Astrid Irrgang - 30. Mai 2022 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Aus Politik & Kultur: Ukraine

Einen kalten Krieg der Kultur darf es nicht geben


Kulturaustausch als Friedenseinsatz

Vom Sicherheitstraining für Konfliktgebiete über die Entsendung von zivilen Expertinnen und Experten bis zu Analysen für den Bundestag: Das Berliner Zentrum für Internationale Friedenseinsätze (ZIF; zif-berlin.org) bietet Leistungen und Expertise rund um das Thema Friedenseinsätze „aus einer Hand“. Seit 20 Jahren ist es das deutsche, international bestens vernetzte Kompetenzzentrum für dieses Thema. Bundesregierung und Deutscher Bundestag haben das ZIF im Jahr 2002 gegründet, um zivile Kapazitäten zur Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung zu stärken. Es war die visionäre Antwort der damaligen Bundesregierung und des Bundestages auf die Schrecken der Balkankriege, eine Materialisierung des deutschen Anspruches „Nie wieder“ zur Transformation von Krieg und Gewalt im multilateralen Bündnis mit ziviler Expertise. Der integrierte Ansatz des ZIF, der Training, Human Resources, International Capacity Development und Analyse unter einem Dach vereint, ist international als führendes Modell anerkannt.

 

Aktuell sind fast 200 Fachkräfte in über 40 Friedenseinsätzen weltweit über das ZIF tätig. Die Vereinten Nationen (UN), die Europäische Union (EU), das Nordatlantische Verteidigungsbündnis (NATO) und die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind für Deutschland die zentralen Akteure für multilaterale Friedenseinsätze. Der fachliche Hintergrund des Personals im Einsatz ist so vielfältig wie die Aufgaben vor Ort: Das ZIF sucht Staatsanwältinnen, IT-Spezialisten, Klimaexpertinnen oder politische Analysten genauso wie Human Resources Manager oder Mediatorinnen. Ihren Arbeitsvertrag haben die Fachkräfte mit dem ZIF – ihre Arbeitskraft gehört der jeweiligen internationalen Organisation. Dieses Personal ist ein lebendiger Ausdruck der deutschen Außenpolitik. Nicht umsonst ist das Auswärtige Amt Gesellschafterin des ZIF, das als gemeinnützige GmbH organisiert ist.

 

Der Angriffskrieg der Russischen Föderation auf die Ukraine seit 24. Februar 2022 hat unmittelbare Auswirkungen auf die Arbeit der dort seit 2014/2015 operierenden Friedenseinsätze der EU und der OSZE. Und damit auch auf das Personal des ZIF. Beide Missionen hatten – mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Arbeitsweisen – den Auftrag, einen möglichst wirksamen Beitrag zur nachhaltigen Befriedung zu leisten.

 

Insbesondere das Gastgeberland Ukraine wünschte nach der Krim-Annexion am 18. März 2014 die Präsenz der internationalen Gemeinschaft, um die „Augen und Ohren“ der Welt zur Zeugenschaft vor Ort zu wissen. Die Beobachterinnen und Beobachter der OSZE-Mission wurden an der sogenannten Kontaktlinie eingesetzt und dokumentierten die Einhaltung oder die Verletzung des Waffenstillstandsabkommens von Minsk. Diese Zeugenschaft ist nun nicht mehr möglich: In der OSZE ist die Russische Föderation Teilnahmestaat – und hat von ihrem Vetorecht gegenüber der OSZE-Mission Gebrauch gemacht. Die Arbeit der OSZE-Mission in der Ukraine ist damit Vergangenheit; derzeit finden nur noch verabredete Abwicklungsarbeiten statt, etwa das Zurückholen von Material wie Fahrzeuge, das bei der zum Teil dramatischen Evakuierung der internationalen Mitarbeitenden zurückgelassen wurde.

 

Die Arbeit der EU im Rahmen der European Monitoring Mission in Ukraine wird dagegen nach der Evakuierung im Februar fortgesetzt und wurde um die Unterstützung bei der Ermittlung zu Kriegsverbrechen erweitert. Allerdings arbeitet die Mission aktuell nicht auf dem Territorium der Ukraine. Irgendwann sollen diese Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag zur Anklage kommen; auch hierfür soll über das ZIF ein personeller, deutscher Beitrag gelingen.

 

Den Krieg in der Ukraine beenden zu helfen, ist das Versprechen, das die Bundesregierung im westlichen Bündnis gegenüber der Ukraine gemacht hat. Hierfür werden in hohem Tempo Entscheidungen von erheblicher Tragweite beschlossen, die die militärische Wehrhaftigkeit der Ukraine stärken und die wirtschaftliche Kraft der Russischen Föderation schwächen sollen. Auf dem Weg zur Transformation des Konfliktes dürfte es ein Zeitfenster geben, in dem ein Waffenstillstand auszuhandeln und dann auch zu beobachten ist. Dies sind klassische Aufgaben für internationale Friedensmissionen. Ein aktuelles Beispiel hierfür ist die EU Monitoring Mission in Georgien, die mit unbewaffneten Beobachterinnen und Beobachtern vor allem in den Grenzen zu den abtrünnigen Provinzen patrouilliert, Kanäle des Dialogs zwischen den Konfliktparteien moderiert, die Menschenrechtssituation und Lebensumstände der lokalen Bevölkerung beobachtet und der internationalen Gemeinschaft darüber berichtet. Auch humanitäre Organisationen liefern wertvolle Beiträge in der Ukraine und auch in den benachbarten Staaten wie Polen, Rumänien und Moldau, um das Leid der ukrainischen Geflüchteten abzumildern.

 

Auch ein militärisch-technisches Thema wie Minensuche und Minenräumung gehören in das Fachrepertoire von Friedenseinsätzen, um Landschaften und Orte wieder bewohnbar zu machen. Hier haben die Vereinten Nationen eine besondere Expertise, etwa aufgrund ihrer Erfahrungen im Südsudan oder Zypern. Auch Dialog- und Versöhnungsprozesse sind Teil dieses Instrumentenkastens der zivilen Expertise, der dann eingesetzt werden sollte.

 

Auf diese Aufgaben müssen Deutschland und unsere Partner vorbereitet sein, um schnell mit einer Struktur vor Ort zu antworten. Wer Frieden will, muss mit seinem Feind im Gespräch sein: Diese Erkenntnis sollte unser Handeln bestimmen. Gelebte, nicht abreißende Verbindungen zu den Menschen in der Russischen Föderation, etwa im Bereich der Kultur, sind ein wichtiger Beitrag für die Zeit „danach“. Diesen Zielpunkt dürfen wir nicht aus dem Auge verlieren, auf ihn sollten wir innerlich ausgerichtet bleiben, nicht auf den Ausnahmezustand Krieg. Es dürfte für mindestens eine Generation – wenn nicht erheblich länger – gemeinsam viel zu betrauern und Verlorenes aufzubauen sein. Hierbei kann Kulturaustausch ganz wesentlich unterstützen. Kultur hat einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass die Kriegs- und Nachkriegsgenerationen in Deutschland und in der ehemaligen Sowjetunion einander wieder begegnen und auch traumatische Erfahrungen versprachlichen konnten. Einen „Kalten Krieg“ der Kultur darf es nicht geben, auch wenn die Sanktionspakete diese aktuell mit betreffen. Hierbei ist Fingerspitzengefühl und Brückenbauen ins derzeit noch Ungewisse auf allen Seiten gefragt.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/22.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/ukraine/aus-politik-kultur-ukraine/einen-kalten-krieg-der-kultur-darf-es-nicht-geben/