Moses Pölking & Maike Karnebogen - 1. September 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Denkmalkultur

Onkel Tom


Zur Umbenennung einer Berliner U-Bahn-Station

An der U-Bahn-Station Onkel Toms Hütte ist schon so mancher Berliner und Nicht-Berliner aus- und umgestiegen. Aber mit welch unterschiedlichen Gefühlen? Der Name bezieht sich auf den US-amerikanischen Roman „Uncle Tom’s Cabin“ von Harriet Beecher Stowe aus dem Jahre 1852. Titelfigur ist der afroamerikanische Sklave Tom – Onkel Tom genannt. Ein Buch, das weitestgehend als herablassend und beleidigend gewertet wird, so der Basketballer Moses Pölking, der mit seiner Petition die Umbenennung bewirken möchte. Maike Karnebogen spricht mit ihm über die Hintergründe.

 

Maike Karnebogen: Herr Pölking, Sie haben eine Petition zur Umbenennung der U-Bahn-Station Onkel Toms Hütte und der Onkel-Tom-Straße im Berliner Stadtteil Steglitz-Zehlendorf gestartet. Welche Bedeutung hat die Bezeichnung Onkel Tom?

Moses Pölking: Die Bezeichnung Onkel Tom hat für mich eine durchaus negative Bedeutung. Ich empfinde den Begriff als eine Beleidigung gegen mich, gegen meine Werte als Mensch und auch als schwarzer Mensch. Onkel Tom war ein Sklave, der sich bewusst entmenschlicht hat, um vor seinem Sklavenhalter nicht als Bedrohung wahrgenommen zu werden. Er hat sich seiner Menschenwürde entzogen und sich zu seinem eigenen Wohlergehen gegen das Wohl seiner Mitmenschen gestellt.

 

Was hat Sie dazu bewegt, die Petition zu starten? Wieso ist es jetzt an der Zeit für eine Umbenennung?
Dazu bewegt hat mich der aktuelle Diskurs um die Bahnhofsumbenennung der BVG, unter anderem der Mohrenstraße. Dieser hat mich zum Nachdenken angeregt und mir gezeigt, dass ich als Privatperson etwas anstoßen kann: Eine Petition ins Leben rufen und damit mein Anliegen in die Welt hinaustragen und herausfinden, ob ich Gleichgesinnte finde. Die U-Bahn-Station Onkel Toms Hütte stört mich seit Längerem. Aufgrund der vielen schlimmen Dingen, die in den USA und auch in Deutschland Menschen mit Migrationshintergrund passieren, habe ich angefangen, mich politisch zu engagieren. Auch, weil ich vieles am eigenen Leib erfahre. Die Idee zur Petition habe ich in die Tat umgesetzt. Mir ist wichtig, dass sich die Menschen nicht direkt ein Urteil bilden, sondern wirklich darüber nachdenken. Denn Onkel Toms Hütte verletzt derart viele schwarze Menschen und erinnert sie an sehr viel Leid, das sie tagtäglich in unserer deutschen Gesellschaft erleben, weil wir leider noch nicht als ein vollwertiges Mitglied dieser gesehen werden. Ich finde, dieses Leid muss man ernst nehmen, respektieren, nicht direkt abschieben und sagen: „Ach, ich sehe daran nichts Rassistisches“ oder „Das ist doch nicht so schlimm, ich habe so noch nie gedacht“. Ist es denn nicht rassistisch, wenn die Menschen, die davon betroffen sind, es als rassistisch empfinden? Am Ende des Tages sind wir es, die davon angegriffen sind. Wir sollten also mitentscheiden und nicht nur die Menschen, die nicht in dieser Position sind. Dieser Denkanstoß ist mir sehr wichtig.

 

Sie haben inzwischen schon über 13.000 Unterschriften gesammelt. Was erhoffen Sie sich von der Petition und was fordern Sie von der Politik?
Ich erhoffe mir zweierlei Dinge. Das erste Ziel ist bereits erreicht, nämlich die Menschen zum Nachdenken anzuregen und das uns Bekannte zu hinterfragen. Bei Onkel Tom geht es ganz klar um Rassismus – um Alltagsrassismus. In unseren Lebensstrukturen gibt es viel Rassismus, den wir aber nicht als solchen erkennen, weil er für uns „normal“ ist. Das sieht man in der Vergangenheit. Z. B. bei der Betitelung schwarzer Menschen, die sich mit der Zeit geändert hat. Auch Begriffe für Gegenstände oder Mahlzeiten wie N*küsse haben sich geändert. Dinge, die früher akzeptiert wurden, werden jetzt verpönt – unsere „Standards“ bzw. das Bewusstsein ändert sich mit der Zeit. Eines meiner Ziele war, dass die Gesellschaft darauf aufmerksam wird, dass nur, weil etwas aktuell so bezeichnet wird, nicht bedeutet, dass es nicht von Rassismus oder rassistischen Zügen durchzogen ist. Man erkennt diesen Alltagsrassismus immer erst, wenn man darauf hingewiesen wird. Meiner Meinung nach ist das auch mit der U-Bahn-Station Onkel Toms Hütte so. Vielleicht wurde die Bezeichnung vor 50 Jahren nicht so angesehen, vielleicht auch vor fünf Monaten noch nicht von den meisten Menschen. Aber ich will die Gesellschaft darauf hinweisen, dass dieser Bahnhof rassistische Züge hat und schmerzhaft ist für Leute, die betroffen sind. Das zweite Ziel ist die klare Umbenennung der U-Bahn-Station, der Straße und schlussendlich der Siedlung. Dafür erhoffe ich mir Unterstützung von der Politik und vor allem, dass sie mit mir in einen Dialog tritt.

 

Im Zuge der Diskussionen um die Straßenumbenennung wird oft die Alternative genannt, anstelle der Umbenennung eine Infotafel aufzustellen, die über Geschichte und Hintergründe informiert. Wie beurteilen Sie das?
Diesen Gedankengang kann ich nachvollziehen, aber ich kann ihn nicht teilen. Wenn ich vor einem großen Bahnhof wie Onkel Toms Hütte stehe, und diesen Namen als Mensch sehe der sich davon angegriffen fühlt, dann ist mein erster Gedanke nicht: Ich suche nach einer Infotafel. Die dann vermutlich kurz und sehr oberflächlich die Geschichte beschreibt, damit ich mich besser fühle und andere Menschen gebildet werden. Der Name trifft mich dann noch genauso ins Herz.
Meiner Meinung nach denken die meisten Menschen bei der Station nicht an den Roman bzw. die Romanfigur Onkel Tom, an das Leiden der Menschheit und der schwarzen Bevölkerung. Die meisten Menschen haben noch nie über diesen Namen nachgedacht. Das Buch ist nirgendwo in der Schullektüre zu finden. Viele Erwachsene kamen auf mich zu, die das Buch nie gelesen haben. Diese Menschen verbinden mit dem Bahnhof einfach nur ihr normales Leben in Zehlendorf und erinnern sich nicht aktiv an die Geschichte des Buches. Aber die Menschen, die davon aktiv betroffen sind, denken jeden Tag an solche Dinge. Ziel sollte es sein, weniger verletzend an diese Geschichte zu erinnern. Und ich finde, das kann man besser machen, indem man den Opfern gedenkt und nicht den Tätern.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2020.


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