Stefan Kwasnitza - 27. Februar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Archive

Auf dem Weg zum komplett digitalen Archiv


Online-Zugang und Digitalisierung "on demand" im Schweizerischen Bundesarchiv

Das Schweizerische Bundesarchiv (BAR) verfolgt die Vision eines durchgängig digitalen Archivs. Unabhängig davon, ob Dokumente analog oder digital im Archiv vorliegen: Sie lassen sich online konsultieren.

 

Diese Vision setzt das BAR mit dem seit Herbst 2019 verfügbaren Online-Zugang zum Bundesarchiv recherche.bar.admin.ch um. Das Webportal wird durch eine Digitalisierungsinfrastruktur ergänzt: Das BAR digitalisiert damit Papier-Unterlagen „on demand“. Bestellen Kundinnen und Kunden ein Papier-Dossier, erhalten sie es rund zwei Wochen später digitalisiert im Online-Zugang.

 

Die Konsultation der Dossiers ist aber nicht die einzige Dienstleistung des BAR. Auch die weiteren, mit dem Zugang verbundenen Angebote stehen im Web zur Verfügung: Auskunft erhalten, recherchieren, sich digital identifizieren und Einsichtsgesuche einreichen. Beratungsleistungen vor Ort sind nun im digitalen Raum vorhanden: Der Chat mit Spezialisten und ein Chatbot unterstützen die Kunden bei ihrer Recherche online. Ein Besuch im Lesesaal wird nicht mehr nötig sein, sobald die Kapazität der Digitalisierungsinfrastruktur genügend hoch ist. Aktuell kann das Bundesarchiv noch nicht alle Bestellungen analoger Dossiers digitalisieren – die Bestellmenge pro Person ist deshalb stark eingeschränkt.
In diesem hybriden Status mit einem Online-Zugang bei gleichzeitigem Betrieb des klassischen Lesesaals befindet sich das Archiv mitten in der digitalen Transformation.

 

Es handelt sich um eine grundlegende Neuausrichtung der Institution im Zeitalter der Informationsgesellschaft, die alle Aspekte der Archivierung erfasst, neue Anforderungsprofile für die Mitarbeitenden verlangt und ein verändertes Berufsbild bei Archivarinnen und Archivaren voraussetzt.
So grundlegend sich Technik und Technologie der Archivierung in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben, so wenig hat sich ihre Aufgabe geändert. Seit der Gründung des Bundesstaates 1848 sichert das BAR die Dokumentation staatlichen Handelns und macht diese zugänglich. Der Zugang soll dabei für die gesamte Öffentlichkeit gleichberechtigt möglich sein. Dieser Grundsatz ist im Art. 2 Abs. 2 des Bundesgesetzes über die Archivierung von 1998 festgehalten. Auf der Basis des – in einer weitestgehend analogen Zeit entstandenen – Gesetzes von 1998, hat sich das BAR in den letzten 20 Jahren mit der digitalen Transformation beschäftigt.

 

2004 erhielt das BAR den Auftrag, die langfristige Speicherung und Benutzbarkeit der Archivdaten langfristig zu gewährleisten. Treiber der Entwicklung war und ist die flächendeckende Einführung der elektronischen Geschäftsverwaltung (GEVER) in der Bundesverwaltung. Der digitale Archivierungsprozess basierte von Beginn an auf drei Elementen: digitale Entgegennahme, digitale Erhaltung und digitaler Online-Zugang zum Archivgut.

 

2009 nahm das BAR mit dem digitalen Archiv ein erstes Element erfolgreich in Betrieb. Mit der Umsetzung der elektronischen Geschäftsverwaltung in der Bundesverwaltung wurde das zweite Element realisiert und ermöglicht die automatisierte Übernahme der Akten ins Archiv. Das BAR übernimmt heute digitale Geschäftsunterlagen und relationale Datenbanken des Bundes, erhält diese langfristig und kann sie – unabhängig von Änderungen bei Dateiformaten und Speichertechnologien – wieder zur Nutzung bereitstellen.
Allerdings waren bis vor Kurzem für den Zugang zum digitalen Archivgut nach wie vor manuelle Interventionen nötig. Gleichzeitig erwarteten Öffentlichkeit und Verwaltung vermehrt, Unterlagen und Informationen online auswerten und weiterverarbeiten zu können. Ein Hauptargument für den Online-Zugang liefert die Digitalisierung der Verwaltung selber: Damit die Daten langfristig lesbar bleiben, soll die Verwaltung künftig digitale Unterlagen nach einer Frist von maximal fünf Jahren ins Archiv abliefern. Das lässt sich aber nur durchsetzen, wenn der Zugriff auf die eigenen Unterlagen einfacher und schneller wird.

 

Der Aufbau eines Online-Zugangs zum Archivgut des Bundes war deshalb nach der Errichtung des digitalen Archivs und der Einführung der elektronischen Geschäftsverwaltung das dritte und letzte Element, um den digitalen Informationskreislauf in der Bundesverwaltung zu vervollständigen. Im Webportal sind vier Neuerungen besonders hervorzuheben: Neu sind im Online-Zugang nicht nur Metadaten, sondern auch Primärdaten, also die eigentlichen Inhalte der Dokumente, vorhanden. Damit suchen Nutzerinnen und Nutzer nicht mehr nur in Titeln und Strukturen, sondern im Volltext. Das ermöglicht neue Suchstrategien und zusätzliche Treffer in den Dokumenten. Aus Datenschutzgründen ist die Volltextsuche bei frei zugänglichen Unterlagen nur dann möglich, wenn diese älter als 50 Jahre sind.

 

Im Webportal lenken Regelsets den Zugang. Nutzerinnen und Nutzer können anonym, als registrierte oder als identifizierte Person recherchieren. Je nach Status sind unterschiedliche Funktionen verfügbar. Die Suche in den Metadaten steht dabei sämtlichen Nutzerinnen und Nutzern offen. Bei der Bestellung von Unterlagen wird eine Anmeldung, bei der Konsultation geschützter Unterlagen eine Identifikation nötig. Hat eine Person keine Berechtigung für einen Zugriff auf geschütztes Archivgut, wird sie automatisch in den Einsichtsgesuchsprozess umgeleitet.

 

Eine herausfordernde Neuerung ist die Digitalisierung „on demand“. Dabei können Kunden im Bestellvorgang wählen, ob sie ein analoges Dossier digital oder im Lesesaal einsehen möchten. Wählen sie „digital“, geht ein Auftrag an die interne Digitalisierungsinfrastruktur. Das Digitalisierungsteam des BAR scannt die Unterlagen und speichert sie im digitalen Archiv. Damit stehen sie ab diesem Moment allen interessierten Personen langfristig digital zur Verfügung. Eine Herausforderung ist bei der Digitalisierung nicht nur die Menge der bestellten Dossiers, sondern die damit verbundene – für das Archiv neue – Arbeitsweise: die quasi-industrielle Verarbeitung von Aufträgen.

 

Die Bundesverwaltung arbeitet in der Schweiz mehrsprachig. Vereinfacht heißt das, wer nach „Ausschuss“ sucht, sollte auch nach „comité“ suchen. Deshalb werden bei der Eingabe eines Suchbegriffs im Suchschlitz automatisch Synonyme und Übersetzungsvorschläge in den vier Landessprachen generiert. Die vorgeschlagenen Begriffe stammen aus der Terminologie-Datenbank „Thermdat“ der Bundesverwaltung.

 

Alle diese Neuerungen im digitalen Bereich waren nur möglich, weil das BAR im analogen Bereich verzichtet hat: Eigene Ausstellungen, Beratung im Lesesaal oder zwei Öffnungstage pro Woche wurden abgeschafft. Das ist nötig, weil das Archiv nicht mit den gleichen Mitteln analoge und digitale Dienstleistungen erbringen kann. Während der digitalen Transformation ist das Setzen von Prioritäten noch zentraler, da der analoge Betrieb nach wie vor läuft und gleichzeitig neue Angebote aufgebaut werden.

 

Ziel ist eine grundlegende Veränderung aller Kernprozesse. Entsprechend verändern sich die Stellenprofile und Fähigkeiten der Mitarbeitenden laufend. Die Weiterbildungen in beispielsweise Informatik, agiler Entwicklung oder Usability sind ein zentraler Erfolgsfaktor. Dank Vorgabe eines strategischen Zielbilds, innovativer Ideen und dem Veränderungswillen der Mitarbeitenden hat das Bundesarchiv einen großen Schritt in Richtung komplett digitales Archiv getan. Noch ist dieser Weg nicht abgeschlossen. Doch die gemeinsame Anstrengung lohnt sich und zahlt sich in seit Jahren steigenden Nutzungszahlen aus. Damit dient der Wandel letztlich dem höheren Ziel des Archivs: dass sich alle eine eigene kritische Meinung zum Staatshandeln bilden können.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2020.


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