Johannes Ebert & Theresa Brüheim - 31. März 2022 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Aus Politik & Kultur: Ukraine

„Solange es geht, arbeiten wir weiter“


Johannes Ebert im Gespräch

Der Generalsekretär des Goethe-Instituts Johannes Ebert kennt sowohl die Ukraine als auch Russland gut. Er leitete in beiden Ländern Dependancen des Kulturinstituts. Im Gegensatz zu anderen Organisationen fördert das Goethe-Institut nach wie vor sowohl in der Ukraine als auch in Russland die deutsche Sprache und den Kulturaustausch. Im Gespräch mit Theresa Brüheim erläutert er Hintergründe und spricht über die aktuelle Situation.

 

Theresa Brüheim: Herr Ebert, Sie haben je fünf Jahre das Goethe-­Institut Kiew und das Goethe-Institut Moskau geleitet. Wie blicken Sie aus diesen Erfahrungen auf den Krieg in der Ukraine?

Johannes Ebert: Ich bin natürlich sehr betroffen und schockiert von diesem Krieg, den wahrscheinlich niemand erwartet hatte. Der Krieg ist ein klarer Bruch des Völkerrechts. Und dass er in dieser Brutalität durchgeführt wird, ist natürlich verheerend. Ich finde es sehr gut, dass im Wirtschaftsbereich und in vielen anderen Bereichen harte Sanktionen gefahren werden. Nur so hat man überhaupt eine Chance, dem Einhalt zu gebieten, auch wenn es im Moment sehr deprimierend aussieht. Für mich, ich war von 1997 bis 2002 in Kiew, war die ukra­inische Hauptstadt meine erste Stelle als Institutsleiter im Ausland – das ist sowieso eine beeindruckende und nachhaltige Erfahrung. Und Kiew ist eine wunderbare Stadt. Das Goethe-Institut hat in der ganzen Ukraine ein Netzwerk mit Sprachlernzentren, Lesesälen und anderem mehr. Es gab eine ungeheure Offenheit und ein Interesse am kulturellen Austausch mit Deutschland und Europa. Ich habe dieses Land gern, und diese Stadt insbesondere. Insofern nimmt mich das auch persönlich mit. Ich habe auch noch einige Bekannte dort, die ich kontaktiert habe. Auch meine Zeit in Moskau und die Begegnung mit der russischen Kultur hat mich sehr bereichert, aber schon damals, von 2007 bis 2012, hatte die Regierung begonnen, die Zügel vor allem in der Zivilgesellschaft stärker anzuziehen. Kurz nachdem ich weg war, kam das erste Gesetz heraus, um angebliche „ausländische Agenten“ zu brandmarken. Seitdem gab es immer mehr Maßnahmen, die in Russland aktive Zivilgesellschaft sowie die Kulturszene einzuschränken und zu reduzieren.

 

Wo sehen Sie jetzt als Generalsekretär des Goethe-Instituts Ihre Verantwortung?

Die erste Verantwortung ist natürlich, dass wir unsere Mitarbeitenden, die entsandten und die lokal beschäftigten, in Sicherheit bringen. Das ist immer die erste Verantwortung, die eine Institution, die im Ausland arbeitet, hat. Wir haben auf Weisung des Auswärtigen Amtes unsere entsandten Mitarbeitenden etwa eine Woche vor dem Konflikt abgezogen. Damals haben selbst meine ukrainischen Bekannten nicht damit gerechnet, dass es zu einem Krieg kommt.

Wir haben dann unseren ukrainischen Mitarbeitenden Gehaltsvorschüsse und Tagegelder bezahlt, damit sie, wenn sie die Entscheidung getroffen haben, auszureisen – und das ist natürlich eine individuelle Entscheidung – ausreichende Ressourcen zur Verfügung haben. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich nur ganz wenige dazu entschieden und selbst unmittelbar nach dem Einmarsch hatte sich zunächst nur rund die Hälfte der rund 120 Mitarbeitenden auf den Weg gemacht. Inzwischen sind aber fast alle, bis auf etwa 15 Personen, die noch privat gebunden sind, in der Westukraine, in den Nachbarländern oder in Deutschland.

Die zweite Verantwortung ist natürlich, dass wir unsere Kulturpartnerinnen und -partner in der Ukraine und auch, wenn sie geflohen sind, unterstützen. Da haben wir konkrete Pläne, deren Umsetzung begonnen hat. Beispielsweise haben wir gemeinsam mit der Kulturstiftung des Bundes (KSB) einen Fonds mit Nothilfestipendien aufgelegt, mit dem wir Partner des Goethe-Instituts und der KSB unterstützen wollen, damit sie weiter – angepasst an die Situation – tätig sein können. Desgleichen werden wir mit der Organisation Artists at risk bei deren Vermittlung von Angeboten für Geflüchtete kooperieren. Gemeinsam wollen wir all das, was deutsche und europäische Kulturinstitutionen anbieten – seien es Residenzen, Hospitationen, Jobs oder Wohnraum – mit der Nachfrage von ukrainischen Kulturschaffenden sinnvoll in Bezug zueinander setzen. Es wäre schön, wenn wir das mit einem begleitenden Fonds unterstützen können. Dazu wären aber zusätzliche Ressourcen notwendig. Wir unterstützen im Moment beispielsweise auch PASCH-Schulen, also aus dem Netzwerk „Schulen: Partner der Zukunft“, in der Ukraine mit zusätzlicher Ausstattung.

Für die Ukrainerinnen und Ukrainer, die planen auszureisen, unterwegs sind oder sich in Deutschland befinden, hat das Goethe-Institut Ukraine – die Kolleginnen und Kollegen arbeiten noch im Homeoffice – Sprachkurse auf dem Anfängerniveau zum symbolischen Preis von 7 Hrywnja, das sind etwa 25 Cent angeboten. So können sich die Menschen, die unterwegs nach Deutschland oder schon hier sind, sprachlich auf ein Ankommen vorbereiten – noch bevor unsere Strukturen im Land mit Integrationskursen greifen. Die 1.700 Plätze waren innerhalb 48 Stunden vergeben und wir planen eine zweite Aktion im April. Wir fühlen eine große Verantwortung für die ukrainische Kulturszene und haben auch Angebote, die Ukrainern allgemein helfen können … soweit es in unseren Kräften steht.

Zu guter Letzt: Es ist unsere Aufgabe, auch über die unmittelbare Situation hinauszudenken und uns zu fragen, was wir mittelfristig für die ukrainische Exil-Community tun können. Hier gibt es erste Überlegungen und wir hoffen, diese realisieren zu können.

 

Sie haben es schon erwähnt, das Goethe-Institut Ukraine arbeitet noch. Zwar ist das Gebäude mitsamt Programmabteilung und Bibliothek geschlossen. Aber die Sprachkurse werden weiter online aus dem Homeoffice durchgeführt. Wieso ist das gerade jetzt wichtig?

Der erste Punkt ist pragmatisch: Wir haben ein Semester laufen. Die Lehrerinnen und Lehrer sind bereit dazu, weiter zu unterrichten. Und die Kursteilnehmenden wollen Deutsch lernen, auch in dieser furchtbaren Situation. Wie kämen wir dazu, zu sagen: „Nein, wir ziehen uns zurück. Jetzt ist Krieg, da bieten wir nichts mehr an“? Gerade in so einer Zeit haben wir die Verantwortung, das zu ermöglichen – insbesondere, wenn jetzt doch sehr viele Ukrainerinnen und Ukrainer nach Deutschland kommen.

Wir haben 2015 mit Geflüchteten aus Syrien die Erfahrung gemacht, dass der Zugang zur deutschen Sprache enorm wichtig ist, um anzukommen. Damals hat es etwas gedauert, bis die Systeme in Deutschland greifen, die eigentlich sehr gut vorbereitet sind. Zudem haben wir durch Corona einen Sprung in den digitalen Sprachkursangeboten gemacht. Dies kommt uns dabei jetzt zugute.

 

Etwa 15 Mitarbeitende des Goethe-Instituts sind noch in Kiew. Inwieweit besteht weiterhin der Kontakt aktuell? Wie ist die Situation für sie?

Wir haben zu allen Mitarbeitenden Kontakt durch unsere Personalabteilung. Die Situation ist natürlich bedrohlich, da Kiew immer wieder von Angriffen und Raketenangriffen betroffen ist. In der vergangenen Woche waren zwei Mitarbeitende in Oblast Kiew, also in der Nähe von Kiew, im Kriegsgebiet. Sie sind zum Glück rausgekommen und dann per Zug weiter Richtung Deutschland ausgereist. Das beschäftigt dann auch alle in der Zentrale und den Nachbarländern stark. Was wir im Moment tun können, ist, den Kontakt halten und zu informieren, wenn es Möglichkeiten der Ausreise gibt, wie sie bisweilen von internationalen Organisationen koordiniert wurden.

 

Werfen wir noch einen Blick auf die Lage in Russland: Das Goethe-Institut ist im Gegensatz zu anderen Kulturinstitutionen auch weiter in Russland präsent. Sie haben Standorte in Moskau, St. Petersburg und Nowosibirsk sowie Sprachassistenten im ganzen Land. Was wird Ihnen berichtet? Wie ist die Situation für Ihre Mitarbeitenden in Russland?

Das Goethe-Institut ist seit fast 30 Jahren mit drei Instituten und einem großen Netzwerk von Sprachlernzentren, Lesesälen, Kulturkontaktstellen und Sprachassistenten in Russland präsent. Wir sind sehr gut vernetzt – mit der freien Kulturszene, mit den jungen Menschen, die sich für Deutschland, für Europa interessieren und die freiheitliche und demokratische Werte schätzen, mit der Zivilgesellschaft. Russland ist keine monolithische Gesellschaft. Es gibt auch Widerstand gegen diesen Krieg, es gibt Kulturschaffende oder Wissenschaftler, die sich sehr eindeutig dagegen geäußert und Mitgefühl mit den Ukrainern ausgedrückt haben und die für diese starke Haltung in vielen Fällen mit dem Verlust ihres Jobs oder gesellschaftlicher Ächtung bezahlen mussten. Viele haben auch davor gewarnt, dass sich die russische Kultur damit in die Isolation begibt. Vor diesem Hintergrund möchten wir mit diesen Partnern, solange es geht, weiterarbeiten und signalisieren, dass wir ihre Positionen unterstützen. Das ist natürlich immer eine Gratwanderung, eine Abwägung. Wir haben alle öffentlichen Veranstaltungen abgesagt und arbeiten nicht mehr mit staatlichen Partnern zusammen. Wir haben die Teilnahme an Bildungsmessen abgesagt, ein Jugendtheater-Festival haben wir statt in staatlichen Räumen im Digitalen präsentiert. Wir halten den Kontakt zu den Partnerinnen und Partnern. Da genügt auch mal ein Telefonat. Man muss natürlich sehen, dass durch das jüngste Gesetz jede Art von „falscher“ Aussage über den Krieg mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft wird. Das setzt die Gesellschaft extrem unter Druck.

Zur Situation der Sprachassistenten: 13 Sprachassistentinnen und -assistenten sind im ganzen Land verteilt. Zum Teil arbeiten sie im Rahmen von Projekten mit der deutschen Minderheit in Sibirien. Wir haben sie Mitte März gebeten, auszureisen, insbesondere deshalb, weil wir befürchten, dass sich die Ausreisemöglichkeiten durch die Sanktionen stark verringern und sie dann nicht mehr gut rauskommen. Aktuell sind elf von den 13 Sprachassistentinnen und -assistenten ausgereist. Zwei bleiben auf eigenen Wunsch dort. Das muss man akzeptieren.

 

Verspüren Sie aktuell Druck von der russischen Regierung auf die Goethe-Institute in Russland?

Auf das Goethe-Institut selbst verspüren wir keinen Druck. Aber wir erleben natürlich, dass manche unserer Partner im Moment von einer Kooperation Abstand nehmen. Andere Partner aus der Zivilgesellschaft wiederum sagen: „Wir wollen unbedingt weiter mit euch zusammenarbeiten“. Man merkt schon, dass die Sanktionen greifen. Es gibt etwa die Problematik, dass der Zugang zu Bargeld für unsere Mitarbeitenden schwierig ist. Aber politischen Druck auf das Goethe-Institut sehen wir im Moment nicht. Deswegen werden wir, solang wir den Eindruck haben, dass wir die demokratischen Kräfte noch unterstützen können, versuchen, unsere Arbeit umzusetzen.

 

Zum Abschluss noch ein Blick auf die europäische Perspektive: Sie sind auch Vizepräsident von EUNIC, dem Netzwerk der natio­nalen Kulturinstitute in der EU. Ab Juni übernehmen Sie auch das Präsidentenamt. Was tut EUNIC jetzt gemeinsam für Kulturschaffende in der Ukraine?

Wir haben in der Tat sehr schnell als EUNIC eine Resolution verabschiedet, die den Krieg verurteilt und Solidarität mit der Ukraine äußert. Dafür haben wir uns genau die Fragen gestellt, die Sie mich im Interview gefragt haben: Was können wir für die Ukraine tun? Wie gehen wir jetzt mit Russland um, wie gehen wir weiter voran? Dieser Prozess der internen Klärung ist noch nicht abgeschlossen. Wichtig ist aber das große gemeinsame Kulturprojekt: House of Europe, welches wir als Konsortialführer gemeinsam mit dem British Council, dem Institut français, dem tschechischen Kulturinstitut und EUNIC in der Ukraine seit zweieinhalb Jahren durchführen. Dabei fördern wir sowohl Künstlermobilität als auch den Kreativwirtschaftssektor und kulturelle Entwicklungen in Mittelstädten – ein umfassendes Projekt. Aktuell passen wir auf europäischer Ebene das Projekt an und sprechen mit der EU darüber, wie wir das in Unterstützung für Kultur- und Zivilgesellschaftsorganisationen sowie Künstlerinnen und Künstler in der Ukraine umwidmen können. Beispielsweise laufen Zuwendungen von Projekten weiter, wenn sie noch stattfinden. Sie können sogar in einzelnen Städten in humanitäre Hilfe umgewidmet werden. Auch Nothilfe-­Stipendien für Künstler werden gewährt. Das heißt, wir sind wirklich als europäische Kulturinstitutionen weiter aktiv.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/22.


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