Künstlerische Arbeit lebt auch von der Verschwendung: Vortrag von Olaf Zimmermann zum Thüringer Kulturgesetz am 15.11.2016 im Landtag in Erfurt

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

herzlichen Dank für die Einladung zur heutigen „Thüringer r2g Kulturwerkstatt“, in der es um das geplante Thüringer Kulturgesetz geht.

Dass ein solches Thüringer Kulturgesetz auf den Weg gebracht werden soll, wurde im Koalitionsvertrag vereinbart. Es steht dort, ich zitiere:

 

„Die Koalition wird die Kulturförderung durch ein Gesetz zur Förderung und Entwicklung der Kultur, der Kunst und der kulturellen Bildung im Freistaat auf eine verlässliche und verbindliche Grundlage stellen.“ Und weiter heißt es: „Ein solches Gesetz soll für mehr Transparenz, Verlässlichkeit und Planungssicherheit sorgen. Zudem wird es Regelungen für die Qualitätssicherung der Kulturförderung enthalten sowie eine sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung bei optimalen Einsatz im Sinne der künstlerischen Arbeit ermöglichen.“

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

mein erster Impuls beim Lesen dieses Vorhabens war „puh“ und ein tiefer Seufzer. Selbst jemandem, der Kulturgesetzen sehr positiv gegenüber steht, dem müssten eigentlich ein bisschen die Knie weich werden, denn diese Aussage im Koalitionsvertrag wirkt, als könnten alle kulturpolitischen Probleme mit einem Gesetz erledigt werden.

 

Ich bin fest davon überzeugt, dass dies nicht geht. Auch ein Kulturgesetz wird nicht plötzlich für mehr öffentliche Mittel sorgen und auch ein Kulturgesetz wird die Kulturpolitik nicht der Aufgabe entheben, das eine zu fördern und andere nicht.

 

Aber ein Kulturgesetz kann Bedingungen zur Mittelvergabe beschreiben und es könnte auch Regelungen vorsehen, wie das Land die Kommunen in der Kulturförderung unterstützt.

 

Ich will mich daher im Folgenden mit den einzelnen Aspekten, die im Koalitionsvertrag angesprochen sind, auseinandersetzen.

 

  • Doch zunächst möchte ich an die bestehenden Thüringer Kulturgesetze erinnern,
  • danach auf das Kulturfördergesetz NRW eingehen und
  • schließlich das Kulturraumgesetz Sachsen streifen.

 

Zuerst also zu den bestehenden kulturgesetzlichen Regelungen in Thüringen:

 

Da ist zuerst die Thüringische Verfassung zu nennen. Hier wird in Art. 27 die Kunstfreiheit garantiert und in Art. 30 festgelegt, dass Kultur, Kunst und Brauchtum den Schutz und die Förderung durch das Land und seine Gebietskörper genießen. Ausdrücklich erwähnt werden die Denkmale der Kultur, Kunst und Geschichte des Landes.

 

Da ist das „Thüringer Gesetz über die Sicherung und die Nutzung von Archivgut“, also das Thüringer Archivgesetz, zu nennen. Hierin ist festgelegt, was Archivgut ist, wer für welches Archivgut zuständig ist, wie Archivgut bewahrt werden muss und so weiter.

 

Schriftliches Kulturgut steht auch im Mittelpunkt des Thüringer Bibliotheksgesetzes, in dem die Aufgaben wissenschaftlicher und öffentlicher Bibliotheken sowie der Fachstellen beschrieben sind. Thüringen war im Übrigen das erste Bundesland, das die Empfehlung der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags „Kultur in Deutschland“ aufgegriffen hat, Bibliotheksgesetze zu schaffen.

 

Weiter zu nennen ist das „Thüringer Gesetz zur Pflege und zum Schutz der Kulturdenkmal“, also das Thüringer Denkmalschutzgesetz, in dem die Aufgaben der Denkmalpflege, ebenso beschrieben sind wie die unterschiedlichen Zuständigkeiten.

 

Bemerkenswert ist, dass Thüringen über kein Musikschulgesetz verfügt, obwohl hierzu im Jahr 2001 und 2009 Anläufe unternommen wurden. Der 2009 vorgelegte Entwurf eines Musikschulgesetzes wurde nicht verabschiedet.

 

Nun also statt weiterer Einzelgesetze ein spartenübergreifendes Kulturfördergesetz.

 

Bislang gibt es nur in zwei Bundesländern ein spartenübergreifendes Kulturfördergesetz und zwar seit 2014 in NRW und seit 1993 in Sachsen.

 

Bemerkenswert an NRW ist, dass es nach wie vor das Bundesland ist, das am wenigsten für die Kulturförderung tut. Kulturförderung ist in NRW vor allem Kommunale Kulturförderung. Der Kommunalisierungsgrad lag in NRW im Jahr 2012 bei 78%, daraus folgt, dass das Land 22 % der Kulturausgaben trägt.

 

Im Vergleich hierzu lag im selben Jahr der Kommunalisierungsgrad in Thüringen bei 47%, woraus folgt, dass das Land 53% der Kulturausgaben trägt.

 

Auch wenn diese Zahlen aus 2012 sind, treffen sie in der Tendenz nach wie vor zu.

 

Oder um es kurz zu machen:

 

Die Landeskulturförderung ist in NRW von vergleichsweise untergeordneter Bedeutung, da vor allem die Kommunen Kultur finanzieren, wohingegen die Landeskulturförderung in Thüringen von großem Stellenwert ist, da sie anteilsmäßig die kommunale Kulturförderung übersteigt.

 

Was regelt nun das Kulturfördergesetz NRW.

 

Das Kulturfördergesetz richtet sich an das Land NRW und regelt hier folgendes:

 

  • Handlungsfelder und Verfahren der Landeskulturförderung, hierfür gibt es den Kulturförderplan und den Landeskulturbericht.
  • Das Kulturfördergesetz wahrt, positiv ausgedrückt, die Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen und greift nicht in deren Entscheidungen ein. Negativ formuliert heißt dies, das Kulturfördergesetz hilft Kommunen in der Haushaltssicherung nicht, dennoch Kulturförderung zu betreiben.

 

Gerade letzterer Aspekt war eigentlich der Motor, ein Kulturfördergesetz auf den Weg zu bringen. Im Rahmen der Vorbereitungen zur Europäischen Kulturhauptstadt Ruhr 2010 standen verschiedene Kommunen, die in der Haushaltssicherung sind, deren Haushalt aufgrund der Überschuldung also von der Kommunalaufsicht genehmigt werden muss, vor der Frage, ob sie sich überhaupt beteiligen können, weil sie keine freien Mittel hatten.

 

Für die Kulturhauptstadt Ruhr 2010 wurden Mittel und Wege der Überbrückung gefunden. Das Problem aber blieb und die ursprüngliche Idee des Kulturfördergesetzes NRW war, hier eine dauerhafte Lösungen zu bieten. Ein Gedanke war dabei, die Kommunen zur Kulturförderung zu verpflichten, so dass die Kommunalaufsicht Kulturhaushalte auch in der Haushaltssicherung genehmigen muss, weil es eine Pflicht und keine freiwillige Ausgabe war.

 

Alle Versuche, eine solche Klausel zu verankern, sind gescheitert.

 

Übriggeblieben ist, dass das Land jeweils für 5 Jahre Ziele und Schwerpunkte der Landeskulturförderung festlegt. Damit soll mehr Planungssicherheit für die Kulturszene erreicht werden. Allerdings, und dies ist wichtig zu beachten, der Kulturförderplan steht unter dem Vorbehalt der jährlichen Haushaltsplanung. Böse könnte man sagen, der Kulturförderplan ist vor allem eine Absichtserklärung.
Neben dem Kulturförderplan soll einmal in jeder Wahlperiode ein Kulturbericht vorgelegt werden.

 

Im Kulturbericht geht es um die Kultur des Landes und die Kultur in den Kommunen. An der Erarbeitung werden Verbände, Institutionen und Einzelpersonen beteiligt. Er soll statistisches Material sowie Evaluationen zur Kultur in NRW beinhalten.

 

Ich erwarte mir gerade vom Kulturbericht wichtige Erkenntnisse. Sein Wert wird stark davon abhängen, ob hier tatsächlich kontinuierlich Datenreihen aufgebaut werden, die wiederum für kulturpolitische Planungen von Nutzen sein können.

 

In der Kulturförderung sollen mittels der zugehörigen Förderrichtlinie die bestehenden Spielräume des Haushaltsrechts ausgeschöpft werden.

 

Zusammengefasst möchte ich festhalten, dass meine Erwartungen an die Wirkungen des Kulturfördergesetzes NRW nicht sehr groß sind.

 

Sein Wert besteht vor allem in der Diskussion über Kulturpolitik und dem diskursiven Verfahren zur Erarbeitung des Landeskulturberichts.

 

Damit möchte ich zum zweiten Bundesland kommen, das ein Kulturgesetz hat und zwar Sachsen mit seinem Kulturraumgesetz.

 

Sachsen galt über viele Jahre hinweg als das leuchtende Vorbild für Kulturgesetze.

 

Hier wurde zu einem Zeitpunkt als die Kulturförderstrukturen in den neuen Bundesländern noch nicht gefestigt waren und sich zuerst das Problem der Theaterfinanzierung stellte, ein Modell zur Umlandfinanzierung kultureller Einrichtungen entwickelt.

 

Wie Ihnen sicherlich in Grundzügen bekannt ist, sind Kernpunkte des Sächsischen Kulturraumgesetzes

 

  • die Verankerung der Kulturförderung als Pflichtaufgabe im Rahmen eines Gesetzes,
  • die gemeinsame Finanzierung von regional bedeutsamen Kultureinrichtungen,
  • die Einbeziehung der Fachöffentlichkeit an den Förderentscheidungen.

 

Gebildet wurden zur Umsetzung des Sächsischen Kulturraumgesetzes

 

  • fünf ländliche Bereiche (Vogtland-Zwickau, Erzgebirge-Mittelsachsen, Leipziger Raum, Meißen-Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und Oberlausitz-Niederschlesien)
  • und drei urbane Kulturräume (Dresden, Chemnitz, Leipzig).

 

Finanzierungsgrundlagen des Sächsischen Kulturraumgesetzes sind

 

  • die sogenannte Kulturumlage, über dessen Höhe die Kulturräume selbst entscheiden und
  • die Zuweisungen des Freistaats Sachsen an die Kulturräume.

 

Wie schon erwähnt, galt über viele Jahre hinweg, dass Sächsische Kulturraumgesetz als Lösungsansatz für die Kulturfinanzierung und zwar speziell mit Blick auf die Umlandfinanzierung.

 

Heute wird das Sächsische Kulturraumgesetz auch kritischer gesehen, weil es vor Kürzungen und Strukturveränderungen im Kulturbereich nicht grundsätzlich bewahrt.

 

Seine Vorbildwirkung hat also nachgelassen, was auch daran abzulesen ist, dass NRW mit dem Kulturfördergesetz einen eigenen Weg gegangen ist und auch in Thüringen die rot-rot-grüne Landesregierung einen eigenen Weg vorsieht.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

damit komme ich zu Thüringen: was soll ein mögliches Gesetz zur Förderung und Entwicklung der Kultur, der Kunst und der kulturellen Bildung bringen? Welche Ziele werden damit verfolgt? Welche Erwartungen lassen sich damit verbinden?

 

Es soll als erstes, so der Koalitionsvertrag, eine verlässliche und verbindliche Grundlage der Kulturförderung darstellen.

 

Das hieße im Idealfall, es wird unabhängig von jährlichen Haushaltsentscheidungen für einen längeren Zeitraum festgelegt, was gefördert werden soll, ist dies wirklich gewollt?

 

  • Es gibt jenen, die eine Förderung bekommen, Planungssicherheit.
  • Alle anderen, die keine Förderung bekommen, wüssten, dass sie auf bestimmte Sicht auch keine bekämen, ist dies wirklich beabsichtigt und wo wäre der Gewinn?

 

Entstehen würde wahrscheinlich die beabsichtigte Transparenz, Verlässlichkeit und Planungssicherheit. Doch was ist der Preis dafür? Sollte in der Kulturförderung nicht auch die Möglichkeit bestehen, kurzfristig zu reagieren, gerade das zu fördern, was es im Moment schwer hat, was erst im Entstehen begriffen ist und einen Förderanstoß braucht? Sich dieses Instruments aufgrund zuvor festgelegter starrer Regeln zu berauben, wäre sehr schade.

 

Enthalten soll dieses Gesetz aber auch Regelungen zur Qualitätssicherung in der Kulturförderung. Offen ist hier, was gemeint ist:

 

  • Geht es um Qualität von Zuwendungsentscheidungen und Zuwendungsbescheiden, doch eher nicht
  • Geht es um Qualität der Geförderten? Wer legt die Kriterien fest? Was wird unter Qualität verstanden?
  • Welche Qualität ist gemeint? Geht es um Besucherzahlen, um erreichte Zielgruppen, um avantgardistische Kunst, um Partizipation?

 

Ich denke, gerade der Begriff der Qualität bedarf der Diskussion.

 

Darüber hinaus soll das Gesetz „eine sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung bei optimalem Einsatz im Sinne der künstlerischen Arbeit ermöglichen“. Ein Satz, den man sich auf der Zunge zergehen lassen sollte.

 

  • Zuerst: sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung wird von der Haushaltsordnung ohnehin verlangt, hierfür braucht man kein Kulturgesetz. Ein Kulturgesetz sollte vielleicht eher die strengen Vorschriften lockern oder zumindest die bestehenden Spielräume ausschöpfen, zu denken ist etwa an überjährige Projekte, vereinfachte Verwendungsnachweise usw.
  • Zweitens: ein optimaler Mitteleinsatz wird ohnehin verlangt und auch angestrebt, das ist nichts Neues,
  • dass drittens gerade die sparsame und wirtschaftliche Mittelverwendung künstlerische Arbeit ermöglichen soll, finde ich spannend; ich hatte bislang oft den Eindruck künstlerische Arbeit lebt auch von der Verschwendung und zwar im Sinne der Kunst.

 

Ich denke, es wäre wichtig, bei der Entwicklung des Kulturgesetzes die verschiedenen eben genannten Aspekte noch einmal näher zu beleuchten und zu überlegen, was wirklich gewollt ist.

 

Darüber hinaus wurden im Koalitionsvertrag noch andere Aussagen getroffen, die entweder im Kulturgesetz ihren Niederschlag finden müssten oder, wenn dies nicht gewollt ist, abgegrenzt werden müssten.

 

Ich nenne nur kursorisch, was geplant ist:

 

  • der Erhalt aller Thüringer Theater und Orchester in der bestehenden Form, Struktur und Bandbreite,
  • der Erhalt der Museumslandschaft und die Weiterentwicklung der Qualitätskriterien zusammen mit dem Museumsverband,
  • die Bereitstellung von Mitteln zur Digitalisierung von Kulturgütern,
  • der Ausbau der Thüringer Onlinebibliothek und das Vorantreiben der Bibliotheksentwicklungsplanung,
  • der Erhalt der Jugendkunst- und Musikschulen und die Verbesserung der Förderpolitik für diese Einrichtungen,
  • die Aufrechterhaltung der Freien Szene und der soziokulturellen Zentren,
  • die Erhöhung der Wahrnehmbarkeit der zeitgenössischen Kunst,
  • die Stärkung des Kulturaustauschs mit Mittel- und Osteuropa,
  • die Fortführung und bessere Förderung des Projektmanager-Programms.

 

Dieses sind nur einige Aspekte der Kulturvorhaben aus dem Koalitionsvertrag.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

machen diese Zusagen im Koalitionsvertrag ein Kulturgesetz Thüringen überflüssig?

Ich denke, nein!

 

Engen sie die Gestaltung ein? Ich denke, jein!

 

Ich würde die Aussagen aber eher als Leitplanken bezeichnen und kein enges Korsett, aber wie Leitplanken im Straßenverkehr lassen sie das Querfeldeinfahren nicht zu.

 

Regen sie die Diskussion über ein Kulturgesetz an? Ich meine, ja.

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

ich bin fest davon überzeugt, dass schon der Diskussionsprozess über ein Thüringer Kulturgesetz eine große Chance ist.

 

Es ist eine Chance zusammen mit der Kulturszene, die heute so reich vertreten ist, zu diskutieren,

 

  • welche gesetzlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur erforderlich sind,
  • welche Verbesserungen durch verändertes Verwaltungshandeln möglich sind und
  • wie viel Mittel von Nöten sind, um ein Kulturgesetz mit Leben zu erfüllen.

 

Denn eines ist klar: zu einem Kulturgesetz gehört auch, klarzustellen, welche Ressourcen zur Umsetzung des Vorhabens bereitgestellt werden sollen.

 

Denn eines sollte ein Kulturgesetz nicht sein: ein Instrument, um den Mangel zu verwalten.

 

Ich bin sehr gespannt auf den Diskurs und freue mich auf die Diskussionen.

 

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Olaf Zimmermann
Olaf Zimmermann ist Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates und Herausgeber und Chefredakteur von Politik & Kultur.
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