Max Schön - 28. Mai 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur

„Bist Du auch ein Funke?“


Fünf Fragen an Max Schön über die Aktion „Kulturfunke“

Gemeinsam mit dem Lübecker Kulturtreibhaus entwickelte die Possehl-Stiftung die Aktion „Kulturfunke“: Freie Künstler und Kulturschaffende, die durch das Raster der gängigen Förderangebote in der Coronakrise fallen, können sich mit einem künstlerischen Projekt um eine Förderung bewerben. Für ihre Aktion ist die Lübecker Possehl-Stiftung mit dem Deutschen Kulturförderpreis ausgezeichnet worden. Der vom Kulturkreis der deutschen Wirtschaft im BDI e.V. und dem Handelsblatt vergebene Preis würdigt mit dem erstmalig ausgeschriebenen „Sonderpreis für ein herausragendes Kulturprojekt im Kontext von Covid 19“ die Aktion „Kulturfunke“ der Initiative Kulturtreibhaus als flexible und nachhaltige Unterstützung der Kulturszene.

 

Die Possehl-Stiftung hat bereits vor einem Jahr gemeinsam mit dem Lübecker Kulturtreibhaus, einer freien Initiative von Kulturschaffenden und -institutionen, die Aktion „Kulturfunke“ ins Leben gerufen. Was steht dahinter; was soll erreicht werden?

Schon im März 2020 wurde deutlich, dass der Lockdown längerfristige Einschränkungen gerade für die Freie Szene zur Folge haben wird. Nach vielen Gesprächen mit Betroffenen und Vertretern von Kulturinstitutionen entstand die Idee, Künstlern und Kulturschaffenden vor Ort zu helfen, die durch das Raster der bisherigen Hilfen fallen. Unser Förderangebot sollte zeitnah, unbürokratisch und beweglich sein. Das passt zu unserer Stiftungs-Satzung, das Gemeinwesen, Kultur und Wissenschaft in der Hansestadt zu fördern. Innerhalb von zwei Wochen haben wir die Aktion geplant und umgesetzt. Mit dem „Kulturfunken“ möchten wir freie Künstler und Kulturschaffende ermutigen, auch in dieser herausfordernden Zeit nach vorne zu denken und weiterhin künstlerisch zu arbeiten. Es sind ja nicht nur die fehlenden Einnahmen, sondern auch der kreative Stillstand, der die Menschen beschäftigt und oft auch verzweifeln lässt.

 

Was unterscheidet die Aktion „Kulturfunke“ von anderen Kulturförderprogrammen, die bedingt durch die Coronakrise ins Leben gerufen wurden?

Unser Alleinstellungsmerkmal ist die Förderzusage in Verbindung mit einem verbindlichen Aufführungs- bzw. Projektzeitraum, um Kultur auch in kürzester Zeit zu erleben. Der Kulturfunke ist eine sichtbare und nachhaltige Kulturförderung, das hat offenbar auch die Jury des Deutschen Kulturpreises überzeugt. Kulturschaffende aus ganz Deutschland können sich mit einem Vorhaben um Projektförderungen in Höhe von jeweils bis zu 6.000 Euro bewerben und unmittelbar nach Bewilligung ihre Projektmittel abrufen, auch wenn der Zeitpunkt ihrer Aktion in der Zukunft liegt oder vielleicht wegen veränderter Vorschriften verschoben werden muss. Die Hilfe kommt sehr schnell dort an, wo sie gebraucht wird. Über die konkrete Aktion ist aber noch mehr entstanden. Das Team des Kulturtreibhauses hat in einem ehemaligen Fahrradladen in der Lübecker Altstadt ein festes Quartier bezogen. Dort können sich die Kulturschaffenden beraten lassen, sich miteinander vernetzen und gemeinsam neue Projekte entwickeln. All das, was vor Ort passiert, wird auf der Veranstaltungsplattform kulturfunke.de veröffentlicht.

 

Bereits die dritte Ausschreibungsrunde von „Kulturfunke“ ist aufgelegt. Was sind Ihre bisherigen Erfahrungen?

Es hat sich etwas verändert in Lübeck. Trotz des inzwischen zweimaligen Stillstands wurde eine neue, freudige Spannung, eine Art „kulturelle Dauervibration“ spürbar. Die Identifikation ist aufseiten der Kulturschaffenden sehr hoch – „Bist Du auch ein Funke?“ – ebenso der Bekanntheitsgrad bei den Lübeckerinnen und Lübeckern. Die Stadt wurde und wird von Kulturveranstaltungen, neuen Formaten und Zusammenschlüssen bereichert, neue Stadträume – wie leer stehende Geschäftsräume, Spielplätze, öffentliche Orte und Wände – werden bespielt, und der Sommer kommt 2021 nun zum zweiten Mal als neue „Kulturspielzeit“ hinzu. Kultur macht sich durch unsere Aktion auf den Weg zu ihrem Publikum mit oft niedrigschwelligen Angeboten. Es wird genreübergreifend –“crossover“ – experimentiert, neues Publikum wird durch zufällige Begegnungen im Stadtraum gewonnen. Und: Einem breiten Publikum wird – trotz Krise – der niedrigschwellige, stetige und größtenteils kostenfreie Zugang zu Kultur ermöglicht. Mit unserer Aktion hoffen wir auch, zu einem wichtigen kulturpolitischen Diskurs über kulturelle Teilhabe anzuregen. Wir gehen vielmehr in den Austausch mit den Akteuren, denken neu, nach vorne, in alle Richtungen. Kultur nur an den dafür vorgesehenen Spielorten zu erleben, funktioniert gerade nicht, da sind neue kulturelle Denkräume gefragt.

 

Bis Juli dieses Jahres werden 1.700 Kulturveranstaltungen, die zum Teil auch neue Räume in der Stadt erschließen, im Rahmen von „Kulturfunke“ stattgefunden haben. Wie ist der Resonanz bei den Lübeckerinnen und Lübeckern?

Die Resonanz ist groß und fällt unterschiedlich aus. Eine zufällige Begegnung mit einer Seiltänzerin auf dem Wochenmarkt löst andere Empfindungen aus als ein Konzert in einem Pflegeheim oder eine intensive Begegnung im 1:1 Concert im Stadtraum. Aus den Reaktionen der Menschen spricht aber in der Regel Berührung und Begeisterung. Das erfahren wir nach wie vor fast täglich über Briefe, Anrufe und bei persönlichen Treffen. Viele Lübeckerinnen und Lübecker haben über unsere Kulturfunke-Crowdfunding-Plattform kleinere und größere Beträge gespendet, um ihre Solidarität mit den Kulturschaffenden zu zeigen. Wir spüren ein großes Gemeinschaftsgefühl, das ist wirklich sehr wertvoll und zeigt einmal mehr, was Kulturförderung  bewirken kann.

 

Wie geht es ab Juli für „Kultur-funke“ weiter?

Wir freuen uns auf die vielen neuen und erprobten Formate, die uns über einen hoffentlich frohen und offenen Sommer bis in den Winter begleiten werden. Die dritte Ausschreibung lief bis Mitte Mai, mit noch mehr Anträgen als bisher, und wir sind gespannt auf die neuen Ideen der Künstlerinnen und Künstler. Wie sich der „Kulturfunke“ dann weiterentwickelt, wird sich spätestens Ende des Jahres zeigen. Es ist ein auf Flexibilität basierendes Förderprogramm, das aktuelle gesellschaftliche Bedarfe und Entwicklungen aufnimmt und widerspiegelt. Vorsichtshalber haben wir den „Kulturfunken“ beim Deutschen Patent- und Markenamt als Marke schützen lassen. Wir bekommen viel positives Feedback von Künstlerinnen und Künstlern auch außerhalb Lübecks, die uns die Einzigartigkeit und Besonderheit dieses Programms spiegeln, das es offenbar in der Form in anderen Städten nicht gibt. Wir würden uns freuen, wenn der Funke überspringt und auch andere Stiftungen, Unternehmen und fördernde Einrichtungen ein solch sichtbares und nachhaltiges Entwicklungsprogramm für ihre jeweiligen Städte und Regionen und deren freie Kulturszene auflegen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2021.


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