10. Dezember 2008 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Positionen

Digitalisierung der Medien als Herausforderung für Gesellschaft und Politik


Stellungnahme des Deutschen Kulturrates

Berlin, den 10.12.2008. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband der Bundeskulturverbände, hatte sich zuletzt im Jahr 1997 mit einer umfassenden Stellungnahme zur Entwicklung der neuen Medien positioniert. Seither wurde das Thema Digitalisierung der Medien in verschiedenen Stellungnahmen des Deutschen Kulturrates angeschnitten, die nun durch eine weitere Positionierung ergänzt werden. Es ist geplant, zu weiteren Themen – insbesondere der Retrodigitalisierung von Printmedien – Stellungnahmen abzugeben.

 

Nicht nur die Medien selbst, sondern alle künstlerischen Sparten sind von der Digitalisierung im Zusammenspiel mit der Globalisierung betroffen. Mit dieser Stellungnahme nimmt der Deutsche Kulturrat zu ausgewählten Aspekten Stellung. Er geht dabei vor allem auf folgende Fragen ein:

  • Konvergenz der Medien
  • Wert der Kreativität
  • Medienbildung und Medienkompetenz

 

Die Digitalisierung der Medien ist eine Herausforderung für die Gesellschaft und die Politik. Das Internet als weltweites Kommunikationsnetz hat eine Bedeutung erlangt, die vor zehn Jahren noch kaum vorstellbar gewesen ist. Seitdem hat sich das Medienverhalten in unserer Gesellschaft revolutioniert.

 

Die Nutzung des Internets ist heute – zumindest in den Industrienationen – eine Selbstverständlichkeit. Für Kreative in Europa ist es nicht nur eine Herausforderung, sondern auch eine große Chance. Das Internet wird zur Information, zur Kommunikation, zur Unterhaltung, zur Bildung, zum Spiel usw. genutzt. Das Internet ist heute schon Plattform und Ausgangsbasis einer Vielzahl von neuartigen Möglichkeiten der Ausübung von – insbesondere audiovisuellen – kulturellen Ausdrucksformen. Radio- und Fernsehprogramme können ebenso gut am Computer gehört bzw. geschaut werden wie an den herkömmlichen Geräten. Internetradios ermöglichen, dass weltweit nach Radiosendungen oder auch nach Musiktiteln in Datenbanken gesucht werden kann. Wie die jüngste ARD/ZDF-Online-Studie zeigt, nutzen die Angehörigen der Altersgruppe bis zu 30 Jahre das Internet stärker als die konventionellen audiovisuellen Medien Fernsehen und Radio. Aber auch bei älteren Nutzern nimmt das Internet an Bedeutung zu. Es wird längst nicht mehr nur als Informations- und Kommunikations-, sondern auch als Unterhaltungsmedium genutzt.

 

Die Digitalisierung verändert auch die Möglichkeiten, audiovisuelle Medien zu produzieren und zu verbreiten. Telekommunikationsunternehmen eröffnen neue Geschäftsfelder und werden quasi zu Rundfunkanbietern. Verlage bieten in den Online-Ausgaben ihrer Zeitungen und Zeitschriften zusätzlich audiovisuelle Inhalte an. Diese Entwicklungen wurden durch den rasanten Fortschritt der digitalen Medien möglich. Die Auswirkungen dieses Prozesses auf die Wertschöpfungskette sind in ihren Einzelheiten noch nicht genügend erforscht. Es steht zu vermuten, dass sich die Veränderungen in den unterschiedlichen Branchen der Kulturwirtschaft sehr unterschiedlich auswirken.

 

Das Internet bietet darüber hinaus auch Nonprofitorganisationen oder Einzelpersonen neue Präsentationsmöglichkeiten. Im analogen Zeitalter boten Offene Kanäle und Radiowerkstätten Laien die Chance, selbst Rundfunk zu machen. Diese Plattformen waren lokal oder regional begrenzt. Das Internet eröffnet nun ganz andere Möglichkeiten zur Verbreitung. Plattformen wie You Tube, verschiedene blogs usw. bieten Veröffentlichungsmöglichkeiten für jedermann weltweit. Die Grenzen zwischen professionellen und nicht professionellen Produzenten und Konsumenten verschwimmen. Die Nutzer können diese Angebote gleichberechtigt neben professionellen Angeboten von Rundfunkanbietern oder Verlagen im Internet abrufen.

 

Die neuen technischen Möglichkeiten hinsichtlich digitaler Produktion und Verbreitung haben aber auch Kehrseiten. Die Allgegenwärtigkeit der Medien, die Zeit- und Ortsunabhängigkeit von Angeboten und die individualisierte Nutzung stellen andere Anforderungen an den Konsumenten als die herkömmlichen analogen Angebote. Auch ergeben sich neue datenschutzrechtliche Anforderungen. Die Nutzer digitaler Angebote werden zu gläsernen Konsumenten. Jede Internetnutzung kann dokumentiert werden, um Profile bevorzugter Themen zu erstellen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass sich die digitale Spaltung weiter verschärft, wenn nur ein Teil der Bevölkerung Zugang zu neuen teilweise kostenpflichtigen Angeboten hat.

 

Konvergenz der Medien

Konvergenz der Medien bedeutet, dass Computer, Fernseher und Handys mehr und mehr zu Multifunktionsgeräten werden, die zur Übertragung und zum Empfang von audiovisuellen und Print-Inhalten geeignet sind. Die Rundfunksender, private wie öffentlich-rechtliche, bieten in zunehmendem Maße Sendungen zur zeitversetzten Nutzung im Internet an. Darüber hinaus ermöglicht das Internet, dass zusätzliche programmbezogene und vertiefende Inhalte präsentiert werden können, z.B. Hinweise auf weiterführende Literatur, Interviews mit den Protagonisten einer Sendung usw.

 

Die klassischen Grenzen zwischen audiovisuellen Medien, Mediendiensten, Printmedien und Rezipientenangeboten werden unscharf oder lösen sich auf. Das eröffnet Chancen zur Partizipation, stellt aber auch neue Anforderungen u.a. an die Qualität der Angebote und die Medienregulierung.

 

Angesichts der Vervielfältigung der Verbreitungswege und der Vervielfachung der Anbieter kann Rundfunk nicht mehr rein technisch definiert werden. Die bestehenden rechtlichen Regelungen reduzieren die Internetaktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, damit hinken die rechtlichen Regelungen der technischen Entwicklung und dem tatsächlichen Nutzerverhalten hinterher. Die aktuelle Herausforderung besteht darin, rechtliche Regelungen zu entwickeln, die die Konvergenz der Medien angemessen berücksichtigen.

 

Es besteht weiterhin die Frage, wie bestehende Regelungen im Jugendschutz durchgesetzt werden können, wenn audiovisuelle Angebote von Anbietern im Ausland unterbreitet werden, die von den geltenden nationalen rechtlichen Regelungen faktisch nicht erfasst werden.

 

Die Vervielfachung der Inhalte stellt die Anbieter vor neue Herausforderungen in der Distribution. Es besteht auf der einen Seite die Möglichkeit für spezifische Zielgruppen Inhalte anzubieten, auf der anderen müssen diese Angebote aber auch auffindbar sein. Es besteht in zunehmendem Maße eine Konkurrenz um Aufmerksamkeit. Diese Konkurrenz wird mit der Vervielfachung der Inhalte im Internet weiter zunehmen.

 

Vielfalt wird allerdings nicht allein dadurch gesichert, dass viele Inhalte angeboten werden. Es geht vielmehr für alle Rundfunkanbieter – private und öffentlich-rechtliche – um gesellschaftlich-ethische Grundlagen für die Medien, Professionalität in der Produktion und die sich daraus ergebende Anforderungen an die Qualität der Angebote. An den gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der die Grundversorgung sicherstellt, sind dabei besonders hohe Anforderungen an die Qualität der Angebote zu richten.

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss aber gerade deshalb die Chance haben, den Verbreitungsweg Internet nutzen zu können, soll er nicht absehbarer Zeit von den Nutzern abgeschnitten werden. Die gilt insbesondere für die Kernbereiche seines Auftrags Information, Kultur, Bildung und Unterhaltung. Hierfür müssen die rechtlichen Regelungen sowie die Finanzierung des gemeinwohlorientierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks weiterentwickelt werden.

 

Wert der Kreativität

Durch die digitalen Medien und ihre weltweite Verfügbarkeit wird die Frage nach dem Wert kreativer Leistungen neu aufgeworfen. Inhalte sind vermeintlich ubiquitär verfügbar. Der Urheber der Inhalte gerät dabei oft in den Hintergrund. Der freie Zugang zu Inhalten lässt oftmals den Eindruck entstehen, dass die Angebote auch kostenfrei erstellt würden und daher gratis seien.

 

Forderungen nach „open access“ und der kostenfreien zur Verfügungstellung von Inhalten verstärken diese Entwicklung. Der freie Zugang zu Inhalten scheint zunächst eine demokratische Forderung zu sein, die zu mehr Teilhabe beitragen kann. Jedem Urheber steht es frei, seine Werke kostenfrei im Internet anzubieten. Letztlich ist „open access“ aber nur eine Option für diejenigen, deren Lebensunterhalt anderweitig gesichert ist und die deshalb keinen ökonomischen Nutzen aus der Verwertung ihrer Werke ziehen müssen. Urheber, die von der Verwertung ihrer Werke leben, haben Anspruch auf eine angemessene Vergütung.

 

Aufgrund der Digitalisierung entstehen neue Anforderungen an die Archivierung audiovisueller Werke. Es gilt, mehr als 100 Jahre nationale und internationale Film- und Rundfunkgeschichte zu bewahren und in den neuen digitalen Formaten verfüg- und nutzbar zu machen. Der Deutsche Kulturrat sieht hierin eine öffentliche Aufgabe von hohem Rang.

 

Darüber hinaus müssen auch für die heute nur noch digital entstehenden Werke schnellstmöglich Archivierungs- und Datensicherungsstandards entwickelt und festgelegt werden, damit die Zeit des technischen Umbruchs nicht eines Tages zu einem weißen Flecken der Mediengeschichte wird.

 

Dazu gehört auch die Frage, inwieweit die bei den Rundfunkanstalten befindlichen Archivbestände zugänglich gemacht werden können. An anderer Stelle hat sich der Deutsche Kulturrat bereits dafür stark gemacht, dass diese Schätze gehoben werden sollten. Dabei müssen eine angemessene Vergütung der Rechteinhaber und die Beachtung des Urheberpersönlichkeitsrechts umfassend gewährleistet sein. In diesem Zusammenhang bedarf es unter Einbeziehung der Verwertungsgesellschaften auch klarer gesetzlicher Regelungen für die digitale Nutzung von Werken, deren Rechteinhaber nicht mehr zu ermitteln sind (sogenannte verwaiste Werke).

 

Der Deutsche Kulturrat fordert, dass der Wert urheberrechtlich geschützter Leistungen stärker in den Mittelpunkt gerückt werden muss. Dieses Grundverständnis gilt es auf allen politischen Ebenen und in der Gesellschaft zu verankern. Der Deutsche Kulturrat hat in seinen Stellungnahmen zu den Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der EU-Richtlinie „Urheberrecht in der Informationsgesellschaft“ wiederholt unterstrichen, dass urheberrechtliche Leistungen geschützt werden müssen und deren Nutzung angemessen vergütet werden muss. Diese Position wird hiermit noch einmal bekräftigt. Die Aushandlung der angemessenen Vergütung obliegt den jeweiligen Vertragsparteien. Neue Entwicklungsmöglichkeiten durch die Digitalisierung dürfen nicht mit dem Einsatz von Marktmacht und Gebührenmitteln ausgehebelt und vorneherein unmöglich gemacht werden. Zwischen Sendeanstalten und freien Produzenten, Urhebern und Leistungsschutzberechtigten müssen faire Vereinbarungen zur Aufteilung von Nutzungsrechten getroffen werden.

 

Medienbildung und Medienkompetenz

Die neuen Möglichkeiten der Produktion, Distribution und Nutzung audiovisueller Inhalte stellen auch veränderte Anforderungen an die Konsumenten. Medienbildung und die Ausbildung von Medienkompetenz gewinnen in noch stärkerem Maße an Bedeutung. Hier ist in besonderer Weise die kulturelle Bildung gefragt. In seiner Stellungnahme „Neue Medien: Eine Herausforderung für die kulturelle Bildung“ befasst sich der Deutsche Kulturrat ausführlich mit dem Themenkomplex Medienbildung und Medienkompetenz und fordert insbesondere:

  • die Integration von Medienbildung in die frühkindliche Bildung,
  • die Integration der Medienbildung in die Erzieherausbildung,
  • die Förderung von Medienprojekten, die Kindern einen kreativen Umgang zu Medien ermöglichen,
  • die Nutzung der Ergebnisse des Bund-Länder-Modellvervorhabens „Kulturelle Bildung im Medienzeitalter“ (KUBIM) in der Schule,
  • die Stärkung von medienpädagogischen Einrichtungen,
  • die Integration der Medienbildung in die Erwachsenenbildung,
  • die Vermittlung von Medienkompetenz durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

 

Die Stellungnahmen des Deutschen Kulturrates zur Reform des Urheberrechts können hier im Internet abgerufen werden.

 

Der Deutsche Kulturrat hat seine Position in der Stellungnahme vom 07.12.2006 „Kritik der Experten ernst nehmen! – Stellungnahme des Deutschen Kulturrates zur Anhörung von Sachverständigen durch den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags zum Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ unterstrichen.

 

Zuletzt hat der Deutsche Kulturrat zum EU-Grünbuch „Urheberrechte in der wissensbestimmten Wirtschaft“ sich positioniert. Die Stellungnahme kann unter hier abgerufen werden.

 

Die Stellungnahme des Deutschen Kulturrates „Neue Medien: Eine Herausforderung für die kulturelle Bildung“ kann hier abgerufen werden.


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