Kein Wunschkonzert
Status von Selbstständigen im Kultursektor
Sozialversicherungsrechtlicher Status ist kein Wunschkonzert; dieses ist ein Standardsatz im Fachausschuss Arbeit und Soziales des Deutschen Kulturrates, der von Heinrich Schafmeister, langjähriges Vorstandsmitglied des Bundesverband Schauspiel und zuständig für Fragen der sozialen Sicherung, im Ausschuss geprägt wurde. Der sozialversicherungsrechtliche Status, also abhängig beschäftigt oder selbstständig, ist keine Frage der freien Auswahl, der persönlichen Vorliebe, des eigenen Selbstverständnisses oder der wirtschaftlichen Situation von Arbeit- oder Auftraggebern, sondern wird vielmehr von Kriterien bestimmt, die auf gesetzlichen Grundlagen beruhen und in Gemeinsamen Rundschreiben der Sozialversicherungen, die vom GKV-Spitzenverband, der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, der Deutschen Rentenversicherung Bund und der Bundesagentur für Arbeit herausgegeben werden, konkretisiert werden. Diese Gemeinsamen Rundschreiben werden auch als Grundlage für die Betriebsprüfungen der Sozialversicherungsträger herangezogen, die alle vier Jahre bei Arbeitgebern stattfinden.
In jüngster Zeit hat insbesondere das sogenannte Herrenberg-Urteil für Aufregung im Kultursektor gesorgt. Das sogenannte Herrenberg-Urteil ist eine höchstrichterliche Entscheidung vor dem Bundessozialgericht (BSG), die im Fall einer Klavierlehrerin erging, die nach 15 Jahren als Honorarkraft in der Musikschule Herrenberg ein Statusfeststellungsverfahren angestoßen hat. Sie ließ klären, ob bei ihr eine abhängige Beschäftigung nicht geboten sei, da sie organisatorisch in die Musikschule eingebunden ist. In letzter Instanz entschied am 30. Juni 2022 das Bundessozialgericht, dass die Klavierlehrerin aufgrund der tatsächlichen Umstände hätte angestellt werden müssen. Die Musikschule bzw. die Stadt Herrenberg muss nun die Sozialversicherungsbeiträge nachzahlen.
Anderthalb Jahre nach dem BSG-Urteil besteht aktuell eine große Aufregung in der Kulturszene und teilweise wird verbreitet, niemand könne mehr im Bildungsbereich als Honorarkraft tätig sein. Dies ist mitnichten der Fall, ein genauerer Blick auf die Situation lohnt sich also.
Starker Anstieg selbstständiger Musiklehrer
Wird allein die Gruppe der in der Künstlersozialkasse versicherten Musiklehrerinnen und -lehrer betrachtet, kann festgehalten werden, dass sich deren Zahl in den letzten 28 Jahren mehr als verdreifacht hat. Im Jahr 1995 wurden 8.514 Versicherte gezählt, im Jahr 2000 waren es schon 13.478, im Jahr 2005 18.740, im Jahr 2010 23.456, im Jahr 2015 26.159, im Jahr 2020 wurde der bisherige Spitzenwert von 27.110 Versicherten in diesem Tätigkeitsbereich erreicht, im Jahr 2023 sank der Wert auf 26.373 Versicherte. Die Zahlen belegen unseres Erachtens zweierlei: Zum einen muss ein imaginäres Früher, in dem es mehr Angebote musikalischer Bildung gäbe, zumindest mit Blick auf die selbstständigen Musiklehrerinnen und -lehrer deutlich hinterfragt werden; zum zweiten stellt sich die Frage, ob dieser beträchtliche Aufwuchs an Selbstständigen mit einem gleichermaßen starken Aufwuchs an abhängig beschäftigten Lehrkräften einherging oder ob der Ausbau des Angebotes musikalischer Bildung nicht zu einem erheblichen Teil vor allem dank selbstständiger Lehrkräfte möglich war und nach wie vor ist.
Nun ist die Beauftragung von Honorarkräften weder ehrenrührig noch per se abzulehnen. Problematisch wird es dann, wenn Honorarkräfte in einen Betrieb eingegliedert und nur darum nicht angestellt sind, weil die finanziellen Ressourcen für eine Anstellung nicht ausreichen. Der Verband deutscher Musikschulen hat für seine aktuell 933 Mitgliedsschulen, die sich entweder in Trägerschaft der öffentlichen Hand befinden oder öffentlich gefördert sind, schon lange gefordert, dass ein Musikschulbetrieb, wie er als Leitbild vom Verband vertreten wird, mit Angestellten als Kernbestand von Beschäftigten arbeiten muss. Das schließt nicht aus, dass unter bestimmten Umständen Honorarkräfte beauftragt werden können. Diese Haltung des Verbands deckt sich mit seinen Positionierungen zum Fachkräftebedarf und der Forderung nach einer adäquaten Vergütung bzw. tariflichen Einstufung von Musikschullehrerinnen und -lehrern. Diverse öffentliche Musikschulen haben nach dem Herrenberg-Urteil reagiert und Arbeitsverträge mit Musiklehrkräften geschlossen, die vorher dort selbstständig gearbeitet haben. Anders stellt sich vielfach die Situation bei freien Musikschulen oder auch Ballettschulen dar. Sie arbeiten sehr oft mit Honorarkräften zusammen. Ihr Geschäftsmodell basiert vielfach darauf, dass die Inhaber selbst künstlerisch bzw. als Lehrkräfte tätig und über die Künstlersozialversicherung sozialversichert sind. In der Künstlersozialkasse Versicherte können höchstens einen Angestellten beschäftigen, ansonsten verlieren sie ihren eigenen Versicherungsschutz. Das Herrenberg-Urteil könnte also das Geschäftsmodell dieser Unternehmen tatsächlich in Gefahr bringen. Hier stellt sich allerdings die Frage, ob dieses Geschäftsmodell generell unter sozialversicherungsrechtlichen Gesichtspunkten zukunftsfähig und kulturpolitisch wünschenswert ist.
Andere Tätigkeitsbereiche
Werden die Versichertenzahlen anderer Tätigkeitsbereiche der Künstlersozialkasse in den Blick genommen, zeigt sich bei der Mehrzahl ein langsames Absinken oder auch Ansteigen, beides ist vermutlich auf normale Schwankungen zurückzuführen. Im Zehnjahresrückblick zeigen sechs Tätigkeitsbereiche auffällige Veränderungen: Im Tätigkeitsbereich Journalismus sank die Versichertenzahl von 22.720 (2013) auf 15.538 (2023). Hier ist bereits seit einigen Jahren der Trend festzustellen, dass sich die Versichertenzahl in der Altersgruppe über 60 Jahre sukzessive erhöht und in den jüngeren Altersgruppen nur wenige Versicherte nachwachsen. Es liegt die Vermutung nahe, dass eine Kohorte aus der Künstlersozialkasse langsam in den Ruhestand kommt und nicht in gleichem Maße selbstständige Journalistinnen und Journalisten nachfolgen.
Im Tätigkeitsbereich Kamera hat sich die Zahl der Versicherten von 2013 (352) bis 2023 (3.477) nahezu verzehnfacht, im Tätigkeitsbereich Mediendesign ist von 2013 (319) bis 2023 (2.857) nahezu eine Verneunfachung festzustellen, im Tätigkeitsbereich Choreografie von 2013 (305) bis 2023 (1.413) nahezu eine Verfünffachung, im Tätigkeitsbereich Sprecher/Sprecherin ebenfalls von 2013 (152) bis 2023 (816) nahezu eine Verfünffachung und im Tätigkeitsbereich Industrie-/Modedesign ist von 2013 (735) bis 2023 (2.352) eine Verdreifachung der Versichertenzahl festzustellen. Der Zuwachs an selbstständigen in der Künstlersozialkasse Versicherten wird verschiedene Ursachen haben. Eine Ursache könnte die Veränderung der Auftragslage und die gestiegene Nachfrage nach künstlerischen Dienstleistungen sein. Es ist gut möglich, dass die Unternehmen lieber mit flexiblen bzw. hochspezialisierten Selbstständigen zusammenarbeiten als mit Angestellten, die nicht so flexibel einsetzbar sind. Wie bereits gesagt, die Zusammenarbeit mit Selbstständigen im Kultursektor ist eingeübt, selbstverständlich und durchaus sinnvoll. Abhängige Beschäftigung durch die Beauftragung von Selbstständigen zu ersetzen, ist allerdings nicht der richtige Weg.
Einschnitt Coronapandemie
Mit Blick auf die Wahrnehmung der wirtschaftlichen und sozialen Lage im Kulturbereich waren die Coronapandemie und insbesondere die damit einhergehenden Schließungen ein Einschnitt. Nicht nur wurde noch einmal deutlich, wie prekär die wirtschaftliche Lage vieler ist, es wurde vielen auch bewusst, dass die abhängige Beschäftigung gerade in einer Krisensituation den höheren sozialen Schutz bietet wie z. B. das Kurzarbeitergeld, das Arbeitgeber beantragen und an ihre Mitarbeitenden zahlen konnten, wenn sie pandemiebedingt schließen mussten. Hieraus entstand im Deutschen Kulturrat, nicht zuletzt im eingangs angeführten Fachausschuss Arbeit und Soziales, eine intensive Diskussion, wie zumindest der Zugang von Selbstständigen zur Arbeitslosenversicherung (siehe hierzu: https://is.gd/IoJOr7) verbessert werden kann, um in Krisenzeiten eine verbesserte soziale Absicherung zu gewährleisten. Ebenso wird darüber diskutiert, wie in den anderen Zweigen der Sozialversicherung, speziell der Rentenversicherung, die soziale Absicherung von Selbstständigen verbessert werden kann. Neben den unstrittig wichtigen gesetzlichen Veränderungen mit Blick auf die soziale Sicherung von Selbstständigen, ist es ebenso bedeutsam, die selbstständige Tätigkeit klar von der abhängigen Beschäftigung zu trennen. Beides, Selbstständigkeit und abhängige Beschäftigung haben ihre Vorzüge und ihre Berechtigung. Doch wie gesagt, Sozialversicherung ist kein Wunschkonzert.
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