Brigitte Freihold - 27. März 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Humboldt Forum / Kolonialismus-Debatte

Verantwortung übernehmen


Jetzt: Bundesstiftung zur umfassenden Aufarbeitung der Kolonialzeit

Der deutsche Kolonialismus war in all seinen Ausprägungen ein Verbrechen und wirkte sich auch auf die spätere rassistische NS-Besatzungspolitik aus. Der Kolonialismus hat nicht nur weltweit Gesellschaftsstrukturen, Religionen und Kulturen zerstört, politische Grenzziehungen hervorgebracht und die kolonisierten Gesellschaften überformt, sondern auch Deutschland und Europa maßgeblich geprägt.

 

Die kolonialen Nachwirkungen sind heute sichtbar in Form von anhaltendem, institutionellem und strukturellem Rassismus, ungenügender gedenkpolitischer Aufarbeitung in der schulischen, kulturellen und politischen Bildung, unzureichender Restitution, insbesondere menschlicher Gebeine aus kolonialen Kontexten, sowie mangelnder Aufklärung im öffentlichen Raum. Sie drücken sich auch in andauernder globaler Ungerechtigkeit, ungleicher Verteilung von Reichtum, Ressourcen oder politischem Einfluss aus. Flucht und Migration sind als direkte und indirekte Auswirkung des europäischen Kolonialismus zu betrachten.

 

Es ist zu begrüßen, dass der Deutsche Kulturrat in seiner Stellungnahme zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten nun auch kirchliche Einrichtungen in die Verantwortung nehmen will. Die Rückgabe menschlicher Gebeine an die Herkunftsgesellschaften wird dabei als vordringlich erachtet.

 

Es ist den vielfältigen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Verbänden zu verdanken, dass die Aufarbeitung der Kolonialverbrechen in der deutschen Gesellschaft begonnen wurde. Erst durch Interventionen der Schwarzen Community, PoC-Aktivistinnen und -Aktivisten sowie antirassistischen Bewegungen fand die Kolonialgeschichte schrittweise Eingang in den öffentlichen Diskurs.

 

Kulturgüterspezifische Anerkennung durch Restitutionsgesetz

 

Bei der Rückerstattung von geraubten Kulturgütern finden noch immer tradierte Rechtsvorstellungen Anwendung, die für gewöhnlichen Mobiliarerwerb gelten. Die identitätsstiftende Bedeutung von Kunst- und Kulturgütern für die kolonisierten Gesellschaften findet damit keine Entsprechung in der rechtlichen Würdigung der kulturgüterspezifischen und historischen Besonderheiten. Angesichts des florierenden Handels mit geraubten Kunstgegenständen, der inzwischen den Rang des Waffenhandels eingenommen hat, muss endlich ein umfassendes Restitutionsgesetz her, das den Besonderheiten der Rückgabe von Kulturgütern aus kolonialen Kontexten in gleicher Weise gerecht wird, wie den Erfahrungen bei der Rückgabe von NS-Kulturraubgut.

 

Vor diesem Hintergrund ist es völlig richtig, dass der Deutsche Kulturrat in seiner Stellungnahme die Washingtoner Erklärung für NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut als Vorbild nimmt. Die Linke fordert die Einsetzung einer unabhängigen Kommission, die einseitig von anspruchsberechtigter Seite angerufen werden kann, um alle potenziellen Streit- und Verdachtsfälle, die sich noch in den Depots und Sammlungen von Museen, Archiven, Bibliotheken, Kliniken sowie universitären Einrichtungen und anderen befinden, analog zur „Beratenden Kommission“ als Mediationsstelle zu bearbeiten.

 

Die Aufarbeitung des kolonialen Unrechts ist auch eine Frage der Ethik, weshalb auch ein Ethik-Rat einen wichtigen Beitrag leisten könnte. Doch die Aufarbeitung des kolonialen Unrechts, das lehrt uns die Restitution von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut, verlangt nach gesetzlich verankerten fairen Verfahren.

 

Die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus darf nicht auf die Restitution oder museale Provenienzforschung beschränkt werden. Notwendig ist ein gesamtgesellschaftlicher Prozess, bei dem die staatliche Verantwortung im Mittelpunkt steht. Die Teilhabe der Nachkommen bei der Aufarbeitung des Kolonialismus stellt einen wesentlichen Kern dieses Prozesses dar.

 

Bundesstiftung zur Aufarbeitung des Kolonialismus

 

Der neue Förderbereich „Koloniale Kontexte“ beim Deutschen Zentrum für Kulturgutverluste (DZK) ist begrüßenswert, jedoch bei Weitem nicht ausreichend. Um die relevanten Akteurinnen und Akteure, namentlich die Nachkommen der im Zuge des Kolonialismus versklavten Menschen, zivilgesellschaftliche Verbände sowie Forscherinnen und Forscher und Gedenkstätten einzubinden, muss eine unabhängige Bundesstiftung geschaffen werden, die sich allein der Aufarbeitung des Kolonialismus und dessen Nachwirkungen widmet. Ihr Stiftungsrat muss mindestens paritätisch aus internationalen Expertinnen und Experten sowie Nachkommen der Kolonisierten und Versklavten besetzt werden. Darüber hinaus muss ein unabhängiges Forschungsinstitut errichtet werden, um die Aufarbeitung des Kolonialismus und seiner Nachwirkungen zu ermöglichen.

 

Zentrales Mahnmal als Lernort und dezentrale Gedenkstätten

 

Der Kolonialismus muss als Unrechtsregime anerkannt werden und der deutsche Kolonialismus in Afrika, Asien und Ozeanien als eine der Ursachen für zeitgenössische Erscheinungsformen von Rassismus verurteilt werden. Die Bundesrepublik drückt sich vor einer Entschuldigung für den Genozid an Ovaherero und Nama 1904 bis 1908, den Vernichtungskrieg und die Hungertoten des Maji-Maji-Kriegs 1905 bis 1907 sowie die Beteiligung der Deutschen am transatlantischen Versklavungshandel. Eine Entschuldigung ist unumgänglich, um die Aussöhnung mit den Gesellschaften ehemals vom Deutschen Reich kolonisierter Gebiete zu befördern.

 

Umfassende Aufarbeitung bedeutet auch die Errichtung eines zentralen Mahnmales für die Opfer von Kolonialismus, Versklavung und Rassismus als Lernort sowie weitere dezentrale Gedenkstätten. Ein solches Mahnmal muss unter maßgeblicher Beteiligung der Nachkommen kolonisierter Menschen noch während der UN-Dekade für Menschen afrikanischer Herkunft, die von 2015 bis 2024 dauert, entstehen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2019.


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