Keine Beziehung auf Augenhöhe
Über das Verhältnis von Künstlern und der Politik
Kulturschaffende wurden in den letzten Jahren vermehrt von Parteien umworben. Mit dem Aufstieg der Kreativbranche in den letzten zwei Jahrzehnten hat die Politik die Kulturschaffenden als wichtige Meinungs-Multiplikatoren entdeckt. Die Kreativwirtschaft erzielt, nach Ergebnissen der parteiübergreifenden Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ mittlerweile eine Bruttowertschöpfung, die das der petrochemischen Industrie längst überholt hat und nur noch knapp hinter der Autobranche liegt. Künstler und Kreative stehen längst nicht mehr am Rande der Gesellschaft.
Regelmäßig werden Künstler in Talkshows eingeladen, von Zeitungen und Radiosendern nach ihrer Meinung gefragt. In Zeiten des allgemeinen Vertrauensverlusts in sogenannte Autoritätspersonen, in Politiker oder Kirchenvertreter, erleben sie, was die öffentliche Meinung angeht, eine enorme Bedeutungssteigerung. Und so sind Kreative und Kulturschaffende in den Fokus der Parteien gerückt. Hinzu kommt, dass sich nach dem Tod von sehr aktiven Schriftstellern wie Günter Grass nun in der öffentlichen Wahrnehmung eine Leerstelle aufgetan hat.
Dennoch besteht in der Relation zwischen einem Künstler und einer politischen Partei keine Beziehung auf Augenhöhe. Die Partei profitiert in anderer Weise von ihm als er von der Partei. Im Wahlkampf zum Beispiel fungiert der Künstler als Werbemittel und sollte sich über diese Vereinnahmung zumindest bewusst sein.
Die, historisch betrachtet, so schwer erkämpfte relative Autonomie der Kunst in Demokratien sollte nicht leichtfertig – möglicherweise aus Profilierungsgründen – aufgegeben werden. Wenn man bedenkt, wie mühevoll in früheren Jahrhunderten die Emanzipation der Kunst von der Religion gewesen ist – wie revolutionär war Da Vinci mit der Entwicklung der Zentralperspektive, die den Menschen und nicht Gott ins Zentrum der Anschauung rückte! –, wenn man bedenkt, dass auch die versuchte Verpflichtung der Literatur auf Propagandazwecke in diesem Land erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit – 1945 bzw. 1989 – überwunden wurde, kann es einen wundern, wie schnell manche Schriftsteller heute bereit sind, sich einer Partei anzudienen. Sie geben den Posten des neutralen Beobachters auf, obwohl sie doch auf ihrem ureigenen Feld, der Literatur, politische Inhalte verhandeln können: kaum ein Werk von Weltrang, welches nicht gleichsam von innen heraus ein gesellschaftspolitisches Portrait liefert. Allemal eignet sich in Zeiten diffus gewordener Feindbilder und einer „neuen Unübersichtlichkeit“ ein komplexer Roman besser zur Kritik der Verhältnisse als ein ins Mikro gebrüllter Slogan oder ein Schlagabtausch auf einem Podium in Wahlkampf-Zeiten. Sich unisono einer Partei zur Verfügung zu stellen, bedeutet Ja-Sagen zu zig Positionen, denen man – für sich betrachtet – oft nicht zustimmen würde. Das hat mit der so wichtigen Unabhängigkeit des Urteils nichts mehr zu tun. Künstler sollten unbestechlich sein und eine eigene, unverwechselbare Stimme besitzen. Sie sollten nicht aus der „Wir halten zusammen“- und „Wir müssen Geschlossenheit demonstrieren“-Logik des parteipolitischen Betriebs heraus agieren müssen. Und: Wenn Künstler und Kulturschaffende, die stets, auch beruflich, von der medialen Öffentlichkeit abhängig sind, nicht mehr mit den Positionen einer Partei übereinstimmen, ist es sehr schwer für sie, ihre Zustimmung aufzukündigen. Sie sind in der Öffentlichkeit gelabelt, und dieses Partei-Label werden sie so schnell nicht mehr los.
Künstler und Kulturschaffende brauchen und sollten den Realpolitikern nicht nach dem Mund reden und versuchen, es ihnen gleichzutun. Man erhofft sich von ihnen doch ein Vorstellungsvermögen von einer anderen, besseren Zukunft – ein utopisches Moment, ein visionäres Buch, Gemälde oder Theaterstück. In der Literatur, der Bildenden Kunst, in Tanz und Theater können Zukunftsszenarien vorgestellt, neue Blicke auf die Vergangenheit geworfen, verschiedene Wirklichkeiten ausprobiert werden. Gute Kunst entsteht nur in einem autonomen, parteifreien Labor, einem Experimentierfeld ohne versuchte Einflussnahme.
Die Frage nach dem parteipolitischen Engagement ist klar abzugrenzen von der Frage nach dem politischen Engagement. Kulturschaffende können zu aktuellen politischen Vorgängen öffentlich Stellung beziehen und auch gelegentlich kämpferisch in Erscheinung treten. Somit können sie die eine oder andere Partei temporär und themenbezogen unterstützen. Dann haftet ihnen auch nicht der Geruch der Kungelei an. Allerdings: Kunst muss sich niemals ihre Legitimation über den Gehalt an politischer Stellungnahme erkämpfen. In den Sechziger Jahren gab es Versuche, Kunst zu disqualifizieren, die sich nicht auf den ersten Blick erkennbar mit den politischen Prämissen der Zeit beschäftigte. Dass der zweite Blick, der oft eine stille Resilienz offenbart, vielen Menschen verborgen bleibt, zeigt zum Beispiel das Werk von Paul Klee. Künstler sollten keine Verpflichtung auferlegt bekommen. Schon gar nicht die, sich einer politischen Marke andienen und Wahlkampf betreiben zu müssen.
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