Robert Staats - 5. Juli 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Verlegerbeteiligung

Eine unverzichtbare Errungenschaft


Die gemeinsame kollektive Rechtewahrnehmung für Urheber und Verleger hat in Deutschland eine lange Tradition. Derzeit sind neben der VG WORT auch GEMA, VG Bild-Kunst und VG Musikedition für beide Berufsgruppen tätig. Eine gemeinsame Rechtewahrnehmung gibt es aber auch in einer Vielzahl von anderen Mitgliedstaaten der EU, wie beispielsweise in Frankreich, Belgien, Spanien oder Österreich. Die älteste – echte – Verwertungsgesellschaft der Welt, die französische SACEM, zählt seit ihrer Gründung im Jahr 1851 Urheber und Verleger zu ihren Mitgliedern.

 

Das Modell der gemeinsamen Rechtewahrnehmung wird durch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Sache Reprobel gegen Hewlett Packard vom 12. November 2015 und des Bundesgerichtshofs (BGH) in der Sache Vogel gegen VG WORT vom 21. April 2016 unmittelbar in Frage gestellt. Der BGH hat – unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH – die bisherige pauschale Beteiligung der Verleger an den Ausschüttungen der VG WORT für unwirksam erklärt. Zwar hat der C.H. Beck-Verlag gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde eingelegt. Das ändert aber nichts daran, dass es rechtskräftig ist und seitens der betroffenen Verwertungsgesellschaften umgesetzt werden muss.

 

Soweit die aktuelle Lage. Rechtspolitisch, mit Blick auf die Zukunft, stellt sich die Situation etwas anders dar. Die Beteiligung – oder Nichtbeteiligung – von Verlegern an den Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften ist nicht etwa „naturrechtlich“ vorgegeben, sondern eine rechtspolitische Frage. Und eigentlich wollte der Gesetzgeber sie bereits vor Jahren – und zwar zugunsten einer Verlegerbeteiligung – klären. Mit der Änderung des Paragrafen 63a des Urheberrechtsgesetzes zum 1. Januar 2008 wurde explizit das Ziel verfolgt, die pauschale Verlegerbeteiligung bei der VG WORT sicherzustellen. Das hat – wie wir heute wissen – nach Auffassung der Gerichte nicht funktioniert. Aus Sicht der VG WORT, die sich auf die gesetzliche Änderung verlassen hatte, ist dieses Ergebnis natürlich höchst problematisch. Es ist deshalb sehr zu begrüßen, dass sich der Deutsche Bundestag kurz nach Verkündung der BGH-Entscheidung in einer Entschließung vom 28. April 2016 in aller Deutlichkeit für eine Verlegerbeteiligung an den gesetzlichen Vergütungsansprüchen und für eine gemeinsame Rechtewahrnehmung von Autoren und Verlagen ausgesprochen hat. Gleiches gilt für den Bundesrat, der sich bereits im Januar 2016 entsprechend geäußert hatte oder für die Justizministerkonferenz, die Anfang Juni 2016 einen entsprechenden Beschluss gefasst hat. Die gemeinsame Rechtewahrnehmung entspricht auch weiterhin der Auffassung der Mitgliederversammlung der VG WORT. Sie hat am 4. Juni 2016 mit großer Mehrheit folgenden Appell an die Politik verabschiedet: „Die Mitgliederversammlung der VG WORT vom 4. Juni 2016 appelliert an die politisch Verantwortlichen, rasch und wirksam dafür zu sorgen, dass die bisherige Struktur der VG WORT, also die gemeinsame Rechtewahrnehmung, weiterhin möglich bleibt. Beide Seiten, Urheber und Verleger, sind entschlossen, den gegenwärtigen und kommenden Herausforderungen, z. B. der des digitalen Wandels, gemeinsam zu begegnen. Auch dafür ist eine ungeteilte Verwertungsgesellschaft Wort der beste Weg.“
Insgesamt besteht damit innerhalb und außerhalb der VG WORT ein breiter rechtspolitischer Konsens, die gemeinsame Rechtewahrnehmung fortzusetzen. Und dafür gibt es sehr gute Gründe.

 

Neue Lizenzierungsmodelle ermöglichen
Verwertungsgesellschaften werden in der digitalen Welt eine immer wichtigere Rolle spielen. Das ist so oft gesagt worden, dass man es kaum noch hören mag. Dennoch ist es richtig. Die immer kleinteiligere Nutzung, die Vielzahl von beteiligten Rechtsinhabern, die fehlenden individuellen Kontrollmöglichkeiten: Das spricht alles für eine kollektive Rechtewahrnehmung. Was aber bedeutet es konkret? Es bedeutet, dass den Verwertungsgesellschaften zunächst die erforderlichen Nutzungsrechte eingeräumt werden müssen. Diese Rechte liegen im Textbereich in aller Regel bei den Verlegern. Fehlt es an einer gemeinsamen Verwertungsgesellschaft, so werden die Verleger die Rechte durch eine eigene Verwertungsgesellschaft oder eine unabhängige Verwertungseinrichtung wahrnehmen lassen. Die Urheber sind dort außen vor, sie haben weder Einfluss auf die Ausgestaltung der neuen Geschäftsmodelle noch erhalten sie auf kollektiver Ebene etwas von der Vergütung.

 

Kopiervergütung nicht gefährden
Der mit großem Abstand wichtigste Vergütungsbereich der VG WORT ist die Geräte- und Speichermedienvergütung („Kopiervergütung“), die von den Herstellern und Importeuren von Vervielfältigungsgeräten (z. B. Multifunktionsgeräte, Drucker, PC) dafür bezahlt wird, dass bestimmte Vervielfältigungen gesetzlich erlaubt sind („Privatkopieschranke“). Sollten die Verleger nicht mehr über die VG WORT an den Einnahmen aufgrund der Kopiervergütung partizipieren können, werden sie sich für einen eigenen – originären – Vergütungsanspruch einsetzen, wie auch immer er genau ausgestaltet sein mag. Und das aus guten Gründen. Verleger tragen maßgeblich dazu bei, dass Werke vervielfältigt werden können und sie erleiden – nicht anders als Urheber – einen Schaden durch die gesetzlich erlaubten Vervielfältigungen. Es kommt hinzu, dass andere Verwerter, die wie Tonträgerproduzenten und Filmhersteller über ein eigenes Leistungsschutzrecht verfügen, bereits seit langem ganz selbstverständlich an der Kopiervergütung partizipieren. Niemand wird es deshalb auf Dauer den Verlegern verwehren können, auf der Grundlage eines eigenen Vergütungsanspruches
ebenfalls ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Die große Frage aber ist, ob der Kuchen durch einen neuen Verlegeranspruch wirklich größer wird. Hier spricht einiges dafür, dass sich die Vergütungsschuldner mit Nachdruck dagegen wehren werden, einen zusätzlichen Verlegeranteil zu bezahlen. Und das dürfte auch Auswirkungen auf die Vergütung haben, die bisher an Urheber und sonstige Rechtsinhaber geflossen ist. Langjährige gerichtliche Auseinandersetzungen über die Höhe der insgesamt zu zahlenden Vergütung, Einnahmeausfälle für lange Zeit und eine Schwächung des gesamten Systems der Kopiervergütung sind zu befürchten.

Gesetzliche Vergütungsansprüche gemeinsam durchsetzen
Neben der soeben erwähnten „Privatkopieschranke“ gibt es noch eine Vielzahl von weiteren Schrankenregelungen, die bestimmte Nutzungen gesetzlich erlauben, gleichzeitig aber einen Vergütungsanspruch vorsehen. Bei einigen von ihnen gehen individuelle vertragliche Lizenzvereinbarungen zwischen Verlag und Nutzer der Schrankenregelung vor. Das ist beispielweise bei Intranetnutzungen an Schulen und Hochschulen, der Nutzung von elektronischen Leseplätzen oder dem Kopienversand auf Bestellung der Fall. Sollten die Verlage nicht mehr über die VG WORT an den gesetzlichen Vergütungen beteiligt werden, ist zu erwarten, dass vermehrt individuelle Lizenzvereinbarungen mit Nutzern abgeschlossen werden. Soweit das der Fall ist, können keine gesetzlichen Vergütungsansprüche mehr über die VG WORT abgewickelt werden; eine Beteiligung der Urheber auf kollektiver Ebene ist damit ausgeschlossen.

 

One-stop-shop
Nutzer und Vergütungsschuldner sind in aller Regel daran interessiert, bei Gesamtverträgen, Rahmenverträgen oder Lizenzvereinbarungen mit möglichst wenigen Verwertungsgesellschaften zu verhandeln. Das erleichtert und beschleunigt Vertragsabschlüsse und Tarifaufstellungen ganz erheblich. Insbesondere ist so sichergestellt, dass für Werknutzungen in einem bestimmten Bereich intern abgestimmte Vergütungen geltend gemacht werden und nicht unterschiedliche Verwertungsgesellschaften unterschiedlich hohe Vergütungssätze fordern. Sollten die Verleger ihre Rechte durch eine eigene Verwertungsgesellschaft wahrnehmen lassen, so steigt die Gefahr deutlich an, dass einvernehmliche Gesamtlösungen schwieriger werden, der Rechtsweg beschritten werden muss und neue Nutzungsformen blockiert werden. Ein interner Interessenausgleich innerhalb einer Verwertungsgesellschaft ist deshalb gerade aus Nutzersicht von großem Vorteil. Für die Berechtigten wiederum ist es wichtig, wenn Vergütungszahlungen schnell geleistet werden und nicht erst nach Jahren des „Durchprozessierens“.

 

Solidarisches Verhalten
Es geht in der allgemeinen Diskussion häufig unter: Der Verlegeranteil bei der VG WORT kommt nach dem bisherigen Verteilungsplan einem erheblichen Umfang sozialen und kulturellen Zwecken zugute. Zum Beispiel bei der Bibliothekstantieme für Ausleihen in wissenschaftlichen Bibliotheken: Der Autorenanteil wird ausgeschüttet, der Verlegeranteil fließt dagegen komplett in den Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT und wird dort vor allem für Druckkostenzuschüsse verwendet. Zum Beispiel bei der Presse-Kopiervergütung: Der Verlegeranteil wird fast vollständig an die Zeitungs- und Zeitschriftenverbände BDZV und VDZ ausgeschüttet und kommt dort journalistischen Ausbildungszwecken zugute. Z. B. beim Autorenversorgungswerk: Die Zuweisungen seitens der VG WORT werden aus den gesamten Einnahmen finanziert. Berechtigt zur Teilnahme am Autorenversorgungswerk sind aber – wie der Name bereits sagt – nur Autoren. Zum Beispiel beim Sozialfonds: Auch dieser Fonds wird aus den Gesamteinnahmen gespeist, Unterstützung erhalten aber vor allem in Not geratene Autoren.

 

Gemeinsame Plattform
Nicht zu unterschätzen ist auch, welche Vorteile eine gemeinsame „Plattform“ VG WORT bietet. Hier sitzen Autoren und Verlage in Gremien und Arbeitsgruppen zusammen und es gibt stets die Gelegenheit, das eine oder andere Problem, das nichts mit der VG WORT zu tun haben muss, „am Rande“ zu klären. Ein erheblicher Pluspunkt ist auch die Kombination von Kreativen und Kaufleuten. Für die sehr positive Fortentwicklung der VG WORT in den letzten Jahrzehnten sind die ehrenamtlich tätigen Verleger in gleicher Weise verantwortlich wie die ehrenamtlich tätigen Autoren.

 

Historische Perspektive
Ein Abschied von der gemeinsamen kollektiven Rechtewahrnehmung für Autoren und Verlage wäre eine Rückkehr in die frühen fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Damals gab es bereits eine Autorenverwertungsgesellschaft, die Gesellschaft zur Verwertung literarischer Urheberrechte (GELU). Diese scheiterte nicht zuletzt wegen der Auseinandersetzungen mit den Verlagen, die sich von der GELU nicht vertreten fühlten. Die damals gemachten Erfahrungen führten unmittelbar zu der Gründung der VG WORT, in deren Satzungspräambel es seit 1958 heißt: „Die Entwicklung des Urheberrechts erfordert den Zusammenschluss der Wortautoren und ihrer Verleger zu einer Gesellschaft, die die Verwertungsmöglichkeiten wahrnimmt. Der Einzelne kann insbesondere nicht mehr alle Nutzungen seiner Rechte überwachen und die ihm zustehenden Erträgnisse einziehen. Die dieser Gesellschaft zu übertragenden Rechte werden als gemeinsame Rechte der Berechtigten verwaltet und die Einnahmen nach einem festzulegenden Verfahren verteilt (Verteilungsplan).“ Es wäre eine rechtspolitische Tragödie, wenn diese erfolgreiche und freiwillig gewählte Gemeinschaft von Autoren und Verlegern nur deshalb scheitert, weil es nicht gelingt, eine verlässliche rechtliche Grundlage zu schaffen. Den Absichtserklärungen der Politik, so sehr sie zu begrüßen sind, müssen jetzt konkrete gesetzgeberische Maßnahmen auf nationaler und europäischer Ebene folgen.

 

Der Artikel ist zuerst in Politik & Kultur 4/16 erschienen.


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