17. Februar 2023 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturpolitischer Wochenreport

KW 7: Karneval: Kultur oder Zumutung?


Sehr geehrte Damen und Herren,

 

mit den Jahreszeiten ist es so eine Sache… Fast jeder hat Erinnerungen oder Bilder von Jahreszeiten. Verschneite Winterlandschaften, leuchtende Sommer, glühende Herbstlichter oder das erste zarte, wärmende Licht des Frühlings. Diese Bilder sind oft verbunden mit Assoziationen zu Gerüchen, Geschmacksnuancen und anderem mehr. Jedes dieser Bilder ist individuell und geprägt durch Erfahrungen, Erlebnisse und nicht zuletzt durch Erzählungen. Eine regionale Besonderheit in dieser immer wiederkehrenden Abfolge ist die fünfte Jahreszeit, der Karneval, die Fastnacht, der Fasching.

 

Für Karnevalisten gehört die fünfte Jahreszeit zum Jahreszyklus dazu. Sie ist ein fester Bestandteil nicht nur im Feiertagskalender. Gestern hat die Hochzeit des Karnevals, der Straßenkarneval, begonnen.

 

Doch die fünfte Jahreszeit hat nicht nur Freunde. Außerhalb des närrischen Treibens hat man für dieses Brauchtum oft nur Hohn und Spott übrig. Schunkelnde, angeheiterte Narren, die Helau oder Alaaf brüllen, sind für Nicht-Karnevalisten pure Unkultur. Und in den Hochburgen des närrischen Treibens wird man schnell, ohne zu fragen, mit einem Bützchen – für Nicht-Karnevalisten: Küsschen – bedacht, verliert man an Altweiber den Schlips und wird gerne zum Mittanzen genötigt. Wer das nicht mag, dem bleibt nur die Flucht.

 

Gewöhnungsbedürftig ist die fünfte Jahreszeit in der Regel für jene, die nicht mit ihr groß geworden sind. Wer nicht schon als Kind die »Schull- un Veedelszöch« mitgemacht hat, wer das Hinarbeiten und Hinfiebern auf den Straßenkarneval nicht von klein auf miterlebt hat, das sorgfältige Überlegen der Kostümierung, die Vorbereitung von Sitzungen, das Einüben von Tänzen, das Trainieren von Büttenreden und vielem anderen mehr, dem ist die fünfte Jahreszeit oft unheimlich.

 

Doch was ist Karneval eigentlich, Kultur oder Zumutung? Fasching, Fasnacht, Fasnet, Fassenacht, Fastabend, Fasteleer, Fastelovend, Fastnacht, Karneval ist Kulturgut vom Feinsten. Man feiert ausgelassen bis Aschermittwoch, dann beginnt die traditionelle 40-tägige Fastenzeit, die am Osterfest endet. Mindestens seit dem Mittelalter gibt es diesen »christlichen« Brauch, bei dem gerne die Herrschenden, Staat wie Kirche, persifliert werden.

 

Dass Karneval Kultur ist, sieht auch die Deutsche UNESCO-Kommission so. Seit 2014 wurden der »Rheinische Karneval mit all seinen lokalen Varianten« und die »Schwäbisch-alemannische Fastnacht« in das bundesweite Verzeichnis immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Sie gehören im bundesweiten Verzeichnis immateriellen Kulturerbes zu den Bräuchen und Festen im Jahresverlauf. Andere Feste und Bräuche sind beispielsweise das Sternsingen, das Biikebrennen, die Passionsspiele Oberammergau, die Bergparaden und Bergaufzüge in Sachsen und andere mehr. Der Aufnahme ging ein mehrstufiges Bewerbungsverfahren voraus, dessen Impuls aus der Zivilgesellschaft, also den Vereinen, kam.

 

Die Besonderheit des immateriellen Kulturerbes ist, dass es eben kein Erbe ist, das konserviert werden soll, sondern dass es vielmehr lebendige und praktizierte kulturelle Traditionen und Ausdrucksformen sein müssen. Im Bundesweiten Verzeichnis immateriellen Kulturerbe aufgenommene Ausdrucksformen müssen auf Traditionen beruhen und sich zugleich dynamisch weiterentwickeln. Sie sollen eben nicht nur konserviert werden, sondern sich bei Erhalt des Kerns ständig verändern – nahezu die Quadratur des Kreises.

 

Dem »Rheinischen Karneval mit all seinen lokalen Varianten« wird von der Deutschen UNESCO-Kommission eine einladende Willkommenskultur attestiert, die in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche ihre integrierende Kraft erweist. Auf der Seite der Deutschen UNESCO-Kommission ist zu lesen: »Nach Notzeiten setzte das Fest Impulse zum Wiederaufbau und Flüchtlinge vermochten durch aktive Mitgestaltung Wurzeln in der neuen Heimat zu schlagen. Die Willkommenskultur des Karnevals wirkt sehr einladend. Migranten finden in ihm einen einfachen Zugang zur regionalen Gemeinschaft. Gemeinsam ›jeck‹ zu sein, sich verkleiden, in andere Rollen zu schlüpfen und ausgelassen zu feiern, gehört ebenso zum Karnevalsfest wie das ehrenamtliche und soziale Engagement.«

 

Über die schwäbisch-alemannische Fastnacht ist zu lesen, dass zum »Charakteristikum der Festivitäten schließlich die Totalvermummung und Maskierung der Akteure wurden, wie sie die Fasnet bis heute prägt. Das streng ritualisierte Brauchgeschehen, als dessen Zentralfigur sich nach und nach der Narr herauskristallisiert hat, lebt wesentlich vom Ideenreichtum und kreativen Potenzial der regionalen Volkskunst. Insbesondere die holzgeschnitzten Masken, die ältesten bis zu 250 Jahre alt, sind von herausragender Qualität. Gleiches gilt für die handbemalten Gewänder und Requisiten zahlreicher Figuren.«

 

Der Karneval ist aber nicht erst Kulturgut seit er in das »Bundesweite Verzeichnis immateriellen Kulturerbes« aufgenommen wurde. Kultur und Karneval sind eng verbunden. Zu denken ist an die vielen Musikerinnen und Musiker, die im Karneval Hochsaison haben oder auch an die bildenden Künstlerinnen und Künstler, die einen Teil ihres Einkommens durch das Entwerfen und Bauen von Wagen für die Umzüge erzielen. Ganz abgesehen davon, dass der Karneval ein Sprungbrett für Kabarettisten sein kann.

 

Karneval ist zugleich Ausdruck des bürgerschaftlichen Engagements. Karneval lebt vom Engagement der vielen, die sich in den Vereinen zusammenfinden, Veranstaltungen vorbereiten, Umzüge organisieren, Kamelle werfen und vieles andere mehr leisten. Neben den Karnevalsprofis ist es gerade diese große Laienbewegung, die den Karneval so lebendig macht und ihn im besten Sinne des immateriellen Kulturerbes ständig verändert. Das gilt für die Kostümierung, für die Wagen wie für die Reden.

 

So wie die Jahreszeiten zum Jahreszyklus von Mitteleuropäern gehören, so ist die fünfte Jahreszeit ein fester Bestandteil des Lebens in den Karnevalshochburgen. Sich hierauf einzulassen, ist für Nicht-Karnevalisten, wie ich es bin, ein Abenteuer, doch warum dies nicht einmal wagen und in eine ganz neue, unbekannte Rolle schlüpfen.

 

Ihr

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 


 

2. Kulturfonds Energie Webseite ist online

 

Die Webseite für den Kulturfonds Energie des Bundes ist online. Insgesamt steht für den Förderzeitraum 01.01.2023 bis 30.04.2024 im Kulturfonds Energie des Bundes eine Milliarde Euro zur Verfügung.

 

Hier geht es zur Webseite.

 


 

3. Wir suchen: Der Deutsche Kulturrat stellt ein!

 

Stellenausschreibung: Redaktionsassistenz (TVöD 9a) (w/m/d)

 

Kulturpolitik braucht Kommunikation: Der Deutsche Kulturrat sucht möglichst ab dem 01.04.2023 eine Redaktionsassistenz.

 

Der Deutsche Kulturrat e.V. ist der Spitzenverband der Bundeskulturverbände. Er ist der Ansprechpartner der Politik und Verwaltung des Bundes, der Länder und der Europäischen Union in allen die einzelnen Sparten des Deutschen Kulturrates übergreifenden kulturpolitischen Angelegenheiten. Ziel des Deutschen Kulturrates ist es, kulturpolitische Diskussion auf allen politischen Ebenen anzuregen und für Kunst-, Publikations- und Informationsfreiheit einzutreten.

 

Die Kommunikation ist ein Herzstück dieser Arbeit. Als Redaktionsassistenz arbeiten Sie für die öffentlichkeitswirksame Darstellung des Deutschen Kulturrates sowie seiner Projekte und Initiativen.

 

 

Stellenausschreibung: Projektassistenz (TVöD 9a) (w/m/d)

 

Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, sucht möglichst ab dem 01.04.2023 eine Projektassistenz für das Projekt Initiative kulturelle Integration.

 

Die Initiative kulturelle Integration besteht aus einem breiten Bündnis von 28 Institutionen und Organisationen aus Zivilgesellschaft, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Sozialpartnern, Medien, Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden. Ihre Mitglieder stehen für ein vielfältiges Engagement und den Zusammenhalt in einer pluralen Gesellschaft.

 

 


 

4. Text der Woche: „Boykott, Desinvestment und Sanktionen. Die BDS-Debatte hält den deutschen Kulturbetrieb als Geisel“ von Meron Mendel

 

»Der Nahostkonflikt wird im Plenum gelöst«. Unter diesem – zugegeben etwas ironischen Titel – habe ich im Frühling 2019 einen Diskussionsabend in der Bildungsstätte Anne Frank organisiert. Zu meiner Überraschung wurde die kleine Veranstaltung zum Skandal. Die »Jerusalem Post« warnte vor unserer vermeintlich antiisraelischen Pro-BDS-Veranstaltung, da zu den geladenen Podiumsgästen auch der Journalist Daniel Bax zählte, den der »Jerusalem Post«-Autor als »Israelhasser« beschrieb und mit dem Neonazi Udo Voigt und »Irans Mullah-Regime« verglich. …“

 

Meron Mendel ist Professor für transnationale Soziale Arbeit und Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt am Main

 

 


 

 5. Zum Schluss: Vorstand und Geschäftsführung in Klausur

 

Gestern tagte der Vorstand des Deutschen Kulturrates in einer Klausurtagung in unserer Geschäftsstelle in der Chausseestraße in Berlin-Mitte.

 

Der Vorstand des Deutschen Kulturrates, der Präsident Prof. Christian Höppner, die Vizepräsidentin Dagmar Schmidt und der Vizepräsident Boris Kochan sowie die Stellvertretende Geschäftsführerin Gabriele Schulz und ich haben über viele spannende Themen gesprochen und es gab viele gute Beschlüsse.


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