Susanne Keuchel - 24. Februar 2022 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Weibliche Führungskräfte sind bescheiden …


… und männliche greifen nach der Macht!

1975 wurde von der UNO zum Internationalen Jahr der Frau ausgerufen. Und auch fast 50 Jahre später gibt es die Gleichberechtigung der Frau nur auf dem Papier. Frauen sind in Führungspositionen unterrepräsentiert und verdienen im Durchschnitt weniger. Dies gilt auch für den Kulturbereich. 2017 setzte der Deutsche Kulturrat das Ziel, „bei der geschlechtergerechten Besetzung von Jurys und Auswahlgremien sowie Vorständen bzw. Präsidien mit gutem Beispiel voranzugehen.“ Ist heute alles auf einem guten Weg? Die aktuelle Praxis zeigt, dass wir immer noch weit entfernt sind von Geschlechtergerechtigkeit. Dies zeigen uns zahlreiche Beispiele aus dem Alltag und den Medien klar und deutlich. Da wird die Kleidung von Politikerinnen in Spitzenpositionen kritisiert, die Frage aufgeworfen: Kann sie das überhaupt mit drei Kindern? Eine Frage, die bei Politikern nie diskutiert wird! Oder auch über ängstliche Gesichtsausdrücke im Kampfanzug spekuliert! Frauen in Führungspositionen sind viel stärker Kritik ausgesetzt als ihre männlichen Kollegen. Dies verwundert angesichts vieler Studien, wie beispielsweise die der Arizona State University 2020, die die gute und fachliche Qualifizierung der Frauen und zugleich ihr Understatement hervorheben, während „die männlichen Bewerber in ihrer Selbsteinschätzung eher übertrieben und prahlten“. Auch der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates berichtete in der Publikation „Frauen in Kultur und Medien“ von 2016, dass seine „Personalentscheidung meist zugunsten von Frauen aus(fällt), weil ihre männlichen Mitbewerber oftmals weniger qualifiziert seien und zugleich mit einem unangemessenen Selbstbewusstsein auftreten würden“. Doch vielleicht liegt genau in diesem Widerspruch, übermäßiges Lob auf der einen Seite, übermäßiger Tadel auf der anderen Seite, des Pudels Kern. Denn genau solche Stereotypen tragen zu positiven Diskriminierungen bei, die Männern erlauben, durchsetzungsfähig zu sein und Frauen vorgeben, bescheiden und fachlich zu agieren und halten so letztlich das bestehende System der Geschlechterungerechtigkeiten am Leben. Selbst eine Angela Merkel, die 16 Jahre als Bundeskanzlerin an der Spitze der deutschen und weltweiten Politik stand, hat sich in ihrer Außendarstellung an dieses Korsett gehalten. So heben Medien, wie der Tagesspiegel, als ihre zentralen Eigenschaften Bescheidenheit, „leisen Humor“ und kritisch ihre Zögerlichkeit bei Entscheidungen hervor, dass sie „manchmal zu spät entscheide“, „um das Richtige vom Falschen zu scheiden“. Wäre eine Bundeskanzlerin, die sich machtbewusst und unbescheiden zeigt, überhaupt denkbar? Wäre eine Angela
Merkel als Bundeskanzlerin akzeptiert worden, wenn sie sich beispielsweise so verhalten hätte wie Gerhard Schröder? Machtbewusst „Klartext“ gesprochen hätte mit einem gelegentlichen „Basta“? Doch wenn der weibliche Führungsstil sich durch Bescheidenheit und Fachlichkeit auszeichnen soll, wie ist es dann mit dem Umkehrschluss? Ist ein männlicher Führungsstil unbescheiden, machtorientiert, selbstbewusst und unfachlich? Eben „Basta“!? Nein, auch Frauen können „unangemessenes Selbstbewusstsein“ haben, ihre Macht nutzen und sich durchsetzen. Aber warum wird dies im öffentlichen Diskurs dann nicht gleichermaßen toleriert? Ja, um Geschlechtergerechtigkeit herzustellen, bedarf es mehr Frauen in Führungspositionen, zugleich aber auch einer Befreiung von den männlichen Fesseln stereotyper weiblicher Führungsstile. Oder besser noch: Männliche Seilschaften, „unangemessenes Selbstbewusstsein“ und Machtdominanz sollten ebenso wenig bei Männern wie bei Frauen toleriert werden. Ansonsten wird weiter gelten: Alle Führungskräfte sind gleich, aber männliche Führungskräfte sind gleicher.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/22.


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