Beate Reifenscheid-Ronnisch - 31. März 2022 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Aus Politik & Kultur: Ukraine

Rettungsanker für Kulturszene und Kulturgüter


Kunst- und Kulturerhalt in der Ukraine

Seit mehr als 20 Tagen tobt Krieg in der Ukraine, ausgelöst durch den Angriff von russischer Seite. Jegliche diplomatischen Bemühungen, den Frieden zu sichern oder ein Ende der Kriegshandlungen herbeizuführen, sind bislang ergebnislos gescheitert. Während die Politik eine europäische Allianz der Stärke sucht und weitreichende Sanktionen gegen Russland eingeleitet hat, findet auf internationaler Ebene eine zunehmend breit angelegte Vernetzung von Hilfsmaßnahmen statt, die, über die dringend notwendigen humanitären Hilfen hinaus, sich auch um Kunst- und Kulturerhalt in der Ukraine bemühen. Wenngleich vielerorts die Lage unübersichtlich ist und nur unzureichende Meldungen über Rettungsmaßnahmen von Kunst- und Kulturgütern innerhalb der Ukraine von außen nachverfolgt werden können, wissen wir dennoch über unsere ICOM Nationalkomitees sowie durch einige internationale Komitees, wo Zerstörungen bereits stattgefunden haben und welche speziellen Hilfsmaßnahmen gefordert werden. Auf ukrainischer Seite wurden – solange dies während der Angriffe möglich war – verschiedene, teils provisorische Schutzmaßnahmen ergriffen: Bewegliche Kulturgüter wurden in Keller oder auch in außerhalb der Städte liegende Depots verbracht, Kirchenfenster teils durch Gitter und Holzwände abgeschirmt, wertvolle Skulpturen im Außenraum eingewickelt und Museen sowie kulturelle Monumente mit dem Emblem der Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten gekennzeichnet.

 

ICOM Deutschland steht seit Beginn des Krieges in Verbindung mit ICOM Ukraine sowie einigen ICOM Nationalkomitees aus den angrenzenden Staaten. Bereits vor der aktuellen Kriegssituation in der Ukraine hatten uns im vergangenen Jahr Hilferufe von Kolleginnen und Kollegen aus Belarus erreicht, die unter massiven Repressionen und einer breiten politisch inszenierten Entlassungswelle litten. Schon damals mussten viele Künstlerinnen und Künstler, aber auch Museumsmitarbeitende fliehen. Noch vor Kurzem erreichte uns nicht nur ein Schreiben des Direktors der Eremitage in Sankt Petersburg, der um den wirtschaftlichen Erhalt seines Weltmuseums bangt, weil die Sanktionen auch die russische Kultur bannen, sondern auch von ICOM Russia, das sich explizit gegen den Krieg Russlands gegen die Ukraine aussprach. Auch dies ein Notschrei aus einem betroffenen Land. ICOM Deutschland wie auch International haben sich für den Fortbestand des dialogischen Miteinanders eingesetzt. In den vergangenen Tagen hat sich der Druck auf russische Kulturtreibende massiv erhöht, vielfach werden sie mit Auftrittsverbot belegt. Es wird eine Herausforderung bleiben, das Miteinander neu zu definieren, vertrauensvoll miteinander zu arbeiten und Perspektiven für die russische und ukrainische Seite zu eröffnen. Dies ist nicht nur eine Frage des bilateral angespannten Verhältnisses, sondern eine neue Dimension für den gesamten europäischen Kulturraum.

 

Die Lage hat sich durch die massive Bombardierung ukrainischer Städte erneut zugespitzt. Vor dem Hintergrund, dass vor Ort kaum aktiv geholfen werden kann, gilt es jetzt für alle Kulturverbände, Künstlerinnen und Künstler sowie Privatinitiativen, die Kräfte zu bündeln, um Hilfe bzw. Unterstützungsangebote an die jeweils Betroffenen richten zu können. Diverse Netzwerke, auch über private Kontakte, funktionieren für viele der betroffenen Künstlerinnen und Künstler relativ gut, zumal viele sich aktuell auf eine sichere Flucht aus der Ukraine fokussieren, um in einem der angrenzenden Staaten aufgefangen zu werden. Der Deutsche Kunstrat, der Deutsche Bühnenverein, das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste und viele andere bringen derzeit ihre eigenen, bereits bestehenden Strukturen ein, um konkrete Hilfsmaßnahmen anbieten zu können. Neben dem hohen sozialen Engagement innerhalb Europas werden hier wichtige Strukturen der Vernetzung für die Kultur geschaffen, die bislang beispiellos sind.

 

ICOM Deutschland richtet im Auftrag der BKM derzeit eine Informations- und Koordinierungsstelle für Kulturgut in der Ukraine unter bit.ly/3D493rO ein. Hier sollen alle Informationen gebündelt und Kontakte mit- und untereinander hergestellt werden, um effektiv und rasch Unterstützungen zu ermöglichen, vor allem aber Kulturgüter ggf. in Sicherheit zu bringen und zu schützen. Eine zuvor angelaufene Maßnahme ist die Vernetzung von ICOM Deutschland mit den Nationalkomitees in der Schweiz, Polen und Tschechien, um dringend benötigtes Verpackungsmaterial vor Ort zu bringen. Gerade über Polen werden noch informelle Wege genutzt. Ein wichtiger Aspekt, um vor Plünderungen und illegalem Handel zu schützen, ist die digitale Erfassung der Kunst- und Kulturbestände in der Ukraine. Eine internationale Initiative unterstützt ukrainische Museen und Kulturerbeeinrichtungen bei der Sicherung der Daten und Erstellung digitaler Twins bedrohter Artefakte: Saving Ukrainian Cultural Heritage Online unter sucho.org. Alle Maßnahmen leisten ein solidarisches Bekenntnis zur ukrainischen Kultur inmitten Europas.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/22.


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