Sina Laubenstein und Kristin Braband - 28. Juni 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Meinungsfreiheit

Das Ende des Schweigens im Netz


Das "No Hate Speech Movement" des Europarates in Deutschland

Die Masse schweigt im Netz – leider zu oft, auch wenn es um Hassrede in sozialen Medien geht. Das „No Hate Speech Movement“ des Europarates will Internetnutzer ermutigen, sich gegen Hass im Netz aktiv einzusetzen. Sina Laubenstein betreut über Neue Deutsche Medienmacher die Initiative in Deutschland. Kristin Braband spricht mit ihr über ihre Arbeit.

 

Kristin Braband: Sie arbeiten für das Projekt „No Hate Speech Movement“ in Deutschland, eine Initiative des Europarates zur Menschenrechtsbildung und gegen Hassrede im Internet. Warum hat der Europarat diese Initiative ins Leben gerufen?
Sina Laubenstein: Der Europarat hat das „No Hate Speech Movement“ 2013 initiiert, nachdem internationale Jugendorganisationen auf das Problem von Hate Speech im Online-Raum aufmerksam gemacht haben – auch infolge der Attacken auf Utøya 2011. Ziel der Bewegung war und ist es, vor allem junge Menschen zu mobilisieren: Diese sollen sich auch im digitalen Raum für Menschenrechte und demokratische Werte einsetzen. Gleichzeitig sollen die Menschen, die von Hass im Netz betroffen sind, empowert werden. Ziel ist es, diesen zu zeigen, dass sie nicht allein sind und eine Mehrheit der Gesellschaft Hass und Hetze auch im Online-Raum nicht akzeptiert.

 

Was wird unter Hate Speech, also Hassrede, verstanden?
Die Definition von Hate Speech wird tatsächlich sehr kontrovers diskutiert, auch oder gerade weil sie politisch so stark umkämpft ist. In Deutschland gibt es keine juristische Kategorie für den Begriff „Hate Speech“, genauso wenig taucht er in der Kriminalstatistik der Polizei auf, auch wenn es natürlich Straftatbestände gibt, die unter „Hate Speech“ fallen, allen voran Beleidigung und Volksverhetzung.
Das „No Hate Speech Movement“ Deutschland definiert „Hate Speech“ als sprachliche Handlungen gegen Einzelpersonen und/oder Gruppen mit dem Ziel der Abwertung oder Bedrohung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer benachteiligten Gruppe in der Gesellschaft. Der Begriff umfasst verschiedene Diskriminierungsformen, unter anderem Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Klassismus, Ableismus, Homo- und Transphobie.

 

Wie kann man sich gegen Hate Speech wappnen? Was kann jeder Einzelne dagegen tun, auch wenn er bzw. sie selbst nicht direkt betroffen ist?
Es gibt verschiedene Dinge, die wir alle gegen Hass im Netz unternehmen können und sollten. Ob wir nun Gegenreden, Kommentare melden, uns mit Freunden und/oder Kollegen darüber austauschen – Hauptsache, wir machen irgendwas, denn Ignorieren ist keine Option. Für mich am wichtigsten sind die Menschen, die von Hetze und Menschenfeindlichkeit betroffen sind, online wie offline. Sie sollten im Fokus unserer Aufmerksamkeit stehen, sie sollten wir unterstützen, mit ihnen müssen wir uns solidarisieren. Und das kann wirklich ganz einfach sein, beispielsweise durch eine private Nachricht, um zu zeigen und zu sagen:
Du bist nicht allein.

 

Das Projekt beabsichtigt unter anderem die Stärkung der Menschenrechte. Wie stark sind diese durch Hate Speech im Internet bedroht?
Das Internet und die sozialen Medien sind ein öffentlicher Raum: Menschen, insbesondere junge Menschen, entfalten sich im digitalen Raum, äußern ihre Meinung, diskutieren miteinander. Hate Speech verhindert all das: Umfragen bestätigen, dass Menschen ihre Meinungen nicht mehr äußern wollen, weil sie negative bis hasserfüllte Rückmeldungen befürchten. Hate Speech im Internet bedroht also die Meinungsfreiheit und -vielfalt, greift aber auch ganz massiv die Menschenwürde an: Denn Sexismus, Rassismus und Co. haben wenig mit Würde zu tun und sind schon gar nicht Basis eines Austauschs.
Übrigens: Nur weil man gegen Hate Speech ist, bedeutet das nicht, dass man nicht mehr kritisieren oder streiten darf. Im Gegenteil: Wir brauchen Austausch, wir brauchen Diskussion, wir brauchen Kritik. Was niemand braucht, sind Hetze und Menschenfeindlichkeit – denn das hat mit Austausch, Diskussion und Kritik nichts zu tun.

 

Was bedeutet für Sie persönlich Zusammenhalt in Vielfalt?
Zusammenhalt in Vielfalt sollte, meiner Meinung nach, die Antwort sein auf all die spalterischen Tendenzen, die wir seit einigen Jahren beobachten. Kein Wunschtraum, sondern Tatsache – kein Gegeneinander, sondern Miteinander. Wir sind eine offene und vielfältige Gesellschaft, wir beweisen tagtäglich, wie Vielfalt funktioniert. Vielfalt ist eine Stärke, die wir nutzen sollten – gemeinsam.

 

Vielen Dank!

 

Dieses Interwiew ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2019.


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