Marina Münkler - 1. September 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Zu viel Selbstbezüglichkeit


Marina Münkler zum Reformprozess der Stiftung Preußischer Kulturbesitz

Reform versus Auflösung: Der Literaturwissenschaftlerin Marina Münkler gehen die Reformen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) aktuell nicht weit genug. Im Interview mit Hans Jessen bezieht sie Stellung zum Gutachten des Wissenschaftsrates, der im vergangenen Jahr die Stiftungsstruktur evaluierte, und den aktuellen SPK-Reformbestrebungen.

 

Hans Jessen: Frau Münkler, vor gut einem Jahr stellte der Wissenschaftsrat in einem fast 300 Seiten starken Gutachten der SPK ein vernichtendes Urteil aus: Die Stiftung sei in ihrer derzeitigen Struktur nicht reformfähig, man solle sie auflösen und die einzelnen Bereiche eigenständig weiterführen.

Die Studie wurde unter Ihrer Leitung verfasst. Was hatte Sie zu diesem radikalen Vorschlag veranlasst?

Marina Münkler: Wir haben uns mit allen Einrichtungen der Stiftung befasst. Uns ist aus den Häusern sehr viel schlechte Stimmung entgegengeschlagen. Die Klagen waren so vielfältig, dass wir zu dem Ergebnis kamen, die Governance-Strukturen seien eher hinderlich für die Arbeit in der Stiftung. Es gab ja schon Reformversuche innerhalb der SPK, parallel zu unserer Untersuchung lief z. B. ein Personalberatungsprozess. Wir sind aber letztlich zu dem Ergebnis gekommen, dass in Sonderheit die Museen sehr viel besser agieren könnten, wenn es eine „Stiftung Staatliche Museen zu Berlin“ gäbe, in der die Museen durch Planungs-, Budget- und Personalhoheit verselbständigt arbeiten könnten. Das wäre nach unserer Auffassung in der derzeitigen Stiftungsstruktur nicht leistbar – deswegen haben wir die Auflösung vorgeschlagen.

 

Ein Jahr später legte die eingesetzte Reformkommission ein Konzept vor, dass alles andere als Auflösung bedeutet: Neuorganisation der Zusammenarbeit, aber weiterhin unter dem gemeinsamen Dach der SPK. Ist das aus Ihrer Sicht ein Schritt zurück, Angst vor dem eigenen Mut – oder ein Schritt nach vorn: vor uns die Mühen der Ebenen?

Ich begreife es nicht als Schritt nach vorn. Es ist das Zurückschrecken vor der eigentlichen Aufgabe. Sehr viel von der Selbstbezüglichkeit, die wir als ein starkes Problem der Stiftung gesehen haben, ist erhalten geblieben.

 

Was meinen Sie mit „Selbstbezüglichkeit“?

Man erkennt sie jetzt wieder in dem, was in der Reformkommission beraten und beschlossen wurde. Beispielsweise, dass die Kooperation der einzelnen Museen bzw. Stiftungseinrichtungen untereinander verbessert werden müsse.

Das war für uns aber gar nicht der zentrale Punkt. Wir hielten für viel wichtiger, dass die Museen sich stärker an ihren jeweiligen Publika orientieren. Sie müssen die Kooperation nach außen stärken, nicht nur nach innen. Diese Art von Selbstbeschäftigung hat die Stiftung über lange Zeiträume gelähmt. Deswegen sehe ich gerade diesen Vorschlag durchaus kritisch.

 

Der Reformvorschlag sieht immerhin größere Eigenständigkeit der einzelnen SPK-Institutionen vor, mit mehr Finanzhoheit und Wegfall von zwischengeschalteten Verwaltungsstrukturen – wird damit nicht einem Grundgedanken der letztjährigen Fundamentalkritik Rechnung getragen? So sehen es der derzeitige SPK-Präsident Hermann Parzinger und wohl auch Kulturstaatsministerin Monika Grütters.

Diese Vorschläge treffen nicht den zentralen Punkt. Wir hatten vorgeschlagen, Personalstellen aus der Hauptverwaltung in die einzelnen Einrichtungen zu verlegen.

 

Die Hauptverwaltung wird jetzt aufgelöst …

Sie wird umbenannt. Aus der „Hauptverwaltung“ wird nun ein „Servicezentrum“. Das trifft einen Teilaspekt unserer Kritik an mangelnder Serviceorientierung, ganz besonders den Umgang mit eingeworbenen Forschungsmitteln:

Da haben die Prozesse innerhalb der Hauptverwaltung teilweise so lang gedauert, dass am Ende ein Teil der Personalmittel schon wieder verfallen war. Aber auch hier war der zentrale Punkt ein anderer: Die Organisationsstruktur hat nicht gestimmt. Durch die Umbenennung in „Servicezentrum“ ändert man das nicht wirklich.

 

Die Hoffnung, dass durch die stärkere Selbständigkeit Einzelner mehr Eigeninitiative und Kooperation nach außen erfolgen werde, wie sie aus den Äußerungen Hermann Parzingers herausklingt, teilen Sie nicht?

Nein. Nach meinem Kenntnisstand werden zwar einige Museumsdirektoren einbezogen und sollen in der künftigen Leitung vertreten sein – de facto soll es aber eine Rotation geben. Das bedeutet, sie werden untereinander sehr viele Aushandlungsprozesse führen müssen, um festzulegen, was in der Leitung aus den Museen eingebracht werden soll. Die Stiftungsleitung dagegen bleibt immer dieselbe. Das ist definitiv eine Asymmetrie von Macht und Aufgabenverteilung, die die Sache nicht besser machen wird.

 

Ein weiterer zentraler Kritikpunkt war: Die finanzielle und personelle Ausstattung reiche nicht, um die Aufgaben bewältigen zu können. Wird der jetzige Vorschlag dieser Kritik gerecht?

Wir hatten darauf hingewiesen, dass vor allem für die Aufgaben der Digitalisierung die Ausstattung unzureichend ist und verbessert werden muss. Aber auch hier gilt: Im Zentrum der Kritik steht die Governance. Es ist z. B. sehr viel Geld geflossen in den Markenbildungsprozess „SPK – Stiftung Preußischer Kulturbesitz“, der aus unserer Sicht nicht zielführend war. Er hat nicht dazu geführt, dass man mit diesem Namen nun weltweit etwas Besonderes verbindet. Man denkt in der Welt weder an Preußen noch an das auch jetzt wieder hervorgehobene Konglomerat der Einrichtungen, sondern in erster Linie an die Staatlichen Museen zu Berlin mit ihren herausragenden Sammlungen. Die müssten eine viel höhere Dynamik entwickeln, und dafür brauchen sie größere Selbständigkeit.

Die komplizierte Struktur der SPK ist auch historisch bedingt: Das Land Preußen gab es nach 1947 nicht mehr, seine Kulturschätze und Institutionen aber waren noch da. So wurde 1959 beschlossen, diese im kulturföderalen System der Bundesrepublik in Form einer Bund-Länder-Stiftung zu organisieren. Mit solch komplizierten Formen müssen Kulturinstitutionen in London, Paris oder Rom sich nicht auseinandersetzen. Das macht eine Reform nicht leichter.

Die Stiftung wurde mit der Perspektive gegründet, dass sie bei einer Wiedervereinigung ihre Funktion verlieren würde. Die haben wir seit geraumer Zeit. Da hätte man sich schon lange etwas überlegen müssen. Die Stiftung hat gewaltige Anstrengungen unternommen, um die Bestände, die in der DDR waren, zu integrieren. Da wurde viel geleistet, das haben wir gewürdigt. Andererseits muss man sagen, dass auch die Finanzierungsstruktur der Stiftung ausgesprochen schwierig ist. Das hat etwas mit den föderalen Bedingungen zu tun: Der Bund gibt den Löwenanteil, das Land Berlin trägt in Relation zu den anderen Ländern einen größeren Anteil, die Anteile der restlichen Länder sind seit Jahren gedeckelt, und ihr Interesse ist nur mäßig. Das machte sich auch im Stiftungsrat bemerkbar. Zu Sitzungen wurden häufig Mitarbeitende entsandt, die keine Entscheidungsbefugnisse hatten, dadurch wurden Entscheidungen verzögert.

Immerhin soll laut dem überarbeiteten Reformvorschlag der Stiftungsrat anders zusammengesetzt werden, nicht mehr alle Länder sollen vertreten sein, sondern nur noch einige; plus Expertinnen und Experten aus verschiedenen Bereichen. Das hatten wir empfohlen. Dazu interessierte Bürgerinnen und Bürger, die äußern sollen, was sie von ihren Museen erwarten.

Wenn man sich Museen in Paris, London etc. anschaut, dann findet man genau solche Beiräte, in denen Menschen aus der Wirtschaft oder Wissenschaft sitzen, ebenso Leiter weiterer Museen, die andere Perspektiven mitbringen. Das ist ein zentraler Gesichtspunkt, damit eine Stiftungsleitung sich mit Erwartungen konfrontiert sieht und sich nicht abschotten kann.

 

Die Kritik an den SPK-Einrichtungen läuft vielfach auf den Punkt hinaus, dass die eine Art „Dornröschendasein“ führen. Woran liegt das? 

Es gibt leider sehr wenige glanzvolle Ausstellungen. Es ist schon bezeichnend, wenn es eines „Gastspiels“ des New Yorker Museum of Modern Art bedarf, damit sich Besucherschlangen um die Neue Nationalgalerie winden. Meines Erachtens liegt es daran, dass die SPK viel zu sehr an einer Binnenorientierung arbeitet, anstatt dass die Häuser sich auf ihre eigenen Aufgaben besinnen.

Dabei gibt es Beispiele, wie es besser laufen kann: Der Direktor des Museums für Islamische Kunst machte sich auf die Suche nach Geldgebern, fand sie in islamischen Ländern und konnte gute Ausstellungen machen. Die Staatsbibliothek hat eine höhere Selbständigkeit als die anderen Einrichtungen. Deswegen unsere Meinung: Die Staatsbibliothek braucht die Stiftung nicht, sie kann sehr gut alleinstehen.

Umgekehrt sieht es anders aus: Die Staatsbibliothek erbringt sehr viele Dienstleistungen für andere SPK-Einrichtungen. Es erschien uns fragwürdig, ob das ein sinnvoller Ressourceneinsatz ist.

 

Nun gibt es aber dieses neue Reformkonzept. Angenommen, das wird die Grundlage der zukünftigen Organisation bilden: Sehen Sie Stellschrauben, um Elemente Ihrer ursprünglich radikaleren Lösung noch wirksam werden zu lassen: mehr Autonomie, Orientierung an Publikumsinteressen, Digitalisierung?

Ich gehe davon aus, dass das, was jetzt aufgeschrieben wurde, nicht 1:1 so kommen muss. In einem solchen Reformprozess können sich immer noch Änderungen ergeben. Aber selbst wenn man das mal als „gesetzt“ annimmt, ist eines unabdingbar: Die Museen und auch die Staatsbibliothek müssen stärker selbständig nach außen auftreten können – und der Präsident der SPK müsste sich, was die Außenvertretung der Einrichtungen betrifft, deutlich zurücknehmen.

Schauen Sie sich die Presseerklärungen an, auch die nach unserer Analyse: Über Neuerungen der Staatsbibliothek berichtet der Präsident der Stiftung. Warum eigentlich? Die Leiterin oder der jetzt kommende neue Leiter der Staatsbibliothek könnte das gut allein. Das gilt auch für die Museen. Es wäre wichtig, dass sie ihre eigenen Einrichtungen nach außen vertreten und der Präsident nur die Gesamtstiftung repräsentiert.

 

Sie hoffen auf Modifikationen im weiteren Prozess der Reformumsetzung – welche Möglichkeiten sehen Sie?

Man kann noch überlegen, wie man das Verhältnis zwischen den einzelnen Einrichtungen und dem Präsidium der Stiftung gestaltet. Derzeit werden zwar einzelne Kooperationen vereinbart, aber mir scheint, der Prozess läuft sehr stark auf die  Beibehaltung der alten Struktur hinaus. Ich hoffe darauf, dass die Museumsdirektorinnen und -direktoren die Chance ergreifen, die in der Reformankündigung liegt. Wir haben bei unserer Untersuchung von niemandem mehr Klagen über die Verhältnisse gehört als von den Direktorinnen und Direktoren. Es wäre wichtig, dass sie selbst diese „Occasio“ ergreifen und die Chance nicht vorbeigehen lassen.

 

Der Deutsche Kulturrat fordert, dass die in den einzelnen Häusern vorhandene Expertise der Mitarbeitenden in den Reformprozess eingebracht werden solle. Welche Bedeutung kann das haben?

Natürlich ist es immer wichtig, die Expertise auf allen Ebenen einzubeziehen. Aber es bringt wenig, wenn man keine Strukturen schafft, die klare Zuständigkeiten produzieren.

Man muss dann schon sagen: Hier gibt es fünf Punkte, in denen wir uns bewegen müssen – wir brauchen mehr Ausstellungen, wir brauchen stärkere Publikumsorientierung, wir brauchen mehr Digitalisierung, wir brauchen stärkere Kommunikation mit der Öffentlichkeit, und wir brauchen eine Governance-Struktur, die das alles ermöglicht.

Man muss überlegen, was wollen wir? Und von diesem definierten Wollen her die Aufstellung entscheiden. Dazu gehört auch der Austausch mit London, Paris, New York – wie werden die Aufgaben dort angegangen und gelöst. Es gibt in den SPK– Einrichtungen einzelne gute Projekte. Aber das Ganze ist nicht groß genug gedacht.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2021.


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/texte-zur-kulturpolitik/zu-viel-selbstbezueglichkeit/