Helmut Blumbach - 26. November 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Auswärtige Kultur- & Bildungspolitik (AKBP)

Kenia im Jahr 2017


Von Risiken und Nebenwirkungen der Modernisierung

Wenn Kenia wählt, erregt das weltweit Aufmerksamkeit. In Erinnerung geblieben sind die Unruhen von 2007, als ein strittiges Wahlergebnis zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen verschiedenen Volksgruppen mit über 1.000 Todesopfern führte. Aber diese traumatische Erfahrung ist nicht der einzige Grund, warum die Welt auch anlässlich der Wahlen vom 8. August wieder nach Kenia blickte: Das Land ist ein Laboratorium der Modernisierung, mit allen ihren Errungenschaften, Zumutungen und Widersprüchen: Wolkenkratzer neben Slums, Wirtschaftsboom neben Arbeitslosigkeit, junge Bevölkerung und ein veraltetes, aus allen Nähten platzendes Bildungssystem: Eine Versuchsanordnung mit Relevanz für den ganzen, im Umbruch befindlichen Kontinent.

 

So waren diese Wahlen einerseits modern und die internationalen Beobachter entsprechend beeindruckt: Der gut organisierte Urnengang in 40.000 Wahllokalen, der Datenabgleich in einem elektronischen Wählerverzeichnis, die zeitnah online gestellten „vorläufigen“ Ergebnisse aus den Wahlbezirken, die dann bald in die Kritik gerieten. Andererseits ist die Disposition einer großen Mehrheit der Wähler und Gewählten, wie seit Jahrzehnten, vormodern tribalistisch: Es ging nicht um politische Programme, sondern um die Verteilung von Macht, Ressourcen und Chancen zwischen den Ethnien. Die Präsidentschaftskandidaten, Amtsinhaber Uhuru Kenyatta als Kikuyu und Oppositionsführer Raila Odinga als Luo, stehen für die Rivalität der beiden größten Volksgruppen des Landes.

 

Das offizielle Wahlergebnis (54 Prozent der Stimmen für Kenyatta, 45 Prozent für Odinga) wurde von den Verlierern nicht anerkannt: Die Computer der Wahlkommission seien manipuliert worden. Nun muss das Oberste Gericht entscheiden, ob die Vorwürfe gerechtfertigt sind.

 

Anhaltendes Wirtschaftswachstum, überforderte Universitäten

 

Für Kenias boomende Wirtschaft ist diese ewig gestrige Politik, die eine Metropole wie Nairobi, aus Angst vor „Post Election Violence“, tagelang lahmlegte, lediglich ein Produktivitätshindernis. Investoren stören demokratische Defizite wenig, solange das Wirtschaftswachstum nicht gebremst wird. Dieses ist in Kenia seit mehreren Jahren beständig hoch. Auch für 2016 errechnet der African Economic Outlook für das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts sechs Prozent. Ein durchschnittliches Pro-Kopf-Einkommen von 1.300 US-Dollar bescherte dem Land gar den Aufstieg in die Gruppe der „lower middle income countries“. Dieser Wert sagt allerdings nichts über die Einkommensverteilung aus. Noch immer lebt fast die Hälfte der Kenianer unterhalb der Armutsgrenze. An ihnen geht das Wachstum bisher vorbei.

 

Teilhabe am Fortschritt, so die allgemeine Überzeugung, gibt es nur mit guter Bildung. Nur ein Studium führt zu besser bezahlten Jobs und gesellschaftlichem Aufstieg. Kenianische Familien tun alles, um ihren Kindern den Weg dorthin zu ebnen. Verbesserte Zugangschancen und demographischer Faktor führen zum stetigen Anstieg der Zahl der Schulabsolventen, was einen erheblichen Nachfragedruck an den Universitäten schafft. Die Konsequenz: Rapides Wachstum als das hervorstechende Merkmal des Hochschulsystems. Allein in Kenia verdreifachte sich in 20 Jahren die Zahl der staatlichen Universitäten. Im vergangenen Oktober dann ein überraschender politischer Schwenk: Präsident Kenyatta verhängt einen Stopp für den weiteren Ausbau und fordert stattdessen die Konsolidierung der bestehenden Hochschulen – das Eingeständnis, dass Ostafrikas produktivste Volkswirtschaft sich mit ihren 30 staatlichen Universitäten finanziell übernommen hat. Eine jahrelange Politik, die auf immer neue Hochschulen setzte, ohne diese finanziell und personell angemessen auszustatten, hat ein gravierendes Qualitätsproblem geschaffen.

 

Paradigmenwechsel in der Bildungspolitik

 

Angesichts der überfälligen Reformen nicht nur der Hochschulen, sondern des gesamten Bildungssystems ist es spannend zu verfolgen, wie in Kenia erstmals eine „moderne“ Bildungspolitik betrieben wird: Nicht jeder qualifizierte Sekundarschulabschluss, so die Erkenntnis, muss an die Universität führen, wenn eine bisher nicht vorhandene, hochwertige berufliche Bildung ebenfalls Karrierechancen eröffnet. Die Aufwertung technischer Kollegs hat begonnen. Auch die Universitäten müssen stärker nachfrageorientiert ausbilden. Nicht jeder kann und sollte Anwalt, Arzt, Journalist oder „CEO“ werden. Ingenieure, Sozialarbeiter, Start-up Unternehmer und eine entsprechende praxisnahe Hochschulausbildung sind vorrangig, wenn eine Industrie- oder Wissensgesellschaft auf breiterer Basis entstehen soll.

 

Kenias Bildungspolitiker blicken vielfach nach Deutschland: Die weithin anerkannte Qualität der deutschen technischen Ausbildungen, im berufsbildenden wie im (Fach-) Hochschulbereich, wird als Referenzmodell für die Reform des eigenen Bildungssystems gesehen. Hier bieten sich auch aus deutscher Sicht interessante Perspektiven der Zusammenarbeit – bis hin zu dem vom deutschen Auswärtigen Amt, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und der kenianischen Regierung verfolgten Plan, mit dem Know-how deutscher Fachhochschulen eine deutsch-ostafrikanische „University of Applied Sciences“ in Kenia aufzubauen.

 

Gewiss ist aber auch: Das Umsteuern erfordert zusätzliche Ressourcen – und dies betrifft berufliche Bildung ebenso wie die Hochschulen. Eine arbeitsmarktgängige, praxisnahe Ausbildung hat ihren Preis: Sie benötigt qualifizierte und motivierte Lehrende, moderne technische Ausstattung und funktionstüchtige, gut gemanagte Institutionen. Dies liegt in staatlicher Verantwortung. Die neue Regierung, wer immer sie am Ende stellen wird, hat viel zu tun. Die Unterstützung durch langjährige Partner wie den DAAD ist dabei weiterhin hoch willkommen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2017.


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