Ulrich Wilhelm - 24. April 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Wichtige Weichenstellung


Die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steht vor wichtigen Weichenstellungen. Nicht nur in Deutschland, in weiten Teilen Europas gibt es derzeit eine grundsätzliche Diskussion zu Stellenwert, Finanzierung und Zukunft des öffentlich-rechtlichen Journalismus. In der Schweiz haben sich die Bürger nach Wochen und Monaten heftiger Debatten Anfang März in einer Volksabstimmung schließlich sehr klar für den Erhalt des „Service Public“ ausgesprochen. Dem war in den Wochen vor der Abstimmung ein beachtliches gesellschaftliches Engagement vorausgegangen – von jungen Menschen, dem Sport, den Kirchen und gerade auch von Kunst- und Kulturverbänden.

 

Auch in der Schweiz stand letzten Endes die Frage im Mittelpunkt: Sollte man für Qualitätsinhalte nicht allein auf die Kräfte des Marktes vertrauen? Ich sage: Mit einer Vielzahl an Marktlösungen und Bezahlmodellen würde es nicht gelingen, für die unterschiedlichsten Interessen ein Gesamtpaket in dieser Qualität und regionalen Vielfalt zu liefern. Solidarisch finanziert bietet der öffentlich-rechtliche Rundfunk allen Menschen – unabhängig von ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit – barrierefreien Zugang zu umfassenden Angeboten. In den USA ist das im Durchschnitt erforderliche Budget pro Haushalt für Medienangebote deutlich höher als in Deutschland mit dem starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk.

 

Dass sich in allen Schweizer Kantonen letztlich eine so große Mehrheit im Lichte dieser Argumente für eine solidarische Finanzierung und gegen die Alternative von reinen Bezahlmodellen nach punktueller Nutzung ausgesprochen hat, ist ein wichtiges Signal für unabhängigen Qualitätsjournalismus – über die Schweiz hinaus.

Auch in Deutschland trägt der öffentlich-rechtliche Rundfunk zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei und ermöglicht einen breiten gesellschaftlichen Diskurs. Ihm kommt zusammen mit anderen Qualitätsmedien eine zentrale Rolle in einer Gesellschaft zu, in der der digitale öffentliche Raum durch Filterblasen und Echokammern zerfällt und in der die Polarisierung wächst. Denn das in einer Demokratie so wichtige Ringen um Konsens kann nur in einer Gesamtöffentlichkeit funktionieren und nicht, wenn jeder in seiner eigenen Welt lebt.

 

Dabei hat die solidarische Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerade auch aus Sicht der Kultur wichtige Vorteile: Hochwertige Kultur-, Literatur- und Bildungssendungen, Hör- und Fernsehspiele, Klangkörper und Klassikprogramme würde es in einer Welt der rein kommerziellen Finanzierung in dieser Vielfalt nicht geben. Das ist neben der Unabhängigkeit ein ganz entscheidender Vorteil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk „lebt“ nicht zuletzt von den kreativen Inhalten aus Musik, Theater, Film und Kunst – und fördert diese zugleich. Vor allem: Er erreicht als Plattform auch die Menschen, die kein Kino oder Theater vor Ort haben und die sich kein Netflix- oder Spotify-Abo leisten können oder wollen.

 

So verfügen alle ARD-Anstalten über eigene Kulturwellen. Mit ihren Programmen zu Kunst, Kultur und Klassik nehmen sie eine Rolle in der Gesellschaft wahr, die kaum eine andere Institution leisten kann. Nehmen Sie z. B. den Bayerischen Rundfunk – ein Haus, das zu den größten Kulturinstitutionen des Freistaates Bayern gehört. Allein im Hörfunk leisten wir mit den verschiedenen Programmen und Wellen einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Bildung und damit auch zur Demokratie in Deutschland. Die Auseinandersetzung mit Kultur ist ein Wert an sich, die Beschäftigung mit Kunst, Literatur, klassischer Musik, aber auch mit Philosophie, Schauspiel und Film, gehört zu den Essentialia für einen wachen Geist, der sich mit den gesellschaftlichen Entwicklungen mündig befassen kann, um sie für sich zu bewerten. Dabei arbeiten die verschiedenen Landesrundfunkanstalten eng mit den Mitgliedgemeinschaften des Deutschen Kulturrats zusammen. Der Deutsche Musikrat beispielsweise ist Partner bei Musikvermittlungsprojekten für Schüler wie in diesem Jahr dem „Händel-Experiment“, für das der Mitteldeutsche Rundfunk die Federführung hat. Mit der Stiftung Lesen sind wir Teil der Deutschen Literaturkonferenz. Und für die Mitglieder des Deutschen Medienrats sind wir Partner insbesondere in der Filmwirtschaft. Viele Fernsehfilme, die „Tatort“-Produktionen, innovative Serien oder hochwertige Kinofilme könnten ohne die öffentlich-rechtlichen Auftraggeber oder unsere Ko-Finanzierung nicht gedreht werden. Die Dokumentarfilmlandschaft sähe anders aus, auch der Hörspielmarkt wäre ein völlig anderer.

 

Literatur ist in allen Kulturwellen der ARD ein fester Bestandteil: Wir senden Lesungen aktueller Literatur und der Klassiker und sind bei der Hörbuchproduktion ein verlässlicher Partner. Mit unseren Experten sind wir bei den großen Literatur-Ereignissen in Deutschland vertreten, auf den Buchmessen in Frankfurt und Leipzig mit eigenen Studios und Sonderberichterstattung, beim Literaturfest in München mit eigenen Diskussionsforen und im Austausch mit den großen Autoren dieser Welt. Wo sonst in den audiovisuellen Medien hat Literatur diesen Stellenwert?
Beim Thema Aktualität in der Kultur ist das internationale Korrespondentennetz der ARD, aber besonders auch das breite Netz der Kultur-Journalisten der Landesrundfunkanstalten in Deutschland von unschätzbarem Wert. Die aktuellen Kulturmagazine in den dritten Fernsehprogrammen machen das deutlich, darüber hinaus natürlich „ttt – Titel, Thesen, Temperamente“ im Ersten, das seit mittlerweile 40 Jahren Kulturberichterstattung auf höchstem Niveau bietet und längst zu einer Institution geworden ist.

 

Dabei ist heute entscheidend, dass wir die Chancen der Digitalisierung aufgreifen. Gerade junge Menschen nutzen häufig lieber unsere Online-Angebote als die traditionellen linearen Sendungen. Wenn wir auch ihnen kulturell wertvolle Programme bieten wollen, brauchen wir dazu mehr Gestaltungsspielraum, insbesondere durch einen neuen Telemedienauftrag. Mir ist bewusst, dass bei dieser Thematik viele Interessen berührt werden, auch die Interessen der Kreativwirtschaft – doch ohne eine Anpassung an die Gewohnheiten, Medien zeitlich und örtlich flexibel und auf den unterschiedlichsten Geräten nutzen zu können, werden wir nicht attraktiv bleiben. Ich plädiere daher für verbesserte Verweildauerregelungen, die Nutzung von Drittplattformen und wo sinnvoll auch Online-Only-Angebote. Außerdem setze ich mich dafür ein, dass in angemessenem Rahmen Textbeiträge in unseren Online-Angeboten enthalten sein dürfen, ohne dass wir damit an die Stelle der Verlage treten würden.

 

Selbstverständlich nehmen wir bereits heute im – rechtlich und finanziell – gegebenen Rahmen unsere Möglichkeiten im Digitalen wahr. Die gerade im vergangenen Herbst neu aufgelegte „ARD Audiothek“ steht beispielhaft für die neuen Nutzungswege. Binnen kürzester Zeit haben mehrere hunderttausend Menschen diese App auf ihre mobilen Geräte heruntergeladen und hören die hochwertigen Audio-Angebote der ARD Radiowellen. Wir bieten hier unter anderem den gesammelten Fundus an Hörspielen und Features.

 

Zudem müssen wir die Digitalisierung in ihrer gesamtgesellschaftlichen Dimension betrachten. Wir Europäer haben den digitalen Wandel bislang zu zögerlich mitgestaltet. Wir sollten unsere Stärken selbstbewusst einbringen. An den aktuellen Entwicklungen in einer Reihe von Ländern mit erschreckender Zunahme von Desinformation und Fake News zeigt sich, dass die Regeln, die wir aufgrund unserer geschichtlichen Erfahrungen entwickelt haben, auch und gerade für die digitale Welt Bedeutung haben. Wir sollten den Mut haben, diesen neuen öffentlichen Raum nach unseren europäischen Werten zu gestalten und der Vielfalt unserer Kulturen und Meinungen dort Raum zu verschaffen.

 

Dass insbesondere künstlerische Produktionen und die kulturelle Berichterstattung finanziell wesentlich aufwändiger sind als andere Produktionen, ist kein Geheimnis. Der Bayerische Rundfunk etwa verwendet mehr als 40 Prozent seiner Mittel für den Kulturauftrag im weiteren Sinne. Das ist es uns wert – doch ohne eine angemessene Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist das nicht möglich. Seit Jahren bleiben die verwendbaren Einnahmen hinter den jährlichen Preissteigerungen zurück – weitere Jahre solcher Einsparungen würden das Programm massiv treffen. Denn Sparen kann man auf kurze Frist nur bei wenigen Posten im Haushalt, den beweglichen, sogenannten „freien“ Mitteln. Davon wären gerade wertvolle und teure Programme betroffen, wie Dokumentarfilme, Hörspiele, die Klassik oder Spielfilme. Vor diesem Hintergrund bin ich dankbar dafür, dass uns viele Kulturschaffende in den öffentlichen Debatten schon seit Langem unterstützen.

 

Diese Unterstützung wird in den kommenden Jahren noch wichtiger sein als heute. Wir erleben – nicht nur in der Schweiz –, dass die Kritiker des öffentlich-rechtlichen Rundfunks lautstark auftreten, auch wenn es sich um eine Minderheit handelt. Viel zu sehr prägen sie die Debatte, selbst wenn die täglichen Nutzungszahlen einer großen Mehrheit für uns sprechen. Wenn Kulturverbände hier gegenhalten, kann das die Debatte in eine andere Richtung bringen – so wie wir es in der Schweiz erlebt haben. Denn klar ist: Auf Dauer können wir nur so stark sein, wie die Gesellschaft bereit ist, uns zu tragen.


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