Olaf Zimmermann & Heinrich Schafmeister - 30. Juni 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Wahlen 2017

Künstler: Hofnarren der Politik?


Ein Gespräch zwischen dem Schauspieler Heinrich Schafmeister und dem Herausgeber von Politik & Kultur, Olaf Zimmermann, zur Rolle von bekannten Künstlern in der Politik

„Politiker aller Parteien lieben die Künstler. Nicht alle, besonders nicht die Unbekannten. Sie lieben bekannte Schauspieler, Musiker und Schriftsteller. Gerne werden diese Künstler eingeladen und ihre Meinung zu diesem und jenem politischen Problem erbeten. Künstler lieben Politiker, denn sie lassen sich gerne einladen, sie freuen sich, wenn ihre Einschätzungen auch außerhalb ihrer Profession gefragt sind“, so kritisierte Olaf Zimmermann im Editorial der Mai/Juni 2016-Ausgabe von Politik & Kultur unter dem Titel „Hofnarr“ bekannte Künstler für ihre Bereitschaft, der Politik ihre Nähe zu geben, ohne adäquate Gegenleistungen von ihr dafür zu verlangen. Heinrich Schafmeister sprach mit Olaf Zimmermann über diese Kritik.

 

Heinrich Schafmeister: Ich finde, Deine Provokation ist mindestens erlaubt. Weil mich die gleiche Sorge absolut umtreibt, gerade in letzter Zeit.

 

Olaf Zimmermann: Ihr werdet gemocht und Ihr werdet geliebt. Die Kanzlerin war bei der Veranstaltung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Ende Juni unter der Kuppel des Reichstages in Berlin geradezu überzuckert von Euch und auch von Dir. Ihr müsstet ja alles von ihr bekommen können?

 

Dachdecker werden nicht sofort vorgelassen bei der Kanzlerin. Und ich bin absolut Deiner Meinung: Wir haben die Chance, gehört zu werden, darum tragen wir eine Verantwortung! Doch das politische Bewusstsein ist gerade unter Künstlern oftmals naiv bis pubertär. Siehst Du, jetzt werde ich noch böser als Du mit Deinen „Hofnarren“. Wir kennen uns mit den Spielregeln der Demokratie nicht richtig aus, wie Willensbildung zustandekommt in einer pluralistischen Gesellschaft. Wir meinen häufig, indem wir Kunst machen, machen wir schon genug Politik. Wir verkennen, wie wichtig Rahmenbedingungen sind, Tarifverträge, Filmfördergesetze, Satzungen, überhaupt dieses ganze dröge Paragraphengedöns – und dabei unterschätzen wir, welchen nachhaltigen Einfluss das alles auf unsere Kunst, auf unser Leben hat. Und dann schämen wir uns auch noch häufig, selbstbewusst bessere Berufsbedingungen für uns zu fordern. Nämlich für die, die Kultur schaffen. Denn wer sich für Kultur einsetzen will, muss sich für die einsetzen, die Kultur machen. Da führt kein Weg daran vorbei.

 

Aber gehen wir doch einen Schritt zurück, bevor wir dann zu dem Thema der öffentlichen Präsenz von bekannten Schauspielern kommen. Der Bundesverband Schauspiel, in dem Du im Vorstand mitarbeitest, ist die absolute Ausnahme der letzten Jahre. Eine erfolgreiche Neugründung einer Künstlergewerkschaft. Wir haben ja, wenn wir ehrlich sind, seit vielen Jahren das umgedrehte Verhältnis, d. h. die Künstlerverbände, mit ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, werden schwächer. Die Verwerterverbände werden stärker.

 

Wir Künstler haben berufsbedingt ein gestörtes Verhältnis zum Kompromiss. Als Künstler dürfen wir keine Kompromisse machen. Es kann nicht angehen, zu sagen, ich meine, ich muss von rechts auf die Bühne kommen, der andere sagt, nein, Du musst von links kommen, dann machen wir einen Kompromiss, ich komme von der Mitte. Wer so Kunst macht, dessen Kunst kann man sofort in die Tonne kloppen. Und das vollkommen zu Recht. Das ist uns in die Wiege gelegt. Leider werden wir immer wieder zu solchen billigen Kompromissen gezwungen, weil das Geld fehlt. Das macht Kompromisse bei uns nicht beliebter. Aber in der Politik sind Kompromisse goldrichtig, ja mehr noch: Kompromisse sind die absolute Voraussetzung für erfolgreiche Politik. Wir Künstler sind oft politikunfähig – weil kompromissunfähig. Wir tun uns schwer, Kompromisse, wenn sie sich anbieten, auch zu ergreifen, um dann beim nächsten Mal Schritt für Schritt weiterzugehen. Dieses Einmaleins politischen Denkens ist auch bei vielen Künstlerverbänden höchst unterentwickelt. Je kleiner und ohnmächtiger sie sind, desto fundamentalistischer geben sie sich manchmal – vielleicht, weil sie insgeheim spüren, dass sie ohnehin nicht gehört werden.

 

Ist das auch der Grund, warum es so schwierig ist, gerade bekannte Künstler, die auch wirklich im künstlerischen Schaffensprozess stehen, auch für die Spitze von Verbänden zu bekommen? Das ist ja bei euch eine Ausnahme.

 

Auch wir haben da Probleme. Wir haben z. B. in unserem Vorstand nur eine Frau. Geschlechtergerechtigkeit ist natürlich bei uns ein Thema. Das würden wir gerne auch mit der Vorstandsbesetzung deutlich machen. Aber die bisher erfolgreiche Arbeit fortzusetzen, hat absoluten Vorrang. Nicht unbedingt alle Frauen oder Männer, die „hier“ rufen, wären eine Bereicherung für die Arbeit bzw. Zusammensetzung des Vorstands. Sprechen wir umgekehrt die an, die ahnen, wie aufreibend zäh die ehrenamtliche Vorstandsarbeit sein kann, wie groß die Verantwortung ist, welche Konflikte es auszuhalten gilt, wie unbeliebt man sich machen muss; fragen wir die mit den passenden Eigenschaften, Fähigkeiten und Disziplinen sich einzugliedern, dann holen wir uns meistens einen Korb – zumal es sich um prominente Gesichter handelt. Aber wir bleiben dran.

Gehen wir nochmal zurück zu den politischen Ritualen. Mindestens alle vier Jahre steigen die bekannten Künstler in der Achtung der Parteien, nämlich dann, wenn wir vor einer Bundestagswahl stehen. Alle Parteien schmücken sich dann mit Künstlern, es gibt Unterstützergruppen, es gibt Veranstaltungen, wo die Künstler auftreten, und die Künstler machen das, finde ich, erstaunlich bereitwillig, obwohl sie nach der Bundestagswahl regelmäßig wieder vergessen werden und zwar ganz unabhängig davon, welche Partei sie vorher eingeladen hatte.

 

Ja, so sind wir. Gerade noch standen wir mit Schillers Worten „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit“ auf der Bühne und dann rufen uns Sigmar Gabriel oder Angela Merkel und wir denken, wunderbar, das können wir doch auf der politischen Bühne nochmal zum Besten bringen: „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“ Wir glauben an die Kraft solcher Worte und möchten am liebsten mal schnell die Welt retten. Das ist sympathisch und naiv zugleich. Wir sollten bei solchen politischen Begegnungen uns wirklich auf das Naheliegende, Machbare, auf die für uns wichtigen konkreten Ziele konzentrieren. Weniger global und pathetisch, lieber banal, aber auf den Punkt.

 

Aber ist das nicht spannend, wenn wir da noch einmal unter die Kuppel schauen bei der CDU/CSU-Fraktion, da hat eine Kollegin von dir gesagt: „Ich ziehe meinen Hut vor der Bundeskanzlerin wegen der Flüchtlingskrise“. Du hast sehr dezidierte Forderungen aufgestellt. In den Medien las man nur „Ich ziehe meinen Hut vor der Bundeskanzlerin“. Habt ihr Euch nicht selbst euer Thema kaputtgemacht? Wir gehen ja jetzt mit großen Schritten auf die Bundestagswahl zu, in einem halben Jahr haben wir den Wahlkampf …

 

Bei der Kanzlerin immerhin sind unsere Forderungen angekommen. Aber Du hast schon Recht. Darum haben wir angefangen, der Politik zu signalisieren, dass wir uns diesem „Vereinnahmungsdingsda“ demnächst verweigern werden. Wir müssen uns verweigern oder unsere Teilnahme an Forderungen koppeln. Wir müssen sagen „Wir kommen, aber dann wollen wir auch mal hören, was ihr jetzt konkret zu unseren Belangen sagt, und bitte kein allgemeines Geschwafel, sondern ihr müsst euch bekennen“.

 

Das finde ich spannend, denn das würde ja das politische Druckpotenzial des Kulturbereichs wirklich erhöhen, wenn es ein zielgerichtetes Einsetzen von Prominenten im Bereich des Wahlkampfes gäbe. Die Parteien wollen euch. Ohne euch werden die Wahlveranstaltungen noch langweiliger als sie möglicherweise sowieso schon sind. Siehst Du eine Möglichkeit, dass man gemeinsam über diese Zielfestsetzung spricht und sagt, „egal, was auch immer, es muss nachher unterm Strich auch etwas herauskommen. Wir werden nicht einfach nur den schönen Schein und den schönen Rahmen schaffen“.

 

Versuchen müssen wir es; denn wir sind es leid. Aber ich bin ein bisschen skeptisch, ob alle von uns das durchhalten. Ich erinnere mich an eine Politikerbegegnung, wo wir das konsequent getan haben, wo wir Schauspieler im Kreis vieler anderer Künstler dem damaligen SPD-Parteichef, Müntefering, ziemlich auf die Nerven gegangen sind mit der penetranten Frage, warum wir uns wahlkampfmäßig für die SPD einsetzen sollen, wenn die SPD sich nicht ein bisschen für uns Schauspielleute einsetzen will, z. B. für unseren gerechten Anspruch auf Arbeitslosengeld. Nachher empörten sich andere geladene Künstler und kamen mit dem Vorwurf: „Wie könnt ihr der hohen Politik mit diesen schnöden Forderungen kommen? Ihr macht ja nur Lobbypolitik, aber wo ist denn das große Ganze?“ Nur, das große Ganze gibt es nicht, es gibt nur kleine Schritte, die zu etwas Großem führen. Lobbypolitik ist überhaupt nichts Verwerfliches. Immerhin, Herr Müntefering ließ sich damals von unserer Spaßbremse beeindrucken und sorgte für einen politischen Durchbruch in der Arbeitslosengeldfrage.

 

Wir sollten auch nicht so gedankenlos zu all den Events, Festivals und Preisveranstaltungen latschen. Ich finde es schon fast obszön, was in der Kultur überall gefeiert wird, obwohl die Bedingungen für die meisten Kulturschaffenden immer prekärer werden. Auch unser Deutscher Schauspielerpreis wird hier und da missverstanden. Wir haben ihn nicht geschaffen, weil es davon zu wenig gäbe. Wir sehen ihn als Mittel. Wir wollen den Roten Teppich nutzen, wir wollen den Glamour politisch einsetzen. Wir versuchen, alles reinzubringen: Urheberrecht, TTIP, betriebliche Altersvorsorge … Und trotzdem, manche unserer eigenen Klientel glauben, der eigentliche Sinn des Bundesverbands Schauspiel bestehe darin, den Preis zu organisieren, damit wir toll abfeiern können. Aber der Preis ist kein Selbstzweck. Er soll uns eine Bühne bieten, unsere Prominenz, unseren Charme strategisch einzusetzen – für bessere Rahmenbedingungen, die letztlich auch denen von uns weiterhelfen, die von Hartz IV leben und sich den Besuch des Schauspielerpreises gar nicht leisten können.

 

Ich finde es wichtig, dass wir über etwas reden, über das bisher nie geredet wurde. Und zwar über den strategischen Einsatz prominenter Künstler im Kulturbereich. Das ist eigentlich unser ganz großes Plus im Gegensatz zu anderen Bereichen. Wenn wir darüber eine Debatte führen würden, wäre das doch nicht unanständig?

 

Ich behaupte sogar, dass es das einzig anständige ist!

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur Juli/August 2016.

 


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