29. November 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kulturpolitischer Wochenreport

KW 48: Staatsstiftung für das Ehrenamt, Veranstaltungen, Großer Erfolg: Film #mehralseinhashtag, ...


Heute Klimastreik von Fridays For Future, Neu: Politik & Kultur, Einladung: Kultur der Dunkelheit, Text: Das Ende des gesellschaftlichen Diskurses, Personalia

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

die CDU/CSU und SPD planen eine rückwärtsgewandte Staatsstiftung für das Ehrenamt. Doch bevor ich zu dieser eigenwilligen Idee unserer Regierung komme, zuerst ein kurzer Blick in die Geschichte des bürgerschaftlichen Engagements.

 

Als im Mai 2002 die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ ihren Abschlussbericht vorlegte, war ein dickes Brett gebohrt worden. Eingesetzt wurde die Enquete-Kommission im Dezember 1999, im Februar 2000 nahm sie ihre Arbeit auf. Zuvor war in einigen internationalen Vergleichsstudien Deutschland ein eher kümmerliches bürgerschaftliches Engagement bescheinigt worden. Ein Ziel der Enquete-Kommission bestand daher auch darin, das vielfältige Engagement der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland aufzuzeigen und seine internationale Wettbewerbsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Primäres Ziel aber war es, die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement in Deutschland nachhaltig zu verbessern. Ich durfte als Mitglied die Arbeit der Enquete-Kommission begleiten.

 

Entstanden ist die Enquete-Kommission auch aus dem Impetus heraus, das Engagement der Bürgerinnen und Bürger zu stärken. SPD und Bündnis 90/Die Grünen waren 1998 mit dem Versprechen in den Wahlkampf gezogen, das Stiftungszivilrecht und das Stiftungssteuerrecht zu reformieren und mehr für das Bürgerengagement zu leisten. Beide Stiftungsreformvorhaben wurden von der rot-grünen Bundesregierung angepackt und für eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages ungewöhnlich, wurde sie in den Beratungsprozess im Deutschen Bundestag intensiv einbezogen.

 

Als die Enquete-Kommission einberufen wurde, gab es den Streit zwischen dem sogenannten alten und neuen Ehrenamt. Dem vermeintlich »alten« in Vereinen und festen Organisationen und dem „neuen“, frei flottierenden, auf Angebot und Nachfrage reagierenden der Freiwilligenagenturen. Das wirklich Erfreuliche an der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ war, dass die Zuschreibungen, ob alt oder neu, überwunden wurden. Der Begriff des Ehrenamts wurde durch den des bürgerschaftlichen Engagements ersetzt und damit deutlich gemacht, dass Engagement sehr viel sein kann: Es kann in Vereinen oder Initiativen stattfinden, es kann die Spende von Zeit oder von Geld bedeuten, es kann zeitlich befristet oder auf Dauer erfolgen und vieles andere mehr.

 

Ein weiteres wichtiges und sehr handfestes Ergebnis der Enquete-Kommission war die Anregung der Gründung des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches Engagement (BBE). Als am 5. Juni 2002 das BBE schließlich gegründet wurde, waren wir alle stolz und hocherfreut, dieses Netzwerk auf den Weg gebracht zu haben. Der Deutsche Kulturrat gehört zu den 28 Gründungsmitgliedern des BBE und ist als Vertreter des Kulturbereiches auch heute noch gesetztes Mitglied im Koordinierungsausschuss.

 

Zehn Jahre nach dem Ende der Enquete-Kommission, in der letzten Wahlperiode (2013 bis 2017), begann die Vorbereitung für die Errichtung einer „Deutschen Engagementstiftung“. Sie sollte das bürgerschaftliche Engagement in Deutschland fördern. Sie war als Förderstiftung, analog der Kulturstiftung des Bundes, geplant und die Zivilgesellschaft sollte – allein aufgrund ihrer Expertise im bürgerschaftlichen Engagement – sowohl im Stiftungsrat als auch aufgrund begrenzter Platzzahl in einem Kuratorium in die Arbeit eingebunden werden. Dadurch sollte gewährleistet werden, dass die Breite des Engagements aufscheint und die Expertise wertgeschätzt wird.

 

Der Berg kreißte und kreißte und gebar schließlich in dieser Wahlperiode die Maus „Deutsche Stiftung für Engagement und Ehrenamt“. Im September dieses Jahres wurde mit der großmütigen Rückmeldefrist von zwei Tagen (sic!) der Referentenentwurf zur Beurteilung unter anderem dem Deutschen Kulturrat zugesandt. Am 25. Oktober 2019 fand die erste Lesung im Deutschen Bundestag statt. Am 9. Dezember 2019 findet eine Anhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend statt. Noch in derselben Woche soll die zweite und dritte Lesung stattfinden, damit die Stiftung im kommenden Jahr ihre Arbeit aufnehmen kann.

 

Der Gesetzesentwurf von CDU/CSU und SPD zur Errichtung der „Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt“ ist eine einzige Enttäuschung. Schon die Namenswahl macht deutlich, dass diese Stiftung ein inhaltlicher Rückfall in die 1990er Jahre ist. Der Begriff „Ehrenamt“ war mit Vorlage des bereits angeführten Enquete-Berichtes ad acta gelegt worden. So bleibt der Gesetzestext samt Begründung auch die Beantwortung der Frage schuldig, was denn nun unter bürgerschaftlichem Engagement und was unter Ehrenamt zu verstehen sei oder ob es sich um Synonyme handelt und der Gesetzgeber meint „doppelt genäht, hält besser“. Vielleicht ist es aber auch einfach nur Unkenntnis.

 

Nicht besser wird es, wenn es um die Beschreibung des Stiftungszweckes in Paragraph 2 bzw. insbesondere die Erfüllung des Stiftungszweckes in Paragraph 3 geht. Da ist unter anderem die Rede von „Service-Angeboten im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements und des Ehrenamts“, von der „Vernetzung von Bund, Ländern, Kommunen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft“, von begleitender Forschung im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements und des Ehrenamtes und, natürlich nicht zu vergessen, zur Förderung von Innovationen, insbesondere von digitalen Innovationen.

 

Man fragt sich beim Lesen des Gesetzesentwurfs, ob Zerstörungswille oder einfach nur Unwissenheit am Werk war. Einige der genannten Aufgaben werden seit nunmehr 17 Jahren erfolgreich vom BBE ausgeführt. Das BBE dient gerade der Vernetzung von Bund, Ländern, Kommunen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Seine trisektorale Struktur trägt ihm dies schon qua Satzung auf und die Vernetzung wird in der praktischen Arbeit mit Leben gefüllt. Warum soll hier eine Parallelstruktur geschaffen werden oder soll es dem BBE ans Leder gehen? Forschung zum bürgerschaftlichen Engagement ist zum Glück fester Bestandteil der Forschungslandschaft. Weitere Förderung täte gut, doch warum eine neue Struktur dafür schaffen. Und ob sich bürgerschaftlich Engagierte vor Ort, die konkret Rat suchen, an eine staatliche Stiftung in Neustrelitz wenden, denn dort soll die Stiftung nach dem Willen von CDU/CSU und SPD ihren Sitz haben, sei dahingestellt.

 

Eine große Enttäuschung ist ferner, dass offenbar gar nicht mehr an eine Förderstiftung analog der Kulturstiftung des Bundes gedacht wird, sondern nunmehr eine operativ tätige Staatsstiftung auf den Weg gebracht werden soll, die von Neustrelitz aus das Feld bestellen soll. Bedauerlich ist auch die Zusammensetzung des 19-köpfigen Stiftungsrats, gerade einmal neun Mitglieder soll die Zivilgesellschaft stellen, schön aufgeteilt nach Einflusssphären des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat, des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft sowie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die nämlich die Vertreter der Zivilgesellschaft nach ihrem Gusto benennen. Wo bleiben hier Kultur, Bildung, Natur- und Umweltschutz, Entwicklungspolitik usw.? Das zuvor zumindest als Feigenblatt vorgesehene Kuratorium, um eine größere Beteiligung der Zivilgesellschaft zu ermöglichen, wurde ganz fallen gelassen. Alles in allem bleibt der Gesetzesentwurf weit hinter den Erwartungen zurück und es stellt sich die Frage, ob die Stiftung überhaupt sinnvolle Arbeit leisten kann.

 

Die Koalition und die Bundesregierung wären gut beraten, die Expertise aus der Zivilgesellschaft einzuholen, bestehende Strukturen nicht zu doppeln und eine echte Förderstiftung zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements auf den Weg zu bringen. Vielleicht wäre es hilfreich, wenn einige der heute Verantwortung tragenden Politikerinnen und Politiker sich den Abschlussbericht der Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ des Deutschen Bundestages aus dem Jahr 2002 durchlesen würden.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Olaf Zimmermann
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
twitter.com/olaf_zimmermann

 

PS. Großer Erfolg: Mehr als 1,2 Millionen Mal wurde bislang der Film #mehralseinhashtag bei YouTube aufgerufen! McDonald’s Deutschland setzt gemeinsam mit der vom Deutschen Kulturrat initiierten Initiative kulturelle Integration mit diesem Film ein Zeichen gegen Vorverurteilung.

 


 

Heute: KLIMASTREIK
Deutscher Kulturrat unterstützt auch den zweiten Klimastreik von Fridays For Future

 

Auch viele Akteure aus Kunst und Kultur haben am 20. September beim größten Klimastreik aller Zeiten ein starkes Zeichen für den Klimaschutz gesetzt.

 

Heute gehen wir erneut bundesweit auf die Straßen, um unserem Unmut über die Klimapolitik der Bundesregierung auszudrücken. Gemeinsam mit Fridays For Future, Umwelt-, Entwicklungs- und Sozialverbänden fordern wir einen #NeustartKlima!

 

www.klima-streik.org

 


 

Neu: Politik & Kultur Dez 2019 – Jan 2020

 

Themen der Ausgabe:

 

  • Kultur der Dunkelheit Am Rande der Nacht: Verschiedene Perspektiven auf die Dunkelheit – von Lichtverschmutzung über Nachtliteratur und -malerei bis hin zu Weltraumexkursionen
  • Engagement
    Widerstand angekündigt: Kulturbereich widersetzt sich Plänen von CDU/CSU und SPD für Staatsstiftung für das Ehrenamt
  • Exilkultur
    Heimat in der Fremde: Zur aktuellen Situation von Künstlerinnen und Künstlern im Exil in Deutschland
  • Komponistinnen
    Gesichter hinter der Musik: Wer sind die Frauen, die heute komponieren und so die Musikszene verändern?
  • Kulturhauptstadt 2025
    Wer macht das Rennen? Acht deutsche Städte wollen Kulturhauptstadt Europas 2025 werden, doch wer liegt vorn?
  • Weitere Themen: Dokumentarfilme: Wahrheit gestalten, Bernhard Vogel Bildungspreis: Digitale Medienkompetenz bei Jung und Alt, Provenienzforschung zum NS-Kunstraub, Erinnerungskultur, Villa Massimo Rom, Wissenschaftskooperation auf dem afrikanischen Kontinent, Hochschulen in Russland, Gerhart R. Baum im Porträt, medienpolitischer Jahresrückblick, Ost-West-Perspektiven

 

  • Politik & Kultur ist die Zeitung des Deutschen Kulturrates. Sie wird herausgegeben von Olaf Zimmermann und Theo Geißler.

 

 

  • Die Ausgabe 12/2019-1/2020 von Politik & Kultur, mit dem Schwerpunkt Kultur der Dunkelheit, steht hier auch als kostenfreies E-Paper (pdf-Datei) zum Herunterladen bereit.

 


 

Einladung: Kultur der Dunkelheit

 

„Berlin im Licht“, so jubelten die Großstädter schon in den 1920er Jahren. Doch was geschieht mit Natur und menschlicher Psyche, wenn es nicht mehr richtig dunkel wird? Nur Licht und keine Schatten? Darüber spricht Harald Asel mit seinen Gästen am 8. Dezember 2019, um 17:00 Uhr im ZEISS-Großplanetarium.

 

Die Betrachtung des Sternhimmels gehört zu den ältesten Kulturgütern der Menschheit. Nur: wo herrscht in unserer Region heute noch so viel Dunkelheit, dass wir dies sinnlich erfahren können? In den Debatten über Umweltschutz spielt die Aufhellung des Nachthimmels bislang noch eine geringe Rolle. Dabei hat sich das Leben auf der Erde in Jahrmillionen an den Rhythmus von Helligkeit und Dunkelheit angepasst. Tagaktive Tiere, auch die Menschen, brauchen Dunkelheit zum Regenerieren. Nachtaktiven Tieren dient sie der Nahrungssuche und Fortpflanzung. Pflanzen benötigen den Rhythmus für die Photosynthese. Die Finsternis hat ihren Schrecken verloren, seit der Mensch künstliches Licht in die Welt getragen hat. Eine Fülle individueller Freiheiten und gesellschaftlicher Dynamiken ist entstanden. Doch muss deshalb Alles in einem endlosen 24-Stunden-Tag erleuchtet werden?

 

Inforadio, das ZEISS-Großplanetarium und der Deutsche Kulturrat fragen:

 

Welche Veränderungen lassen sich in den letzten Jahren wissenschaftlich feststellen? Worin liegt die besondere Kraft der Dunkelheit, die Kunst und Kultur von jeher fasziniert hat? Welche kulturellen Veränderungen gibt es, wenn die Dunkelheit verschwindet? Warum brauchen wir eine neue Kultur der Dunkelheit? Zu Beginn der Veranstaltung wird der Direktor des Planetariums, Tim Florian Horn, seine Präsentation „Rettet die Nacht“ zeigen.

 

Auf dem Podium

 

  • Dr. Andreas Händel Sprecher der Fachgruppe Dark Sky der Vereinigung der Sternfreunde e.V., Osnabrück
  • Dr. Sibylle Schroer wiss. Koordinatorin im Projekt „Verlust der Nacht“ beim Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, Berlin
  • Olaf Zimmermann Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates
  • Sabrina Hölzer Dramaturgin, Regisseurin, Berlin
  • Moderation: Harald Asel

 

Eine Veranstaltung vom ZEISS-Großplanetarium, dem Deutschen Kulturrat und Inforadio.

 

  • Wo: Zeiss-Großplanetarium, Prenzlauer Allee 80, 10405 Berlin
  • Wann: Sonntag, 08. Dezember 2019, 17:00 Uhr
  • Der Eintritt ist frei. Bitte anmelden unter info@planetarium.berlin. Danke!

 

Die Veranstaltung wird aufgezeichnet und am Sonntag, 12.01.2020, um 11:05 Uhr im „Forum“ ausgestrahlt. „Kultur der Dunkelheit“ ist auch Schwerpunktthema der neuen Politik & Kultur.

 


 

Der kulturpolitische Text der Woche: „Das Ende des gesellschaftlichen Diskurses – Die Verständigung in der Gesellschaft klappt immer weniger „

 

Schwarz ist manchmal Weiß. Und Weiß manchmal Schwarz. Es kommt immer auf den Standpunkt und die Sichtweise an, meint der freie Journalist und Autor Ludwig Greven.

 

Lesen Sie seinen Kommentar hier.

 


 

Personalia: Neue Vorsitzende von Fachausschüssen des Deutschen Kulturrates

 

Zur neuen Vorsitzenden des Fachausschusses Bildung des Deutschen Kulturrates wurde Prof. Dr. Susanne Keuchel gewählt. Keuchel ist Direktorin der Akademie der Kulturellen Bildung des Bundes und des Landes NRW e.V., Vorsitzende des Instituts für Bildung und Kultur, Vorsitzende der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ) und Präsidentin des Deutschen Kulturrates. Zudem ist sie Honorarprofessorin am Institut für Kulturpolitik der Universität Hildesheim sowie Dozentin an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Hamburg.

 

Als Vorsitzender des Fachausschusses Europa/Internationales des Deutschen Kulturrates wurde Andreas Kämpf bestätigt. Andreas Kämpf ist Geschäftsführer des Kulturzentrums GEMS in Singen und Vorsitzender der LAKS Baden-Württemberg.

 


 

Kolonialismus-Debatte: Bestandsaufnahme und Konsequenzen

 

„Pflichtlektüre für alle, die sich mit dem Thema befassen“, schreibt der Informationsdienst Kunst (Nr. 690) über das Buch. Und weiter: „Kolonialismus-Debatte: Bestandsaufnahme und Konsequenzen“ enthält über 60 Beiträge der wichtigsten Experten und beleuchtet das Phänomen von allen Seiten, mal sachlicher, mal polemischer.“

 

Hier geht es zum Buch.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

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