Sabine Leutheusser-Schnarrenberger und Gabriele Schulz - 11. Oktober 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Wertedebatte

Recht und Islam


Gabriele Schulz im Gespräch mit Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger

Frau Ministerin, das Thema Ihres Rechtspolitischen Neujahrsempfangs in diesem Jahr war „Islam und Recht“. Wie sind Sie auf dieses Thema gekommen?
In unserer Gesellschaft hat es in den vergangenen Jahren einen Wechsel der Stimmung hinsichtlich des Islams gegeben. Früher haben Muslime ihre Integrationschancen höher eingeschätzt, und sie haben sich für dieses Ziel auch angestrengt. Mittlerweile schlägt ihnen eine Welle der Ablehnung und Ausgrenzung entgegen. Menschen werden auf Grund ihres Glaubens oder auch nur ihrer Herkunft unter Generalverdacht gestellt. Das demotiviert, auch wenn Integration keine Einbahnstraße ist und Migranten ihren Teil zum Gelingen beitragen müssen. Wenngleich historische Vergleiche nie ganz passgenau sind, so sehe ich Tendenzen, wie es sie schon einmal in Deutschland gab, und zwar am Ende des 19. Jahrhunderts während der Zeit des Kulturkampfes. Damals suchte das gerade gegründete und preußisch geprägte Kaiserreich einen Aufbaugegner und meinte, ihn im Katholizismus zu finden. Viele der damaligen Argumente gegen den Katholizismus, wie etwa seine vorgebliche Modernisierungsfeindlichkeit, eine angebliche Bildungsferne und seine vorgebliche Bindung an die päpstliche Auslegung an Stelle der Gesetze, tauchen wie unheimliche Widergänger in der heutigen Debatte auf. Darauf wollte ich aufmerksam machen.

 

Sehen Sie als Justizministerin ein Spannungsfeld zwischen Religion und Recht?
Die inneren Überzeugungen und der äußere Zwang des Rechts stehen immer in einem Spannungsverhältnis. Das gilt für alle Arten von Überzeugungen, gleich ob sie eine religiöse oder weltanschauliche Wurzel haben. Auch religiöse Regeln können in Konflikt mit dem Recht geraten, das betrifft das Glockengeläut der Kirchen genauso wie den Ruf vom Minarett. Aus Sicht des Rechts gibt es dabei keinen Unterschied, denn sowohl Christen wie Muslime können sich auf ihre im Grundgesetz geschützte Religionsfreiheit berufen. Die Ausübung dieser Freiheit darf aber nicht dazu führen, dass andere Menschen in ihren Rechten unzulässig eingeschränkt werden. Die Grenzziehung zwischen Religion und Recht ist deshalb auf dem Boden des Rechts in jedem Einzelfall zu treffen. Wichtig ist, dass es keinen Vorrang einer Religion vor einer anderen und keine Bevorzugung einer Religion vor dem Recht gibt.

 

In der politischen aber auch in der gesellschaftlichen Debatte wird oft ein Gegensatz zwischen dem jüdischchristlichen Erbe und dem Islam aufgemacht. Wie sehen Sie das?
Der Begriff christlich-jüdisch klingt beim ersten Hören sympathisch, wobei ich mich aber frage, ob die damit einhergehende Vereinnahmung des historisch in unserem Land verfolgten Judentums von den Deutschen jüdischen Glaubens überhaupt mehrheitlich geteilt wird. 2.000 Jahre europäischer und deutscher Geschichte können nicht auf dieses ausgrenzende Wortpaar verkürzt werden. Das Säkulare und die Suche nach rationalen Erklärungen sind Teil unserer Ideengeschichte. Wir haben über einen furchtbaren Religionskrieg und rassische Verfolgung gelernt, dass Toleranz und Akzeptanz und nicht Ausgrenzung die Wurzel unserer Gesellschaft bilden. Was hat die Integrationschance eines sozial schwachen Deutschen oder Muslims heute damit zu tun, dass die Franken im Jahr 732 eine Schlacht gewonnen haben, wo noch nicht einmal mittelalterliche Quellen dies für ein bedeutendes Ereignis hielten, oder der französische König mit dem Sultan verbündet war, als die Türken vor Wien standen? Wichtig ist doch, dass beide Bildung erlangen und lernen, gut mit arabischen Ziffern umzugehen. Die Grundlage unserer Gesellschaft wird durch keine bestimmte Konfession und keine ausgewählte Gruppe von Konfessionen gebildet. Die Basis unseres Zusammenlebens bilden das Grundgesetz, die darin garantieren Grundrechte und die tragenden Institutionen im Sinne des Verfassungspatriotismus. Die Rechte unserer Verfassung, wie Menschenwürde, Meinungsfreiheit und die Gleichbehandlung der Geschlechter kommen Christen, Muslimen und den vielen anderen gleichermaßen zu. Unser Blick sollte sich auf das Individuum und nicht auf eine Gruppe richten. Weder Muslime noch Christen lassen sich als fest umrissene Einheit fassen. Hinter diesen Bezeichnungen stehen individuelle Menschen mit individuellen Rechten. Das bedeutet auch, dass derjenige, der die Rechte anderer beschränkt, die daraus entstehenden Rechtsfolgen zu tragen hat. Ein Ehrenmord ist ein Mord und eine Zwangsheirat wird als Nötigung bestraft. Der Rechtsstaat ist nicht blind für Straftaten, er urteilt ohne Ansehen der Religion.

 

Wird durch einen Rechtspolitischen Neujahrsempfang der Islam nicht besonders hervorgehoben? Oder wollten Sie damit zu einer Versachlichung der Debatte um den Islam beitragen?
Das Bundesjustizministerium hatte zu der Rede den angesehenen Islam- und Rechtswissenschaftler Professor Mathias Rohe von der Universität Erlangen eingeladen. Mir ging es um eine Versachlichung der Debatte und das ist auch gelungen. Ich habe viel Zuspruch und noch mehr Zuschriften erhalten, darunter aber auch solche, die mit Zitaten aus der 1.400 Jahre alten Schrift des Korans belegen wollten, dass von der Religionszugehörigkeit eine Gefahr ausgehe. In der Rede hatte ich aus der Bibel zitiert. Im Alten Testament wird historisch bedingt viel Blut von Andersgläubigen vergossen, während die Evangelien viel von Nächstenliebe berichten. Auch der Koran enthält Botschaften zum friedlichen Miteinander. Diese Stellen habe ich in den kritischen Zuschriften vermisst. Mir scheint hier noch viel Aufklärungsarbeit notwendig.

 

 

Im März fand das zweite Plenum der zweiten Runde der Deutschen Islamkonferenz statt. Sehen Sie für die Deutsche Islamkonferenz Entwicklungsperspektiven oder hat sie ihren Zweck, mit einem Dialog zu beginnen, erfüllt?
Im Moment sehe ich leider die Gefahr, dass die Islamkonferenz zu einem Ort der Konfrontation wird. Der Streit darüber, welche Religion Deutschland in der Vergangenheit wie stark geprägt hat, mag von historischem Interesse sein, ist aber keine schöne Begleitmusik für eine Konferenz, die Integration für die Gegenwart und Zukunft fördern soll. Auch der Vorschlag einer Sicherheitspartnerschaft nimmt den muslimischen Glauben nicht als Teil von Deutschland wahr, sondern als Quelle von Extremismus und Radikalisierung. Hier wird der Islam aller Gläubigen mit dem Fanatismus weniger Islamisten gleichgesetzt. Zudem ist das Thema Islam und Innere Sicherheit schon lange Bestandteil der Islamkonferenz. Die Reaktionen der Teilnehmer sollten uns nochmals an unsere Integrationsverantwortung erinnern. Es hinterlässt Fragezeichen, wenn die in der Konferenz vertretenen Muslime offener für andere Religionen wirken als die staatlichen Vertreter.

 

Wie schätzen Sie wird die Diskussion um den Islam in Deutschland gerade unter rechtspolitischer Perspektive weitergehen? Wird es eine spannende und spannungsgeladene Diskussion bleiben oder wird es vielleicht in einigen Jahren genauso selbstverständlich wie es Professuren für Kirchenrecht gibt, auch welche für Islamisches Recht geben?
Langfristig müssen wir zu einer Normalisierung gelangen. Das öffentliche Abarbeiten am Islam dient letztlich der einseitigen politischen Profilbildung und darin liegt eine große Gefahr. In unseren Nachbarstaaten verlieren die großen und vor allem auch die christlichen Parteien an Bedeutung und machen Platz für kleine chauvinistische Bewegungen. Ob und wie an den Universitäten Lehrstühle für islamisches Recht eingerichtet werden, ist eine Sache der Hochschulen. Wobei zwischen dem Staatskirchenrecht als dem Recht, das die Beziehungen zwischen den Kirchen und dem Staat regelt, und dem islamischen Recht, das sowohl religiöse als auch rechtliche Normen beinhaltet, Unterschiede bestehen. Ich würde einen entspannten Umgang begrüßen.

 

Der Islam ist in Deutschland keine anerkannte Religionsgemeinschaft, da er anders als beispielsweise die Kirchen verfasst ist. Sehen Sie hier für die nächste Zukunft Entwicklungsperspektiven? Oder besteht Ihrer Ansicht nach gar nicht das Erfordernis nach einer Anerkennung als Religionsgemeinschaft?
Der Islam ist gänzlich anders verfasst als die christlichen Kirchen. Es gibt weder Papst noch Bischöfe, die Vertragspartner des Staates sein könnten. Die islamischen Gemeinden sind auch höchst unterschiedlich hinsichtlich ihrer Konfessionen und hinsichtlich der Herkunftsländer der Gläubigen verfasst. Der rechtliche Status einer anerkannten Religionsgemeinschaft kann deshalb nicht dem Islam als solchem zuerkannt werden. Anders verhält es sich mit der einzelnen Moscheegemeinde, die aber natürlich vergleichsweise klein ist. Daher wäre es wünschenswert, wenn die Muslime sich so koordinieren könnten, dass sie wenigstens in den wichtigen Fragen, die ihr Verhältnis zum Staat betreffen, möglichst mit einer Stimme sprechen könnten.

 

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2011.


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