich-rechtlichen Rundfunks spielen aktuell nur zwei Instrumentalistinnen. Beispiele wie diese deuten darauf hin, dass eine Gleichstellung von Männern und Frauen im Jazz noch längst nicht gegeben ist.

 

Die Forderung nach einer Verbesserung der Situation wird in den letzten Jahren immer lauter aus der Szene heraus artikuliert. Seit 2016 drehten sich mehrere Panels der UDJ um das Thema Gleichstellung. Den Auftakt machte eine Podiumsdiskussion auf dem UDJ-Jazzforum 2016 in Köln, gefolgt von einer Gesprächsrunde auf der internationalen Branchenfachmesse jazzahead! 2017 in Bremen und einem Panel mit Kolleginnen aus europäischen Nachbarländern auf der jazzahead! 2018. Diese und viele weitere Diskussionen führten schließlich dazu, dass auf dem 24. UDJ-Jazzforum in Hannover im Oktober 2018 die „Gemeinsame Erklärung“ einer breiten Jazz-Allianz und die konkreten Maßnahmen der UDJ vorgestellt und diskutiert werden konnten.

 

Klar ist, dass die Weichen auch im Jazz bereits früh gestellt werden. Während an den Musikschulen insgesamt sogar mehr Mädchen als Jungen Unterricht nehmen, finden bereits weniger Mädchen und Frauen ihren Weg in die ersten Bands und Ensembles. In der Folge und mit dem steigenden Grad der weiteren Professionalisierung sinkt der Anteil der Frauen unter den Musikstudierenden, Band-Leaderinnen und -leadern, Dozentinnen und Dozenten oder Professorinnen und Professoren im Jazzbereich immer weiter.

 

In der Gemeinsamen Erklärung werden konkrete Maßnahmen genannt, die dem entgegenwirken sollen. Diese Maßnahmen betreffen zum einen den Abbau von strukturellen Barrieren, unter denen viele professionelle Jazzmusikerinnen leiden. So hat sich die UDJ zur Beachtung von Geschlechterparität in Gremien und Jurys unter UDJ-Beteiligung verpflichtet und ein „Vertrauenskolleginnen“-Programm aufgesetzt, das jungen Musikerinnen in allen Lebenslagen Zugang zum Rat erfahrener Kolleginnen ermöglichen soll.

 

Zum anderen müssen Rollenvorbilder gestärkt werden, die dem Nachwuchs zeigen, dass die zu Beginn des Textes skizzierten Klischees Schnee von gestern sind. Die UDJ hat deshalb unter anderem beschlossen, mit dem im zweijährigen Turnus vergebenen Albert-Mangelsdorff-Preis, dem Deutschen Jazzpreis, ab sofort Frauen und Männer im festen Wechsel auszuzeichnen.

 

Mehr Chancen für Frauen sind eine gesellschaftliche Chance für alle, sowohl in Bezug auf die künstlerische Diversität als auch auf die Verwirklichung individueller Lebensmodelle. Dass der Weg in eine Zukunft, in der Gleichstellung von Frauen und Männern Realität ist, an manchen Stellen auch individuelle Zugeständnisse erfordert, zeigt sich anhand lebhafter Diskussionen um die Maßnahmen und Forderungen. Eine Befragung der über 1.000 UDJ-Mitglieder hat jedoch gezeigt, dass auch unter den Jazzmusikern die Mehrheit bereit ist, vereinzelte persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen, wenn dies die Gleichberechtigung im Jazz fördert.

 

Problemfelder bei der Gleichstellung müssen benannt und Diskriminierungen im Jazz aufgedeckt werden. Mit Unterstützung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien sowie Kofinanzierung durch die Länder Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wird die UDJ die Jazzstudie 2016 unter geschlechterspezifischen Aspekten nachauswerten und weitere Maßnahmen, politische Forderungen und Modellprojekte entwickeln.

 

In der „Gemeinsamen Erklärung zur Gleichstellung von Frauen im Jazz“ werden weitere wichtige Handlungsfelder deutlich. Nach gemeinsamer Überzeugung der Unterzeichnenden fördert geschlechtergerechte Sprache die Überwindung von stereotypen Rollenbildern. Eine geschlechterbewusste Unterrichtspädagogik in der musikalischen Bildung kann den Grundstein für die spätere Gleichstellung legen.

 

Zu den gemeinsamen Forderungen gehören auch mehr öffentliche Förderprogramme für Frauen und Mädchen im Jazz sowie die Sicherstellung einer angemessenen Beteiligung von Frauen bei der Vergabe öffentlicher Mittel. Nur wenn Frauen entscheidend mitgestalten, kann Chancengleichheit im Jazz erreicht werden. Um die Gleichstellung von Männern und Frauen zu erreichen, werden deshalb dort, wo es nötig und sinnvoll erscheint, Quotenregelungen gefordert.

 

Zu guter Letzt soll auch eine ausgewogene mediale Darstellung dazu beitragen, dass schon bald Frauen und Männer gleichberechtigt auf und hinter den Bühnen arbeiten und wahrgenommen werden können – ganz egal, ob in der verrauchten Kellerbar oder im schillernden Konzertsaal.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 01-02/2019.


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