16. August 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturpolitischer Wochenreport

KW 33: Verwahrlosung der öffentlichen Daseinsversorgung und Marktfetischismus, Künstlersozialabgabe, #Unteilbar Sachsen, ...


... gamescom congress, Jahrestagung der Initiative kulturelle Integration, Heimat, Internationale Konferenz zur Kulturellen Bildung, Buchempfehlung der Woche

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

ob Krankenhäuser, Meldeämter, Schulen, Fahrradwege und, und, und. An vielen Orten in unserem Land kann man die Verwahrlosung der öffentlichen Daseinsversorgung live miterleben. Wann hat diese Beschädigung der Gemeinwohlbereiche begonnen?

 

Ich kann mich noch gut an die „Geistig moralische Wende“ unter Helmut Kohl erinnern, die ein erstes deutliches Vorzeichen für diesen Irrweg war. Doch Kohl war nicht alleine mit seiner Wende. Margaret Thatcher in Großbritannien und Ronald Reagan in den USA waren die großen Geschwister, die damals schon einen deutlichen Vorsprung beim gesellschaftlichen Umbau hatten.

 

Milton Friedmann war der Oberguro dieser Politikergeneration. Er sagte: „Nichts funktioniert besser als der freie Markt“. Er forderte erfolgreich die Minimierung der Rolle des Staates für die Daseinsvorsorge.

 

1998 übernahm Gerhard Schröder die Regierungsgeschäfte in Berlin und setzte mit seinem Bruder im Geiste, dem britischen Regierungschef Tony Blair, die Politik des Abbaus der öffentlichen Daseinsvorsorge nach anfänglichem Zögern nahtlos fort.

 

Auch sie hatten einen Guro, nämlich den amerikanischen Ökonomen Richard Florida. Florida hat versucht, die „Kreative Klassen“, so nannte er die Sammlung von Berufsfeldern, welche mit innovativen Ideen ihre Arbeit ausführen, zu ökonomisieren. Künstler und die sie umgebende Kulturwirtschaft, gehörten zum Kern dieser „Kreativen Klasse“ und auch sie sollten in ein ökonomisches Raster gepresst werden.

 

Letztlich war die „Geistig moralische Wende“ äußerst erfolgreich. Unser Land, wie es heute ist, weniger Daseinsvorsorge, dafür mehr Ökonomie, ist eine unmittelbare Folge dieses zweifelhaften Erfolges. Die Menschen wurden durch diese Maßnahmen nachhaltig verunsichert, sie erleben in ihrem täglichen Leben, was weniger Staat, dafür mehr Markt letztlich praktisch in der Bildung, in der Sozial- und Gesundheitsspolitik und anderen öffentlichen Daseinsbereichen, bedeutet.

 

Doch warum schreibe ich im kulturpolitischen Wochenreport darüber? Weil es mit dem Kulturbereich einen gesellschaftlichen Zweig gibt, der sich in den letzten drei Jahrzehnten mehr als andere gegen diese Veränderung zu Wehr gesetzt hat. Und oftmals war der Kulturbereich auch erfolgreich damit.

Trotz mancher Bemühungen, man denke an das unselige Buch „Der Kulturinfarkt“, ist es den neoliberalen Scharfmachern nicht gelungen, den Kulturbereich nachhaltig zu beschädigen.

 

Natürlich besteht der Kulturbereich nicht hauptsächlich aus einem öffentlich geförderten Bereich, unsere kommerziellen Märkte sind sehr stark. Aber sie sind nicht allein, der öffentlich finanzierte Bereich und der kommerzielle bilden eine sinnvolle Einheit.

 

Öffentliche Kulturinfrastruktur ist kein Auslaufmodell. Öffentlich finanzierte Theater, Museen, Bibliotheken, Soziokulturelle Zentren, die Künstlerförderungsprogramme und vieles andere auch wurden nicht im großen Stil einem Marktfetischismus geopfert. Manchmal ist das Beharren auf dem Status quo eine gute Strategie, um Fehlentwicklungen im großen Maßstab zu verhindern.

 

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 


Stabile Künstlersozialabgabe: Satz liegt auch 2020 unverändert bei 4,2 Prozent

 

Der Abgabesatz zur Künstlersozialversicherung wird auch im Jahr 2020 weiterhin 4,2 Prozent betragen. Er bleibt damit im dritten Jahr in Folge auf vergleichsweise niedrigem Niveau stabil.

 

Künstlersozialabgabe müssen Unternehmen, Vereine und andere Institutionen entrichten, wenn Künstler oder Publizisten für sie freiberuflich tätig sind. Grundlage sind die gezahlten Honorare. Die Künstlersozialabgabe deckt zu 30 Prozent die Kosten der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung freiberuflicher Künstler und Publizisten. Die weiteren Kosten werden zu 20 Prozent durch einen Bundeszuschuss und zu 50 Prozent durch die Versicherten selbst aufgebracht.

 

Seit Januar 2015 prüft die Deutsche Rentenversicherung turnusgemäß bei Unternehmen, ob die Künstlersozialabgabe ordnungsgemäß entrichtet wurde. Der Deutsche Kulturrat hatte sich intensiv für eine Verstärkung des Prüfauftrags der Deutschen Rentenversicherung eingesetzt.

 

Es ist sehr positiv, dass im kommenden Jahr der Künstlersozialabgabesatz stabil bleibt. Durch die Prüftätigkeit wird sichtbar mehr Abgabegerechtigkeit erzeugt.

 


#UNTEILBAR Sachsen – Großdemonstration in Dresden

 

Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität statt Ausgrenzung Demokratie, Menschenrechte, soziale und gesellschaftliche Teilhabe sind nichts, was einfach da ist. Sie müssen täglich erstritten und verteidigt werden. Angesichts der fortschreitenden Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten hat sich das sächsische #unteilbar-Bündnis gegründet, um gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft einzustehen. Mit unserem Bündnisaufruf stellen wir uns deutlich gegen die politische Verschiebung und erteilen Rassismus und Menschenverachtung eine klare Absage. Wir lassen nicht zu, dass Sozialstaat, Flucht und Migration gegeneinander ausgespielt werden. Daher laden wir euch herzlich dazu ein, euch hier dem Aufruf anzuschließen.

 

Weitere Informationen zur Großdemonstration am 24. August 2019 in Dresden sowie zu weiteren Veranstaltungen und Aktionen von #UNTEILBAR Sachsen finden Sie hier.

 


Veranstaltungen des Deutschen Kulturrates
21.08.2019: Spielen versetzt Berge – gamescom congress

 

  • Termin: 21.08.2019 • 12:00 – 13:00
  • Ort: Messegelände Köln (parallel zur gamescom)
  • Aufzeichnung und Ausstrahlung durch WDR3

Milliarden Menschen weltweit lieben digitale Spiele – es sind Menschen mit ganz vielfältigen kulturellen Hintergründen und Lebensumständen. Weil Games zunehmend online gespielt werden, miteinander und gegeneinander, entscheidet schriftliche und verbale Kommunikation nicht nur über Sieg und Niederlage, sondern auch über die Qualität der menschlichen Erfahrung im Spiel. Spiele bauen Brücken, überwinden Gräben und lassen ungewöhnliche Freundschaften entstehen. Gleichzeitig können Spielinhalte aber auch Sichtweisen auf Kulturen und gesellschaftliche Minderheiten kultivieren und verfestigen. Das Panel diskutiert im Rahmen einer Kooperation mit der „Initiative kulturelle Integration“ und in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Kulturrat die Integrationskraft von Computerspielen als gemeinsame, kulturübergreifende Erfahrung und die Möglichkeiten und Herausforderungen in einer sich zunehmend diversifizierenden Gesellschaft. WDR3 zeichnet die Diskussion auf.

 

Diskussion mit:

  • Prof. Dr. Linda Breitlauch, Professorin für Game Design, Hochschule Trier
  • Aiman Mazyek, Vorsitzender, Zentralrat der Muslime in Deutschland
  • Kathrin Trattner, Lehrbeauftragte und Doktorandin, Karl-Franzens-Universität Graz
  • Olaf Zimmermann, Geschäftsführer Deutscher Kulturrat, Sprecher der Initiative kulturelle Integration

 

Weitere Informationen finden Sie hier!

 


21.08.2019: Workshop „Flucht und Spiel“ – gamescom congress

 

  • Termin: 21.08.2019 • 15:15
  • Ort: Messegelände Köln (Parallel zur gamescom)

 

„Flucht und Spiel“ titelt der Workshop, der am 21. August 2019 um 15.15 Uhr an die Paneldiskussion „Spielen versetzt Berge“ anschließt.

Die Teilnehmer erwartet eine detaillierte Analyse des Spiels Path Out. Nach einer vorausgehenden, spielhistorischen Verortung durch Felix Zimmermann erhalten Sie – zusammen mit Abdullah Karam, dem Protagonisten des Spiels, und dem Produzenten Georg Hobmeier – einen exklusiven Einblick in den Entwicklungsprozess. Sie testen einzelne Szene an, setzen sich mit der autobiografische Erzählweise des Spiels und dem speziellen Format des „Documentary Gamedesigns“ auseinander. Eine der Kernfragen ist das Alleinstellungsmerkmal derartiger Spiele im Kultur- oder Bildungskontext: Welche Art von Erfahrungsräumen kann ein Spiel wie Path Out eröffnen, die anderen Medien sonst verschlossen bleiben?

 

Der Workshop ist Teil einer Kooperation mit der „Initiative kulturelle Integration“ und dem Deutschen Kulturrat.

 

Weitere Informationen finden Sie hier!

 


03.09.2019: Zweite Jahrestagung der Initiative kulturelle Integration

 

Im dritten Jahr ihres Bestehens lädt die Initiative Integration am 3. September 2019 ab 10.00 Uhr zu ihrer Jahrestagung in die Michael Blumenthal Akademie des Jüdischen Museums in Berlin.

 

Einen „Klimawandel in der Kommunikation“ weg von der „Empörungsdemokratie“ fordert der Medienwissenschaftler Prof. Dr. Bernhard Pörksen der Universität Tübingen, der den Eröffnungsvortrag halten wird.

 

Vor dem Hintergrund der bereits stattgefundenen Europaparlamentswahlen und der drei anstehenden Landtagswahlen in Deutschland, sowie der Jubiläen: 70 Jahre Grundgesetz, 30 Jahre Wiedervereinigung und 100 Jahre Weimarer Republik soll in diesem Jahr das Thema „Zusammenhalt und Demokratie“ den Fokus der Jahrestagung bestimmen. Dabei wird hierzu insbesondere die Rolle der Medien kritisch zu beleuchten sein.

 

Kulturstaatsministerin Prof. Monika Grütters, MdB und die Präsidentin des Deutschen Kulturrates Prof. Dr. Susanne Keuchel eröffnen die Tagung.

 

Anschließend diskutieren prominente Vertreter verschiedener Medienrichtungen über die Demokratiewachsamkeit in Zeiten des sogenannten Strukturwandels der Öffentlichkeit durch die digitalen Medien.

 

Am Nachmittag findet ein Perspektivwechsel von den „Sendern“ zu den „Empfängern“ von Informationen statt. In einer zweiten Diskussionsrunde wird die Frage gestellt: Was tun wir und tun wir genug, um Bürgerinnen und Bürgern, egal ob oder ohne Migrationshintergrund, die Chance zu geben, sich zu bilden und zu informieren, um an demokratischen Prozessen teilhaben zu können? Hier sollen auch Sie zu Wort kommen. Diese Podiumsrunde diskutiert im Fischbowl-Format, sodass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer während der Diskussion Ihre Meinungen, Ideen und Argumente unmittelbar einbringen können.

 

  • Das Programm der Jahrestagung sowie das Anmeldeformular finden Sie hier.
  • Die Teilnahme an der Jahrestagung ist kostenlos.

 


06.09.-07.09.2019: Geht Heimat immer nur verloren oder kann sie neu entstehen?

 

Leipzig: Freitag, den 06.09. bis Samstag, den 07.09.2019

 

Ein kritischer Blick auf den Kulturbegriff Heimat. Die Veranstaltung ist ein Kooperationsprojekt mit dem BUND, mit Unterstützung durch den Rat für Nachhaltige Entwicklung.

 

Das Programm:

16:30 Uhr: Lesung von Regine Möbius „Schneisen der Zeitgeschichte“ im Museum der bildenden Künste Leipzig

 

18.30 Uhr: Diskussion inmitten des Museums der bildenden Künste Leipzig:

 

Geht Heimat immer nur verloren oder kann sie neu entstehen? Kritischer Blick auf den Kulturbegriff Heimat

 

  • Grußwort des Museums der bildenden Künste Leipzig
  • Begrüßung: Susanne Keuchel, Präsidentin Deutscher Kulturrat
  • Intermezzo: Sprachkultureller Beitrag von Gunter Böhnke
  • Einführung: Helix Heyer, BUNDjugend

 

Podiumsdiskussion:

  • Regine Möbius (Schriftstellerin)
  • Valerie Schönian (Journalistin, Schriftstellerin)
  • Hubert Weiger (Vorsitzender BUND)
  • Olaf Zimmermann (Geschäftsführer Deutscher Kulturrat)

 

Moderation: Reinhard Bärenz, Leiter der Hauptredaktion Kultur MDR

 

Die Podiumsdiskussion wird aufgezeichnet und zu einem späteren Zeitpunkt vom MDR Hörfunk gesendet.

 

Am Samstagvormittag (07.09.2019) gibt es ein zusätzliches Programm-Angebot im Neuseenland, einem ehemaligen Braunkohle-Tagebaugebiet. Dieses wird vom BUND Leipzig organisiert. Dabei sollen auch Gespräche mit Betroffenen geführt werden, die früher hier lebten und durch den Braunkohlebergbau ihre Heimat verloren haben. Gemeinsam erleben wir mit Bus und Boot, wie Heimat zerstört wurde und vollkommen anders neu entstanden ist.

 

Hier können Sie sich anmelden.

 


Kooperationsveranstaltung
28.10. – 01.11.2019: Internationale Konferenz zur Kulturellen Bildung in Frankfurt

 

Am 28. Oktober 2019 beginnt in Frankfurt/M die internationale Konferenz, die die Entwicklung der kulturellen Bildung seit der „Seoul Agenda“ der UNESCO von 2010 kritisch untersucht.

 

150 Expertinnen und Experten aus 44 Ländern werden berichten, ob und wie sich der Zugang und die Teilhabe an kultureller Bildung weiterentwickelt hat und ob die Ziele dieser Agenda erreicht wurden.

 

Im Mittelpunkt stehen dabei die künstlerischen Schulfächer Kunst, Musik, Theater und auch Tanz, der in manchen Ländern ebenfalls in Schulen verankert ist. Die UNESCO und alle ihre Mitgliedsstaaten sowie die Konferenz-Veranstalter gehen davon aus, dass die allseits geforderte kulturelle Teilhabe aller Kinder und Jugendlichen nur gewährleistet ist, wenn Schulen das leisten. Nur dann kann wirklich jede/r sich in diesen Bereichen bilden, unabhängig von Lebensort und sozialer Situation. Und nur dann können qualifi-zierte Lehrkräfte unterrichten und künstlerische Projekte in pädagogisch-fachlicher Qualität anleiten

 

Am Donnerstag, 31. 10., gibt die Stadt Frankfurt einen offiziellen Empfang im Kaisersaal des Römers, Bildungsdezernentin Sylvia Weber und die Präsidentin des Deutschen Kulturrates, Prof. Susanne Keuchel wird die Gäste begrüßen.

Das Konferenz-Programm umfasst Berichte aus mehr als 44 Ländern, etwa 60 kurze akademische Vorträge. Der Deutsche Kulturrat ist Kooperationspartner der Tagung.

 

 


Buchempfehlung der Woche: Die dritte Säule – Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik

 

Wie schaut die Welt auf Deutschland? Und wie sieht Deutschland seine fernen und nahen Nachbarn? Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik, kurz AKBP, liefert Antworten auf beide Fragen zugleich. Denn spätestens seit den 1960er Jahren ist sie als dritte Säule der deutschen Außenpolitik neben Außenwirtschaftspolitik und klassischer Diplomatie anerkannt. AKBP kennzeichnet Deutschland weltweit als Kulturstaat, der aktiv in den Dialog mit der internationalen Gemeinschaft der Staaten tritt, um Verbindungen zu anderen Kulturen und Ländern herzustellen, zu pflegen und deutsche Interessen im Ausland zu fördern. AKBP schafft Dialogräume und baut Brücken – von Deutschland aus in die ganze Welt.

 

Artikel aus 17 Jahren Politik & Kultur geben einen umfassenden Einblick in die deutsche Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik.

 

Sie zeigen, was aus theoretischer und praktischer Perspektive unter dem Kürzel AKBP zu verstehen ist, welche Aufgaben und Funktionen sie hat, wie AKBP hilft, Krisen weltweit zu bewältigen und vor allem vorzubeugen. Es wird aufgezeigt, wie über das Deutschlandbild im Ausland politisch debattiert und entschieden wurde. Außerdem wird beleuchtet, welche Akteure auf welche Art und Weise die Bundesrepublik in der ganzen Welt vertreten, besonders welche Rolle die zivilgesellschaftlichen Mittlerorganisationen in der AKBP spielen. Thema ist auch der deutsche Auslandsrundfunk, die Deutsche Welle. Zentrale Frage ist, wie deutsche AKBP in Europa, im Nahen Osten, in Afrika, in Nord- und Südamerika, in Asien und in Australien gelingt. Deutlich wird, dass Innen und Außen in der Kulturpolitik mehr zusammengedacht werden müssen.

 

Hg. v. Olaf Zimmermann und Theo Geißler ISBN: 978-3-947308-08-8, 552 Seiten, 22,80 EURO

 


 

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