Die Frauenbewegung in Deutschland hat Geschichte
Das Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel
Wie sollte es auch anders sein: Stilecht am Internationalen Frauentag, dem 8. März, 1984 öffnete eine neue Institution zum ersten Mal ihre Türen für die Öffentlichkeit. Was damals in Kassel unter dem etwas sperrigen Namen „Archiv der deutschen Frauenbewegung“ (AddF) präsentiert wurde, war nicht nur ein Archiv und eine Bibliothek, vielmehr war es eine Einrichtung, die die Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland sammeln, erforschen und vermitteln wollte – mit dieser breiten Aufstellung ein Experiment mit durchaus ungewissem Ausgang.
Heute, über 30 Jahre später, kann das AddF auf eine erstaunliche Erfolgsgeschichte zurückblicken. Mittlerweile ist aus kleinsten Anfängen eine große Spezialbibliothek mit knapp 36.000 Monografien und Broschüren sowie mehr als 2.500 Zeitschriftentiteln aus allen Bereichen der Frauenbewegung und ein Fotoarchiv mit über 10.000 Fotografien aufgebaut worden. Daneben sammelt das AddF Aktenbestände von Frauenverbänden und -vereinen sowie Nachlässe von engagierten Frauen aus der Bewegung, Politikerinnen oder Verbandsaktivistinnen. Darunter befinden sich durchaus ein paar Perlen, so der Nachlass der „Mutter des Grundgesetzes“, der Kasseler Juristin und SPD-Politikerin Elisabeth Selbert (1896-1986) oder der Bestand des Deutschen Evangelischen Frauenbundes, gegründet 1899, der mit seinen 150 Regalmetern Archivgut die lückenlose Geschichte dieses Frauenverbandes an der Schnittstelle von Protestantismus und Frauenbewegung dokumentiert. Gesammelt wird im AddF alles – sozusagen flügelübergreifend – zur Geschichte der Frauenbewegung in Deutschland, alle Richtungen, alle Fraktionen, von der proletarischen bis zur bürgerlichen Frauenbewegung, von fortschrittlich bis konservativ, von anarchistisch bis konfessionell, und auch die Gegenbewegung hat hier einen Platz. Der Sammelzeitraum reicht von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1970er Jahre. Die Begrenzung nach vorne ergibt sich aus der 1848er Revolution, in der die Wurzeln für die organisierte Frauenbewegung in Deutschland gelegt wurden, und am Ende durch den Beginn der neuen Frauenbewegung, die in anderen Frauenarchiven und -bibliotheken in Deutschland gesammelt wird. Ziel ist es, die Geschichte in all ihren Facetten zu überliefern, unabhängig davon, ob sie heutigen Definitionen von Feminismus entsprechen.
So wie in den 1980er Jahren bereits geplant, initiiert das AddF darüber hinaus eigene Forschungen zur Geschichte der Frauenbewegung. Hier geraten Protagonistinnen ebenso in den Blick wie Themen, Ereignisse oder Protestformen. In den letzten Jahren stand vor allem das 100. Jubiläum des Frauenwahlrechts im Mittelpunkt eigener Forschungen und Publikationen. Aber auch jenseits von Jubiläumsthemen lassen sich viele Fragestellungen der historischen Forschung mit den Materialien des AddF beantworten. Seien es Fragen der Bevölkerungspolitik oder der Demokratiegeschichte. Daneben beteiligt sich das AddF an Ausstellungen, bietet Stadtrundgänge in Kassel zur Frauengeschichte an, hält Vorträge und gibt die Zeitschrift „Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte“ heraus, in der Themen rund um die Geschichte der Frauenbewegung wissenschaftlich beleuchtet werden.
Das AddF gehört zu den Freien Archiven, d. h. es ist keine Einrichtung mit einem klar definierten staatlichen Sammlungsauftrag wie z. B. ein Stadt- oder Landesarchiv. Vielmehr ist es eine Institution, die aus der Bewegung kommend die Geschichte der Bewegung bewahrt. Mit dieser Idee war das AddF Mitte der 1980er Jahre kein Novum – viele Freie Archive sind in diesem Zeitraum gegründet worden, so auch andere Frauenarchive. Heute sind diese in einem Dachverband organisiert, im i.d.a. – Dachverband der deutschsprachigen Lesben-/Frauenarchive, -bibliotheken und -dokumentationsstellen, der seit einem Jahr das deutschlandweit einzigartige Portal „Digitales Deutsches Frauenarchiv“ (DDF), aufzurufen unter digitales-deutsches-frauenarchiv.de, betreibt. Damit werden die Schätze der verschiedenen deutschen Frauenarchive und -bibliotheken zum ersten Mal unter einer gemeinsamen (Internet-) Adresse sichtbar.
Das AddF ist als Verein entstanden und ist heute als Stiftung organisiert. Es wird institutionell vom Land Hessen als außeruniversitäre Forschungseinrichtung gefördert, die Stadt Kassel steuert einen Mietkostenzuschuss zu und der Bund stellt über das DDF Projektmittel zur Verfügung. Alles in allem also eine Erfolgsgeschichte. Nichtsdestotrotz bleibt viel zu tun, denn gerade die Digitalisierung bringt für den Archiv- und Bibliotheksbereich große Veränderungen, aber auch große Chancen mit sich.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2020.
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