13. Dezember 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturpolitischer Wochenreport

KW 50: Kulturpolitischer Glücksfall: Einigungsvertrags zwischen BRD + DDR, Gerhart R. Baum erhielt Kulturgroschen 2019, ...


... Tagung - Erinnerung an die Shoah wachhalten, Heimat gestalten, Kulturpolitischer Text der Woche, Weihnachtsgeschenk-Empfehlung

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

am Dienstagabend haben wir feierlich zum 25. Mal den Kulturgroschen des Deutschen Kulturrates verliehen. Der Geehrte, Bundesinnenminister a.D. Gerhart R. Baum, hat wie wenig Andere die Kulturpolitik in den Vorwendejahren mitgestaltet. Auch der Deutsche Kulturrat wäre ohne sein Engagement wohl nicht 1981 gegründet worden.

 

Es macht uns stolz, dass Gerhart R. Baum in seiner Dankesrede auf die Laudatio von Isabel Pfeiffer-Poensgen, Kulturministerin von NRW, sagte: „Der Deutsche Kulturrat ist unverzichtbar für das kulturpolitische Leben in Deutschland.“

 

Die schöne Feierstunde, das erste Mal in Zusammenarbeit mit unseren neuen Partner, der Staatsbibliothek zu Berlin im frisch wiederhergestellten Wilhelm-von-Humboldt-Saal, erlaubt einen Blick in die kulturpolitischen Wendejahre vor 30 Jahren.

 

Vom 3. bis 5. Oktober 1989 veranstaltete der Deutsche Kulturrat den kulturpolitischen Kongress „Nach 40 Jahren – ein bisschen weise?“ in Bonn.

 

Wohl niemand hat damals Anfang Oktober 1989 daran gedacht, dass fast auf den Tag genau ein Jahr später fünf neu gegründete Länder der Bundesrepublik Deutschland beitreten. Sowohl die DDR als auch die alte Bundesrepublik wollten mit ihren 40-Jahr-Feiern doch vor allem den Erfolg dokumentieren und belegen, dass sie jeweils das „bessere“ Deutschland sind. Zwar wurde vonseiten der Bundesrepublik immer noch die Fahne der angestrebten Wiedervereinigung hochgehalten, doch Jahrzehnte Westbindung und das Bekenntnis zu einem einigen Europa ließen die Wiedervereinigung gefühlt in weite Ferne rücken.

 

Und dann, erst die Rufe „Wir sind das Volk“ und schließlich über „Die Mauer muss weg“ zu „Wir sind ein Volk“.

 

Innerhalb kürzester Zeit fanden alte Gewissheiten, alte Zuständigkeiten, alte Strukturen ein Ende. In der Kulturpolitik trafen über 40 Jahre gewachsene Strukturen aufeinander, die nicht kompatibel waren. Das hatte vor allem für die Künstlerinnen und Künstler, die Kultureinrichtungen und die Kulturverantwortlichen in Ostdeutschland Auswirkungen.

 

Doch der Einigungsvertrags zwischen der BRD und der DDR erwies sich durch seinen Art. 35 als ein wahrer Glücksfall für die Kultur. Art. 35 und hier insbesondere Abs. 2 und Abs. 7 boten die Grundlage für das finanzielle Engagement des Bundes für die Kultur in den neuen Ländern:

 

Abs. 2: Die kulturelle Substanz in dem in Art. 3 genannten Gebiet darf keinen Schaden nehmen.
Abs. 7: Zum Ausgleich der Auswirkungen der Teilung Deutschlands kann der Bund übergangsweise zur Förderung der kulturellen Infrastruktur einzelne kulturelle Maßnahmen und Einrichtungen in dem in Art. 3 genannten Gebiet mitfinanzieren.

 

In den Jahren 1991 bis 1993 wurden rund drei Milliarden DM allein aus Kulturmitteln für die Übergangsfinanzierung zur Verfügung gestellt. Dazu zählten das Substanzerhaltungsprogramm und das Infrastrukturprogramm. Die Übergangsfinanzierung zielte auf den Umbau von Kultureinrichtungen ebenso wie die Neuausrichtung ab.

 

Einige Kultureinrichtungen wie z. B. die Stiftung Weimarer Klassik, die Stiftung Bauhaus in Dessau oder auch die Gedenkstätte Buchenwald wurden als Kultureinrichtungen von bundesstaatlicher Bedeutung in die Kulturförderung des Bundes einbezogen.

 

Das Denkmalschutzsonderprogramm galt für die Jahre 1991 bis 1993. Es sollte dabei helfen, Kulturdenkmäler zu sichern, zu erhalten und zu restaurieren. Hieran schloss sich 1995 das Denkmalschutzsonderprogramm „Dach und Fach“ an, bei dem es vor allem darum ging, Baudenkmäler mit regionaler Bedeutung zu sichern.

 

Darüber hinaus wurden Mittel für die gesamtstaatliche Repräsentation in Berlin zur Verfügung gestellt, die 1993 in den Hauptstadtvertrag mündeten, der auch dazu dienen sollte, die freie Szene in Berlin zu unterstützen und experimentelle Kunst zu ermöglichen.

 

Das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, heute Bundesministerium für Bildung und Forschung, stellte im Rahmen des Qualifizierungsprogramms Mittel zur Verfügung, die sich u. a. auch an den Kulturbereich richteten. Ein Beispiel hierfür ist der beim Deutschen Kulturrat angesiedelte Qualifizierungsfonds Kultur, der darauf abzielte, Akteure aus dem Kultur- und Medienbereich für die neuen Formen der Finanzierung oder die Marktbedingungen zu qualifizieren.

 

Das Familienministerium stellte Mittel für den Aufbau Freier Träger zur Verfügung, die dazu dienen sollten, Vereine und Verbände in den neuen Ländern zu transformieren bzw. aufzubauen. Auch Kulturorganisationen bzw. Vereine der kulturellen Bildung konnten hieran partizipieren.

Das starke Engagement des Bundes in den neuen Ländern hat die Türe für eine Neuverteilung der kulturpolitischen Kompetenzen zwischen Bund und Ländern einen Spalt geöffnet. Das Amt der Beauftragten für Kultur und Medien im Bundeskanzleramt (BKM) konnte als direkte Folge dieser Öffnung im Bundeskanzleramt eingerichtet werden. Das BKM hat sich in den mehr als zwei Jahrzehnten seiner Existenz sehr gut entwickelt und Reputation erworben, sodass es fälschlicherweise oft als Ministerium wahrgenommen wird.

 

Vor dreißig Jahren waren die Politiker beim Abfassen des Einigungsvertrags kulturpolitisch sehr mutig. In den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob Bund und Länder auch heute bereit sind, Mut zu zeigen und die Türe endlich ganz zu öffnen. Wann kommt endlich das Bundeskulturministerium?

 

Mit freundlichen Grüßen

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

 

PS. Die Geschichte der neuen Bundeskulturpolitik, ihre Höhen und Tiefen, wird in dem Buch des Deutschen Kulturrates „Wachgeküsst – 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes 1998 – 2018“ vorgestellt und bewertet.

PSS. Ja, wir haben die Wiedervereinigung vergeigt, habe ich im Kulturpolitischen Wochenreport 44. KW geschrieben. „Nein, die Wiedervereinigung ist kein verschossener Elfmeter!“ hat jetzt Klaus Ulrich Werner, Leiter der Philologischen Bibliothek an der Freien Universität Berlin, geantwortet. Ich freue mich über weiteren Zu- und Widerspruch.

 


 

Gerhart R. Baum erhielt Kulturgroschen 2019

 

Bundesinnenminister a.D. Gerhart R. Baum erhielt am 10. Dezember 2019 den Kulturgroschen 2019 des Deutschen Kulturrates.

 

Der Deutsche Kulturrat würdigte Gerhart R. Baums herausragendes kulturpolitisches Engagement. Der Kulturgroschen ist die höchste Auszeichnung, die der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, vergibt.

 

Die Verleihung des Kulturgroschen 2019 an Gerhart R. Baum fand im Wilhelm-von-Humboldt-Saal der Staatsbibliothek zu Berlin statt.

 

Die Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin Barbara Schneider-Kempf, die Präsidentin des Deutscher Kulturrates Prof. Dr. Susanne Keuchel und der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Prof. Dr. Hermann Parzinger begrüßten die Gäste zur Verleihung des Kulturgroschen 2019.

 

In der Laudatio unterstrich Isabel Pfeiffer-Poensgen, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, Gerhart R. Baums allumfassendes Engagement für Kunst und Kultur. Sie sagte, Baum sei ein Bürger, den eine Demokratie brauche und scheue sich nicht, Minderheitenpositionen zu vertreten.

 

In seinen Dankesworten betonte Gerhart R. Baum unter anderem die Bedeutung der Kunstfreiheit, die es vehement gegen Angriffe zu verteidigen gilt.

 

Die herausragende Flötistin Dorothee Oberlinger rundete das Programm musikalisch ab.

 


 

Einladung: 28. 01. 2020 Tagung – Erinnerung an die Shoah wachhalten

 

Wann: Dienstag, 28. Januar 2020 10.00 bis 17.00 Uhr
Wo: Deutschlandfunk Kultur, Hans-Rosenthal-Platz, 10825 Berlin

 

Die Shoah ist das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte. Sie nimmt daher in der Erinnerungskultur in Deutschland einen besonderen Platz ein. Die Erinnerung an die Shoah wachzuhalten und weiterzugeben, ist eine dauernde Verpflichtung aller in Deutschland lebenden Menschen. Das schließt ein, sich entschieden gegen jede Form des Antisemitismus zu wenden. Die Tagung „Erinnerungskultur“ beschäftigt sich mit der Frage, wie wir in der Zukunft an die Shoa erinnern sollen? Gerade in einer Zeit, in der Rechte eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordern und ein Schlusstrich unter das Erinnern an die Shoah ziehen wollen, ist es notwendig, klare Antworten zu geben: Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist nie abgeschlossen.

 

Deshalb veranstaltet die Initiative kulturelle Integration am 28. Januar in Berlin die Tagung: Erinnerung an die Shoah wachhalten.

Eröffnet wird die Tagung durch Staatsministerin Annette Widmann-Mauz, Die Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und Mark Dainow, Vizepräsident des Zentralrates der Juden in Deutschland.

 

Den Auftakt bilden Impulsvorträge der Kulturwissenschaftlerin und Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels Prof. Dr. Aleida Assmann sowie des Historikers Prof. Dr. Norbert Frei, gefolgt von einer Response des israelischen Soziologen Prof. Dr. Natan Sznaider.

Am Nachmittag werden die zentralen Fragen der Erinnerungsarbeit vertieft und in Workshops zu den Themen Erinnerung in einer multiethnischen Gesellschaft, Verlockung der Historisierung, Erinnerung in der Zivilgesellschaft und neuen Formen der Erinnerung, insbesondere auch im künstlerischen Bereich diskutiert.

 

Referentinnen und Referenten sind: Ester Amrami, Dr. Johann Hinrich Claussen, Jo Frank, Prof. Dr. Viola B. Georgi, Prof. Dr. Raphael Gross, Dr. Elke Gryglewski, Dr. Hans Dieter Heimendahl, Prof. Dr. Doron Kiesel, Dr. Dani Kranz, Prof. Dr. Yael Kupferberg, Daniel Lörcher, Dr. Thomas Lutz, Aiman A. Mazyek, Katja Petrowskaja, Ali Ertan Toprak, Dr. Lea Wohl von Haselberg, Dr. Mirjam Zadoff, Felix Zimmermann und Olaf Zimmermann.

 

 


 

Einladung: 08.01.2020 Heimat gestalten

 

Wann: Mittwoch, 08.01.2020 ab 19 Uhr
Wo: Bürgerhaus, Stadtteilverein Bahnstadt e.V., Gadamerplatz 1, 69115 Heidelberg

 

Im Spannungsfeld von Vergangenheit und Zukunft, von gewachsenen Lebensformen und neuem digitalen Zeitalter, von Nostalgie und Utopie, wollen wir erkunden, was eine Stadt lebenswert macht. Denn Städte sind Orte der Utopien, der Kunst, der Imagination, der Heimat.

Die gesellschaftliche Verantwortung der Architektinnen und Architekten und aller anderen am Planungs- und Bauprozess Beteiligten rück immer mehr in den Vordergrund. Denn Architektur ist gebaute Gesellschaft.

Wie gelingt es, Planungskultur zur Mitwirkung im eigenen Lebensumfeld anzuregen? Wie schaffen wir es, kooperative Strukturen zwischen Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung zu entwickeln? Welchen Beitrag können Stadtplaner und Architekten für die Beheimatung von Menschen leisten und was hindert sie daran?

 

Mit dabei sind:

 

  • Theresia Bauer, (Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg)
  • Prof. Michael Braum (Direktor Internationale Bauausstellung Heidelberg)
  • Dr. Brigitte Dahlbender (Landesvorsitzende BUND Baden Württemberg)
  • Philipp Herold (Slam Poet)
  • Prof. Dr. Susanne Keuchel (Präsidentin Deutscher Kulturrat)
  • Prof. Dr. Thomas Potthast (Ethikzentrum der Universität Tübingen)
  • Klaus Staeck (Künstler und ehemaliger Präsident der Akademie der Künste)
  • Prof. Dr. Hubert Weiger (Ehrenvorsitzender BUND)

 

  • Moderation: Sven Scherz-Schade (Journalist)

 

Diese Veranstaltung ist Teil einer Reihe, die der Deutschen Kulturrat gemeinsam mit dem BUND für Umwelt und Naturschutz Deutschenland unter dem Titel „Heimat: Was ist das?“ durchführt.

 

Der Eintritt ist frei.
Bitte melden Sie sich an unter: J.Kober@kulturrat.de

 


 

Der kulturpolitische Text der Woche: „In der Fremde eine Heimat finden – Künstler im Exil „

 

„Im Exil lebende Künstlerinnen und Künstler möchten in aller Regel nicht auf ihre Exilerfahrung reduziert werden. Viele von ihnen haben in der Zwischenzeit Erfolge aufzuweisen, sie haben Bücher herausgegeben, Konzerte gegeben, Preise gewonnen“, schreibt Monika Grütters, MdB, Staatsministerin bei der Bundeskanzlerin und Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.

 

Lesen Sie den ganzen Text hier.

 


 

Die ultimative Weihnachtsgeschenk-Empfehlung für kulturpolitisch interessierte Menschen:  Kolonialismus-Debatte

 

„Pflichtlektüre für alle, die sich mit dem Thema befassen“, schreibt der Informationsdienst Kunst (Nr. 690) über das Buch. Und weiter: „Kolonialismus-Debatte: Bestandsaufnahme und Konsequenzen enthält über 60 Beiträge der wichtigsten Experten und beleuchtet das Phänomen von allen Seiten, mal sachlicher, mal polemischer.“ Hier bestellen!


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