Olaf Zimmermann - 29. April 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Auswärtige Kultur- & Bildungspolitik (AKBP)

Innen und Außen – ein Spannungsfeld?


Zivilgesellschaftliche Akteure in den Blick nehmen

Im Mittelpunkt von Wilhelm Raabes Roman „Stopfkuchen. Eine See- und Mordgeschichte“, erschienen 1891, stehen zwei Figuren: Der Ich-Erzähler Eduard, der zuerst als Schiffsarzt zahlreiche Abenteuer erlebte und nun am „Oranje-Fluss“ in Südafrika lebt, und Heinrich Schaumann, genannt Stopfkuchen, der schon als Kind gehänselt wurde, sein Studium abbrach, um dann als Verwalter in seinem Heimatort zu arbeiten. Schaumann brachte es zu bescheidenem Wohlstand und widmete sich seinem Hobby der Paläontologie. Auf der einen Seite also der weltläufige und weitgereiste Eduard und auf der anderen Seite Heinrich, dessen geografischer Radius denkbar klein ist. Im Laufe des nach wie vor lesenswerten Romans stellt sich heraus, dass nicht der weltläufige Eduard der wahre Freigeist ist, sondern der zu Hause gebliebene Heinrich. Heinrich war es, der einen Mord aufklärte und Gerüchten entgegentrat. Er ist im Roman der wirklich unangepasste und eigenständige Charakter.

 

Was hat dies mit Kulturinnen- und -außenpolitik zu tun? Meines Erachtens sehr viel, da es auch in diesem Roman um Reisesehnsucht, den vermeintlich frischen Blick von außen auf die Daheimgebliebenen geht und am Ende die Frage, wer tatsächlich einen freien Blick hat, ganz anders als erwartet, beantwortet wird.

 

Kulturlandschaft in Deutschland

 

Zunächst einmal haben alle im Inland arbeitenden Organisationen und Institutionen einen Vorteil: Sie sind vor Ort, sie sind sichtbar, es wird über sie berichtet, sie können – wenn nicht gerade Corona ist – besucht werden, sie sind im Diskurs mit dem Publikum vor Ort und nicht zuletzt laden sie zur Mitwirkung oder auch Unterstützung ein. Der weitaus größte Teil von Kultureinrichtungen, Kulturvereinen, aber auch von Künstlerinnen und Künstlern richtet sich an das Publikum vor Ort. Sie sichern die Nahversorgung mit Kunst und Kultur. Hier gehen die Menschen hin, um Medien auszuleihen, um in Chören zu singen oder Orchestern zu spielen, um Vorträge über die unmittelbare Umgebung zu hören, um Theater zu spielen oder Stücke zu sehen und vieles andere mehr. Diese lokale oder regionale Orientierung bedeutet keineswegs altbacken oder hinterwäldlerisch zu sein. Im Gegenteil, sie setzt an dem an, was die Menschen vor Ort bewegt. Erfolgreich ist nur, wessen Augen offen sind, wer die diverse Zusammensetzung des Publikums im Blick hat und auf aktuelle Fragen Antworten gibt.

 

Das trifft gleichermaßen auf große bundesweit oder sogar international bekannte Einrichtungen und Institutionen. Sie müssen ihr Publikum bzw. ihre Mitgliedschaft im Blick haben. Gerade sie greifen internationale Diskussionen auf und sind weniger im Lokalen verwurzelt.

 

Kulturinnenpolitik

 

Kulturinnenpolitik heißt zum einen Kulturfinanzierung. Hier sind die Gemeinden die wichtigsten Player. Sie tragen mit 44 Prozent den größten Teil der Kulturfinanzierung, die Länder steuern 38 Prozent bei und der Bund 17 Prozent. Der Kulturetat des Bundes ist in den letzten Jahren erfreulicherweise stetig gewachsen, er macht aber dennoch nach wie vor den kleinsten Teil der öffentlichen Kulturfinanzierung aus.

 

Zum anderen heißt Kulturinnenpolitik die Gestaltung der Rahmenbedingungen. Nicht umsonst ist die kulturpolitische Bedeutung der Bundeskulturpolitik in der Corona-Pandemie so besonders deutlich geworden. Es geht darum, wie Künstlerinnen und Künstler sozial abgesichert sind, welche Veränderungsbedarfe es gibt und ob der Abgabesatz zur Künstlersozialkasse für die Auftraggeber im Rahmen bleibt. Es wird darum gerungen, das Urheberrecht so zu gestalten, dass das Urheberpersönlichkeitsrecht gewahrt bleibt und Künstler sowie Unternehmen einen wirtschaftlichen Ertrag aus der Verwertung künstlerischer Leistungen ziehen können. Es geht um wirtschaftspolitische Fragen, um steuerpolitische und so weiter.

 

Kulturinnenpolitik des Bundes ist neben der Förderung von Projekten oder Institutionen von bundesweiter Relevanz vor allem Gesetzgebungspolitik, sei es federführend bei der Beauftragten für Kultur und Medien wie z. B. beim Kulturgutschutzgesetz oder mitberatend bei allen anderen den Kultur- und Medienbereich berührenden gesetzgeberischen Maßnahmen.

 

Die Länder konzentrieren sich in ihrer Kulturinnenpolitik vor allem auf die Kulturförderung. Bei Gesetzen handelt es sich zumeist um Spezialgesetze, die einzelne Einrichtungen betreffen wie z. B. Musikschulgesetze oder Bibliotheksgesetze.

Akteure der Auswärtigen Kulturpolitik

 

Die Akteure der Auswärtigen Kulturpolitik haben ebenfalls einen großen Vorteil: Sie stehen für das Weitläufige, für den Kontakt in die Welt, die Sehnsucht in die Ferne und den Austausch mit Fremden. Und das alles noch abgesichert, mit dem Rückfahrtticket in der Tasche. Gegenüber den Kultureinrichtungen, Vereinen, Künstlern, Projekten usw. im Inland haben sie aber auch einen sehr großen Nachteil: Sie sind zumeist nicht sichtbar. Das gilt insbesondere für jene, die im Ausland arbeiten. Für den Kulturnutzer im Inland war es vollkommen irrelevant, als die Deutsche Welle ihr Hörfunkprogramm in unterschiedlichen Landessprachen ausgedünnt hat und die Kurzwelle abgeschaltet wurde. Ob das Fernsehprogramm der Deutschen Welle in Australien in Englisch oder in Deutsch zu sehen ist, interessiert hierzulande nur Eingeweihte. Die Sprachkurse des Goethe-Instituts in Nowosibirks, die Bibliotheksarbeit in Rio de Janeiro oder die Ausstellungen in Nairobi, was hat dies mit dem „normalen“ Kulturnutzer zu tun: in der Regel nichts.

 

Andere sehr wertvolle Vorhaben wie z. B. der Deutsch-Russische Museumsdialog der Kulturstiftung der Länder richten sich vor allem an ein Fachpublikum. Der internationale Jugendaustausch etwa im Rahmen des Deutsch-Französischen oder des Deutsch-Polnischen Jugendwerks sind stärker jugendpolitische Instrumente und weniger Teil der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik – auch wenn das Auswärtige Amt mit „kulturweit“ einen wichtigen Freiwilligendienst für junge Menschen unterstützt oder das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit Ähnliches mit „weltwärts“ verfolgt.

 

Die Verbindung von Kulturinnen- und -außenpolitik ist daher sehr oft zuallererst das Interesse von Akteuren der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik, denn so können sie im Inland wirken und werden sichtbar.

 

Vielfalt der Akteure

 

Die Kulturinnen- und -außenpolitik verbindet die Vielfalt der Akteure. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie sind nicht nur selbst Mitspieler und Anbieter von Kultur bzw. Kulturaustausch im In- und Ausland, einige bündeln auch die Anliegen ihrer Mitglieder und vertreten diese gegenüber Politik und Verwaltung.

 

Zahlreiche deutsche Kulturfachverbände, aber auch Gewerkschaften, Arbeitgeberorganisationen oder Wirtschaftsverbände sind Mitglied in europäischen oder internationalen Zusammenschlüssen. Sie tragen auf diese Weise zum kulturellen Austausch bei, geben Erfahrungen aus Deutschland in das Ausland weiter und bringen Best Practice aus anderen Ländern mit. So wurde die Debatte zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 in Deutschland insbesondere vom Deutschen Bibliotheksverband vorangetrieben, der über seinen internationalen Verband, IFLA, unmittelbar an der Erarbeitung der UN-Agenda 2030 beteiligt war.

 

Zivilgesellschaftliche Akteure vor Ort sind es auch, die den Austausch mit Vereinen und Organisationen europa- und weltweit pflegen. Gerade diese lokal verankerten Initiativen, sei es ein Kirchenchor oder eine Stadtteilinitiative, schaffen Verbindungen, die, wenn sie gelingen, sich durch Tragfestigkeit auszeichnen. Sie sind aber eher selten im Blick, wenn über die stärkere Verbindung von Kulturinnen- und -außenpolitik gesprochen wird.

 

Spannungsfeld

 

Was ist also das Spannungsfeld von Kulturinnenpolitik und Kulturaußenpolitik? Ich denke, es ist ganz banal der unauflösbare Widerspruch zwischen der Sehnsucht nach der Ferne und dem Wunsch nach Inspirationen durch andere, also der Kulturaußenpolitik, sowie der erforderlichen Verankerung von Kultur vor Ort, also der Kulturinnenpolitik, denn Kunst braucht Resonanzräume und Wiedererkennungseffekte. Im Wort Spannungsfeld steckt „Spannung“ und Spannung kann bekanntermaßen elektrisieren und Energie freisetzen. Insofern kann das Spannungsfeld beflügeln, wenn beider gleichermaßen erhobenen Hauptes und mit dem Selbstbewusstsein der eigenen Fähigkeiten in die Debatte einsteigen.

 

Der Beitrag erscheint in „Innenkulturpolitik – Außenkulturpolitik. Perspektiven gemeinsamen Handelns“, hrsg. von Ronald Grätz und Markus Hilgert, Steidl Verlag 2021, ISBN 978-3-95829-972-6.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2021.


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