Tom Braun - 8. November 2015 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Wertedebatte

Anerkennung, Partizipation, Verständigung


D ie Bundesvereinigung Kulturelle Kinder und Jugendbildung (BKJ) hat ihre Stellungnahme zur Situation geflüchteter Jugendlicher und Kinder aus gutem Grund unter den Titel gestellt „Recht auf Bildung und kulturelle Teilhabe geflüchteter Kinder und Jugendlicher umsetzen!“. Denn ein gelingendes Ankommen von Geflüchteten in Deutschland ist in gleich mehrfacher Weise unmittelbar mit der Frage nach der Möglichkeit verbunden, geltende Rechte vollumfänglich in Anspruch nehmen zu können.

 

Die Rechte junger Menschen, die nach einer Flucht in Deutschland ankommen, sind sowohl im deutschen Sozialgesetzbuch als auch in internationalen Übereinkommen festgeschrieben. Dies betrifft z. B. die in der UN-Kinderrechtskonvention verankerten Rechte auf freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben, das Recht auf Bildung sowie das Recht, vor Gefahren für das eigene Wohl geschützt zu werden. Diese Rechtsansprüche anzuerkennen und ihre Wahrnehmung auch für geflüchtete Kinder, Jugendliche und Erwachsene durchzusetzen stellt nicht nur eine Voraussetzung für eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben dar. Sondern mit der Umsetzung der Rechtsansprüche werden unentbehrliche Voraussetzungen gewährleistet, damit junge Menschen die Möglichkeit erhalten, sich an ihrem neuen Lebensort als Personen verstehen können, die sich dem Zusammenleben in ihrer neuen Heimat Deutschland verpflichtet fühlen. Ankommen in Deutschland ist jedoch nicht in einer automatisierten Anwendung oder Befolgung rechtlicher Rahmenbedingungen zu erreichen. Ankommen ist darüber hinaus darauf angewiesen, dass Menschen sich in der Begegnung mit anderen wiedererkennen und ihre Erfahrungen gemeinsam erweitern können. Dem Aufruf zur Integration ist daher als Gegenkonzept die Ermöglichung von Partizipation als Aufgabe gegenüberzustellen. Partizipation bedeutet nicht nur, an etwas teilzuhaben. Partizipation bedeutet vielmehr, das Ganze, an dem ich Anteil nehme, als solches auch erfahren zu können, damit ich es anerkennen kann. Während die Anerkennung und Umsetzung der Rechtsansprüche die Voraussetzungen schaffen, als Person in dieser Gesellschaft anzukommen, sind wir darüber hinaus gefordert, geflüchteten Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die Möglichkeit zu erschließen, sich mit ihren individuellen Stärken und Bedürfnissen in diese Gesellschaft einbringen zu können. Gesellschaftliche Partizipation ist ein Prozess, den es kulturell zu gestalten gilt.

„Dem Aufruf zur Integration ist daher als Gegenkonzept die Ermöglichung von Partizipation als Aufgabe gegenüberzustellen.“

Partizipation ist an die Frage gebunden, wie alle hier lebenden Menschen – und darin liegt der entscheidende Unterschied zum Konzept der Integration – dieses Ganze gemeinsam gestalten können. Die Frage des Ankommens geflüchteter Kinder, Jugendlicher und Erwachsener wirft damit abermals Fragen nach in unserer Gesellschaft bestehenden sozialen, kulturellen und ökonomischen Teilhabehürden auf. Die Akteure in Kulturpolitik und kultureller Bildung sind deshalb dazu aufgefordert, sich stärker mit Akteuren anderer Politikbereiche als Verantwortungsgemeinschaft aufzustellen, und eine gerechte, demokratische und inklusive Gesellschaft auch als einen kulturpolitischen Gestaltungsauftrag anzunehmen. Als Akteure haben wir im Zuge dessen unter anderem dafür zu sorgen, dass Kultureinrichtungen ihren gesellschaftlichen Auftrag als Orte der Verständigung und Anerkennung nachkommen können. Dafür brauchen die Akteure eine Kultur-, Bildungs-, Jugend- und Sozialpolitik, die sie in der Wahrnehmung ihres Auftrags in der Vernetzung, Beratung und Entwicklung tragfähiger Konzepte im Zusammenwirken von Kommunen, Ländern, Bund und Zivilgesellschaft unterstützt.

 

Dieser Text ist zuerst in Politik & Kultur 06/2015 erschienen.


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