Heike Catherina Mertens und Theresa Brüheim - 26. November 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Auswärtige Kultur- & Bildungspolitik (AKBP)

Berlin am Pazifik


Die Villa Aurora und das Thomas Mann House in Los Angeles

Der Verein Villa Aurora & Thomas Mann House ist Koordinationsstelle zwischen Los Angeles und Berlin, er regelt unter anderem die Stipendienvergabe, die Verwaltung sowie Programme und Publikationen. Heike Catherina Mertens gibt Einblick in die vielfältige Arbeit, die in Tradition der beiden großen Exil-Schriftsteller, Lion Feuchtwanger und Thomas Mann, steht.

 

Theresa Brüheim: Frau Mertens, was ist die Aufgabe des Vereins Villa Aurora und Thomas Mann House (VATMH)?
Heike Catherina Mertens: Die Aufgabe ist der geistige und künstlerische Austausch und Dialog zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika. Konkret ermöglichen wir Künstlerinnen und Künstlern, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Intellektuellen einen mehrmonatigen Aufenthalt in einem der beiden Residenzhäuser. Ferner ist das Gedenken an das geistig-kulturelle Erbe des deutschen und europäischen Exils ein Schwerpunkt unserer Arbeit. Los Angeles war in den 1930er/40er Jahren der Hotspot für die geistige Avantgarde, die vor den Nazis aus Deutschland fliehen musste.

 

Die Villa Aurora und das Thomas Mann House befinden sich in Los Angeles, wir sitzen heute aber in Ihrem Berliner Büro. Welche Rolle spielt dieses für den Verein?
Von Berlin aus werden die Weichen für beide Häuser gestellt: Hier wird der Haushaltsplan erstellt, die Stipendiatinnen und Stipendiaten sowie Fellows durch Jurys ausgewählt, die inhaltlichen Schwerpunkte beider Häuser in Kooperation mit den Zuwendungsgebern und Partnern gesetzt und das AlumniProgramm gestaltet. Vor Ort in Los Angeles entwickeln
die Kolleginnen und Kollegen die Programme mit den
Stipendiatinnen und Stipendiaten und setzen im Rahmen der Schwerpunkte eigene Akzente.

 

Schaut man sich die Veranstaltungsliste des VATMH an, dann sieht man eine lange Liste mit zahlreichen Events in Deutschland. Wie stellen Sie bei den Aktivitäten im Inland den Bezug zu Villa Aurora und Thomas Mann House her?
Unser Programm basiert auf der Zusammenarbeit mit unseren ehemaligen Villa Aurora Stipendiatinnen und Stipendiaten und Thomas Mann Fellows. Es richtet sich an ein breites kultur- und gesellschaftspolitisch interessiertes Publikum in Deutschland. Unsere Aktivitäten hier sind noch nicht so bekannt, wie ich es mir wünsche, da unsere beiden Häuser so stark mit Kalifornien verbunden sind.
Unser Anliegen ist es jedoch, ein nachhaltiges Residenzprogramm zu schaffen, von dem auch die Steuerzahler in Deutschland profitieren, mit deren Geld wir ja schließlich das Programm finanzieren. Ich betrachte es als unsere Aufgabe, das in Los Angeles Erforschte, Erdachte und Geschaffene in den gesellschaftlichen Diskurs bei uns einzubringen.
Konkret organisieren wir Ausstellungen, Lesungen, Konzerte und Filmpräsentationen mit unseren Villa Aurora Alumni sowie interdisziplinäre Diskursveranstaltungen mit den Thomas Mann Fellows und fördern Publikationen. Hierfür und für unsere aktuellen Themenschwerpunkte Stärkung der Demokratie, künstliche Intelligenz, Obdachlosigkeit sowie natürlich das Gedenken an das Erbe des Exils arbeiten wir mit Partnern zusammen wie den Literaturhäusern, Museen, dem German Marshall Fund und vielen anderen.

 

Die Villa Aurora ist seit fast 25 Jahren Begegnungsort für deutsche und amerikanische Kultur in Los Angeles. Das Thomas Mann House ist erst letztes Jahr hinzugekommen. Wie bringen Sie beide Häuser unter einem Vereinsdach zusammen?
Das ist noch eine kleine Herausforderung. Natürlich gibt es viele Synergien: Wir profitieren aus 24 Jahren Residenzprogramm in der Villa Aurora und können unsere Erfahrungen in der Stipendiatenbetreuung und Vernetzung vor Ort einbringen. Das betrifft auch die Verwaltung der Liegenschaften, was in Los Angeles keine einfache Aufgabe ist. Aber die Programme sind natürlich sehr unterschiedlich. Im Thomas Mann House sind wir noch in der Aufbauphase, es soll ein breites Netzwerk mit Wissenschaftseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen Institutionen entstehen. Das Thomas Mann House arbeitet USA-weit, während sich die Villa Aurora stärker auf Los Angeles und Kalifornien bezieht. Dadurch ergeben sich andere Organisationsstrukturen.

 

Gibt es auch etwas, von dem Sie sagen: „Das möchten wir beim Thomas Mann House besser machen als zu den Anfängen der Villa Aurora“?
Da ich erst vor einem Jahr die Leitung von VATMH übernommen habe, kenne ich mögliche Schwächen der Anfangsjahre nicht. Eine große Herausforderung ist jedoch die Vernetzung unserer Fellows in Los Angeles geblieben, da die Stadt anders funktioniert als Berlin. Los Angeles ist eine Flächenstadt, die Distanzen sind riesig. Niemand kommt einfach kurz auf einen Kaffee vorbei. Vernetzung bedeutet also langfristige Planung und gutes Zeitmanagement. Anders als in den vergangenen Jahren bereiten wir nun die Aufenthalte der Fellows bereits in Deutschland vor, stellen Kontakte her und organisieren Begegnungen und Veranstaltungen. Dies gilt insbesondere für das Thomas Mann House, das wir als Debattenort für den transatlantischen Dialog etablieren möchten. Die Villa Aurora ist zwar noch immer eine Oase für konzentriertes, künstlerisches Arbeiten, aber im Laufe der Jahre ist es auch für die Künstlerinnen und Künstlern immer wichtiger geworden, sich zu vernetzen und Kontakte zur Kulturszene in L.A. aufzubauen.

 

Gibt es auch eine Vernetzung zwischen den Stipendiaten des Thomas Mann House und der Villa Aurora?
Ja, es gibt regelmäßig Austauschtreffen zwischen den Fellows – so nennen wir die Bewohner des Thomas Mann House – und den Stipendiatinnen und Stipendiaten der Villa Aurora. Beide Häuser sind interdisziplinär aufgestellt, was für alle Beteiligten sehr bereichernd ist.

 

Worin unterscheiden sich die beiden Stipendienprogramme weiter?
In der Villa Aurora schreiben wir dreimonatige Stipendien für bildende Künstler, Schriftsteller, Komponisten und Filmschaffende aus; zusätzlich gibt es Partnerstipendien, das Feuchtwanger Fellowship für verfolgte Schriftsteller und Journalisten sowie das Ballhaus Stipendium für Bildgestalter beim Film. Die Fellowships im Thomas Mann House richten sich an Vordenker, Intellektuelle unterschiedlicher Disziplinen, die zu den großen Fragen unserer Gesellschaft und Zeit Stellung beziehen. Die Fellowships dauern je nach Vorhaben drei bis zehn Monate.

 

Wie werden sie vergeben?
Die Stipendien und Fellowships werden öffentlich ausgeschrieben. Für jede Sparte gibt es eine Fachjury, die aus den eingereichten Bewerbungen eine Auswahl trifft. In der bildenden Kunst muss man von Expertinnen und Experten nominiert werden. Die Nominierten reichen dann ihre Bewerbungen ein und es entscheidet ebenfalls eine Jury. Die Thomas Mann Fellows werden von einem interdisziplinär besetzten neunköpfigen Beirat ausgewählt.

 

Inwieweit sehen Sie sich als Verein in der Tradition von Feuchtwanger und Mann?
Sehr stark. Beide sind in den 1930er Jahren in die USA gegangen, weil sie aus dem nationalsozialistischen Deutschland fliehen mussten. Das prägt den Geist der Häuser. Das Gedenken an das geistige kulturelle Erbe von Feuchtwanger und Mann ist ein wesentliches Ziel unseres Vereins. In der heutigen Zeit bedeutet dies, sich für eine wehrhafte Demokratie einzusetzen sowie die Meinungsfreiheit und Menschenrechte hochzuhalten.
Die Ausrichtung des Stipendiatenprogramms in der Villa Aurora ist daher auch für Schriftsteller gedacht. Auch das Feuchtwanger Fellowship für verfolgte und bedrohte Autoren nimmt Bezug auf die Exilgeschichte von Lion Feuchtwanger.
Thomas Mann hat sich in seinen amerikanischen Jahren sehr stark gesellschaftspolitisch engagiert und Stellung bezogen – in seinen Romanen und dezidiert vor allem in seinen berühmten 55 Radioansprachen, in denen er sich von 1940 bis 1945 über die BBC an deutsche Hörer wandte. In diesem Geiste gestalten wir unser Programm. Im Oktober ist eine Reihe gestartet, die – sich in Anlehnung an »Deutsche Hörer!« – »55 Voices for Democracy« nennt. Zu dieser laden wir 55 internationale Stimmen – von anderen Literaturnobelpreisträgern wie Orhan Pamuk über Politikwissenschaftler wie Francis Fukuyama bis hin zu Historikern wie Timothy Snyder – ein, die ihre Idee zur Erneuerung und Stärkung der Demokratie vorstellen.

 

Als die Feuchtwangers in der Villa Aurora lebten, war diese ein beliebter Treffpunkt für Künstler im Exil, aber auch für Amerikaner. Inwieweit ist dieser Charakter des Hauses als Begegnungsort auch ein Aspekt, der weitergeführt wird?
Beide Häuser waren Treffpunkte im „Weimar am Pazifik“, dem Ort der aus Deutschland geflohenen geistigen Elite. Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Bertolt Brecht, Bruno Walter und Max Reinhardt – sie alle lebten in Pacific Palisades, Tür an Tür mit den Feuchtwangers und Manns. Man traf sich zum intellektuellen und künstlerischen Austausch mit den amerikanischen Freunden. An diese Tradition knüpfen wir an und veranstalten zahlreiche öffentliche Konzerte, Vorträge und Symposien, bei denen im Anschluss diskutiert und der transatlantische Dialog gepflegt wird.

 

Es gibt vergleichbare Einrichtungen, wie z. B. die Deutsche Akademie Rom Villa Massimo oder die Kulturakademie Tarabya in Istanbul. Inwiefern stehen Sie mit diesen Einrichtungen im Austausch? Gibt es Synergien?
Wir sind Mitglied im Arbeitskreis „Internationale deutsche Residenzprogramme“, Tarabya und Villa Massimo ebenfalls, aber auch noch viele andere wie der DAAD und die Goethe-Institute. Wir treffen uns regelmäßig. Dabei wurden vier Handlungsthemen festgelegt, zu denen wir uns austauschen, um voneinander zu lernen.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.


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