Künstler: Hofnarren der Politik?

Ein Gespräch zwischen dem Schauspieler Heinrich Schafmeister und dem Herausgeber von Politik & Kultur, Olaf Zimmermann, zur Rolle von bekannten Künstlern in der Politik

Gehen wir nochmal zurück zu den politischen Ritualen. Mindestens alle vier Jahre steigen die bekannten Künstler in der Achtung der Parteien, nämlich dann, wenn wir vor einer Bundestagswahl stehen. Alle Parteien schmücken sich dann mit Künstlern, es gibt Unterstützergruppen, es gibt Veranstaltungen, wo die Künstler auftreten, und die Künstler machen das, finde ich, erstaunlich bereitwillig, obwohl sie nach der Bundestagswahl regelmäßig wieder vergessen werden und zwar ganz unabhängig davon, welche Partei sie vorher eingeladen hatte.

 

Ja, so sind wir. Gerade noch standen wir mit Schillers Worten „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit“ auf der Bühne und dann rufen uns Sigmar Gabriel oder Angela Merkel und wir denken, wunderbar, das können wir doch auf der politischen Bühne nochmal zum Besten bringen: „Sire, geben Sie Gedankenfreiheit!“ Wir glauben an die Kraft solcher Worte und möchten am liebsten mal schnell die Welt retten. Das ist sympathisch und naiv zugleich. Wir sollten bei solchen politischen Begegnungen uns wirklich auf das Naheliegende, Machbare, auf die für uns wichtigen konkreten Ziele konzentrieren. Weniger global und pathetisch, lieber banal, aber auf den Punkt.

 

Aber ist das nicht spannend, wenn wir da noch einmal unter die Kuppel schauen bei der CDU/CSU-Fraktion, da hat eine Kollegin von dir gesagt: „Ich ziehe meinen Hut vor der Bundeskanzlerin wegen der Flüchtlingskrise“. Du hast sehr dezidierte Forderungen aufgestellt. In den Medien las man nur „Ich ziehe meinen Hut vor der Bundeskanzlerin“. Habt ihr Euch nicht selbst euer Thema kaputtgemacht? Wir gehen ja jetzt mit großen Schritten auf die Bundestagswahl zu, in einem halben Jahr haben wir den Wahlkampf …

 

Bei der Kanzlerin immerhin sind unsere Forderungen angekommen. Aber Du hast schon Recht. Darum haben wir angefangen, der Politik zu signalisieren, dass wir uns diesem „Vereinnahmungsdingsda“ demnächst verweigern werden. Wir müssen uns verweigern oder unsere Teilnahme an Forderungen koppeln. Wir müssen sagen „Wir kommen, aber dann wollen wir auch mal hören, was ihr jetzt konkret zu unseren Belangen sagt, und bitte kein allgemeines Geschwafel, sondern ihr müsst euch bekennen“.

 

Das finde ich spannend, denn das würde ja das politische Druckpotenzial des Kulturbereichs wirklich erhöhen, wenn es ein zielgerichtetes Einsetzen von Prominenten im Bereich des Wahlkampfes gäbe. Die Parteien wollen euch. Ohne euch werden die Wahlveranstaltungen noch langweiliger als sie möglicherweise sowieso schon sind. Siehst Du eine Möglichkeit, dass man gemeinsam über diese Zielfestsetzung spricht und sagt, „egal, was auch immer, es muss nachher unterm Strich auch etwas herauskommen. Wir werden nicht einfach nur den schönen Schein und den schönen Rahmen schaffen“.

 

Versuchen müssen wir es; denn wir sind es leid. Aber ich bin ein bisschen skeptisch, ob alle von uns das durchhalten. Ich erinnere mich an eine Politikerbegegnung, wo wir das konsequent getan haben, wo wir Schauspieler im Kreis vieler anderer Künstler dem damaligen SPD-Parteichef, Müntefering, ziemlich auf die Nerven gegangen sind mit der penetranten Frage, warum wir uns wahlkampfmäßig für die SPD einsetzen sollen, wenn die SPD sich nicht ein bisschen für uns Schauspielleute einsetzen will, z. B. für unseren gerechten Anspruch auf Arbeitslosengeld. Nachher empörten sich andere geladene Künstler und kamen mit dem Vorwurf: „Wie könnt ihr der hohen Politik mit diesen schnöden Forderungen kommen? Ihr macht ja nur Lobbypolitik, aber wo ist denn das große Ganze?“ Nur, das große Ganze gibt es nicht, es gibt nur kleine Schritte, die zu etwas Großem führen. Lobbypolitik ist überhaupt nichts Verwerfliches. Immerhin, Herr Müntefering ließ sich damals von unserer Spaßbremse beeindrucken und sorgte für einen politischen Durchbruch in der Arbeitslosengeldfrage.

 

Wir sollten auch nicht so gedankenlos zu all den Events, Festivals und Preisveranstaltungen latschen. Ich finde es schon fast obszön, was in der Kultur überall gefeiert wird, obwohl die Bedingungen für die meisten Kulturschaffenden immer prekärer werden. Auch unser Deutscher Schauspielerpreis wird hier und da missverstanden. Wir haben ihn nicht geschaffen, weil es davon zu wenig gäbe. Wir sehen ihn als Mittel. Wir wollen den Roten Teppich nutzen, wir wollen den Glamour politisch einsetzen. Wir versuchen, alles reinzubringen: Urheberrecht, TTIP, betriebliche Altersvorsorge … Und trotzdem, manche unserer eigenen Klientel glauben, der eigentliche Sinn des Bundesverbands Schauspiel bestehe darin, den Preis zu organisieren, damit wir toll abfeiern können. Aber der Preis ist kein Selbstzweck. Er soll uns eine Bühne bieten, unsere Prominenz, unseren Charme strategisch einzusetzen – für bessere Rahmenbedingungen, die letztlich auch denen von uns weiterhelfen, die von Hartz IV leben und sich den Besuch des Schauspielerpreises gar nicht leisten können.

 

Ich finde es wichtig, dass wir über etwas reden, über das bisher nie geredet wurde. Und zwar über den strategischen Einsatz prominenter Künstler im Kulturbereich. Das ist eigentlich unser ganz großes Plus im Gegensatz zu anderen Bereichen. Wenn wir darüber eine Debatte führen würden, wäre das doch nicht unanständig?

 

Ich behaupte sogar, dass es das einzig anständige ist!

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur Juli/August 2016.

 

Olaf Zimmermann & Heinrich Schafmeister
Olaf Zimmermann ist Herausgeber von Politik & Kultur. Heinrich Schafmeister ist Schauspieler und Schatzmeister beim Bundesverband Schauspiel (BFFS).
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