Julia Gerlach und Theresa Brüheim - 28. Oktober 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Integration & Medien

Vom Küchentisch aus in die Medienszene


Amal, Berlin! stellt sich vor

Die Schwestern Julia und Cornelia Gerlach hatten vor vier Jahren die Idee zu Amal, Berlin!, einer Internetplattform mit Nachrichten aus Berlin auf Arabisch und Farsi/Dari. Mittlerweile gibt es auch einen Ableger in Hamburg. Theresa Brüheim spricht mit Julia Gerlach über die Bedeutung lokaler Nachrichten in verschiedenen Sprachen und mehr.

 

Theresa Brüheim: Was ist „Amal, Berlin!“? Wann wurde es ins Leben gerufen? Was beinhaltet es?
Julia Gerlach: Die Idee ist 2015 entstanden. Nach acht Jahren als Korrespondentin in Kairo kam ich nach Berlin und mitten hinein in den Strom der Geflüchteten und die Willkommenskultur. Unter den Ankommenden waren viele Journalisten, für die es schwer ist, in deutschen Medien einen Job zu finden. Zugleich gab es unter der großen Masse der Geflüchteten einen Bedarf an zuverlässigen Informationen. Es waren damals sehr viele Gerüchte unterwegs. Buchstäblich am Küchentisch kamen meine Schwester und ich auf die Idee, diese beiden Bedürfnisse zu kombinieren. So entstand die Idee zu Amal, Berlin! Es ist eine Nachrichtenplattform, die auf Arabisch und Farsi/Dari über alles berichtet, was in Berlin passiert. Geflüchtete Journalisten finden eine berufliche Perspektive und die Neuangekommenen können sich informieren. Wir erklären und belehren nicht, sondern berichten journalistisch: Was ist im Roten Rathaus los? Warum fährt die U-Bahn nicht und was kann ich am Wochenende anschauen? Als Träger konnten wir schnell die Evangelische Journalistenschule in Berlin gewinnen. Dort haben wir unsere Redaktionsräume. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat uns die ersten zweieinhalb Jahre allein finanziert. Seit 2019 haben wir mit der Körber-Stiftung, der Schöpflin Stiftung, der Stiftung Mercator und einigen Landeskirchen noch weitere Partner gefunden. Im März 2019 haben wir Amal, Hamburg! gestartet. Unsere Redaktion dort sitzt im Newsroom des Hamburger Abendblattes.

 

Wer beteiligt sich bei „Amal, Berlin!“? Wie ist die Redaktion zusammengesetzt? Was bedeutet Integration bei „Amal, Berlin!“?
Angefangen haben wir mit zehn Journalistinnen und Journalisten aus Syrien, Iran, Afghanistan und Ägypten. Inzwischen haben wir 14 feste halbe Stellen und einige freie Mitarbeiter. Alle sind erst vor Kurzem nach Deutschland geflohen und haben vorher in ihren Heimatländern bereits als Journalisten gearbeitet. Manche haben Journalismus studiert, andere sind durch die Ereignisse in ihren Ländern zu Bürgerjournalisten geworden. Integration findet bei uns einerseits in der Redaktion statt: Die Kolleginnen und Kollegen berichten über das, was um sie herum passiert. Sie gehen zu Pressekonferenzen, besuchen Veranstaltungen, machen Interviews. Man kann sagen: Sie sind Teil der Berliner Journaille. Zugleich arbeiten bei Amal Menschen ganz unterschiedlicher Herkunft zusammen: Viele haben uns vorhergesagt, dass ein Team mit Syrern, Iranern und Afghanen nicht lange hält. Amal zeigt aber, dass es doch geht. Auch die Berichterstattung dient der Integration – nach dem Motto: Nur wer weiß, was passiert, kann mit-machen. So hilft Amal den Lesern, sich in ihrer neuen Umgebung zu Hause zu fühlen.

 

Inwieweit hat „Amal, Berlin!“ den Anspruch, auch deutschsprachige Leserinnen und Leser einzubeziehen? In welche Richtung soll „Amal, Berlin!“ in Zukunft entwickelt werden?
Als Amal, Hamburg! startete, gab es unter den Lesern des Hamburger Abendblattes eine heftige Debatte: Warum berichtet ihr nicht auf Deutsch? Indem ihr auf Arabisch und Farsi/Dari berichtet, verhindert ihr, dass die Leute Deutsch lernen, so der Vorwurf. Wir sehen das anders: Es gibt ja viele Zeitungen und Web-Portale, die auf Deutsch berichten. Es gab aber bislang noch kein Nachrichtenangebot, wo sich Menschen informieren können, die noch nicht genug Deutsch lesen können, um diese Zeitungen zu verstehen. Das macht jetzt Amal. Wir finden, dass Leute auch schon wissen sollen, was passiert, bevor sie Deutsch gelernt haben. Natürlich ist unser Amal-Blickwinkel auf die Gesellschaft auch für deutsche Leser interessant. Deswegen arbeiten wir mit deutschen Medien zusammen, die unsere Texte in Übersetzung veröffentlichen. Diese Kooperationen möchten wir ausbauen. Geplant sind auch weitere Veranstaltungen zu aktuellen politischen und gesellschaftlichen Themen und wir würden gerne helfen, auch in anderen Städten Amal-Redaktionen aufzubauen. Wir sind ja nicht das einzige Projekt in diesem Bereich. Gerade erst haben wir ein bundesweites Treffen mit anderen Exil-Medienprojekten veranstaltet. Dabei wurde ganz deutlich: Die deutsche Medienlandschaft ist in den vergangenen Jahren ein gutes Stück bunter geworden.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019.


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