Johann Hinrich Claussen - 30. Januar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Was ist deutsche Kultur?


Vom langen Warten auf angekündigte Antworten der Alternative für Deutschland

Für eine kulturpolitische Zeitung zu schreiben, die sich den Karneval zum Schwerpunktthema gewählt hat, ist für mich als Hamburger Jung eine heftige Anfechtung. Denn, wenn ich einmal ehrlich sein dürfte, würde ich in kritischer Anlehnung an die weisen Worte eines ehemaligen Bundespräsidenten sagen: Der Karneval gehört nicht zu Deutschland.

 

Womit sich wieder einmal zeigt, dass es gar nicht so einfach ist zu bestimmen, was deutsche Kultur ist. Für den einen dies, für die andere das. Damit will ich nicht bestreiten, dass es kulturelle Gestaltungen gibt, die für Deutschland in besonderer Weise bestimmend und kennzeichnend wären. Nur kann man sie nicht einfach behaupten und für alle als bindend festsetzen. Man muss sich mit anderen Menschen in Deutschland darüber austauschen, streiten, verständigen. Weshalb das Gespräch über die Kultur, also über das, was mir oder dir kulturell bedeutsam ist, was uns gemeinsam am Herzen liegen könnte, die wohl wichtigste Gestalt von deutscher Kultur ist.

 

Und da bin ich schon wieder bei den Kulturpolitikern der AfD. Nicht, dass ich behaupten wollte, die AfD wäre ein Karnevalsverein. Dafür sind die Vertreter dieser Partei zu humorlos. Nein, mir fällt ein Gespräch mit zwei Bundestagsabgeordneten der AfD ein, das ich gemeinsam mit Olaf Zimmermann im Rahmen der Initiative kulturelle Integration im November 2018 geführt hatte. Marc Jongen und Martin Renner hatten auf zwölf Seiten die „15 Thesen zu kultureller Integration und Zusammenhalt“, die wir gemeinsam mit vielen anderen erarbeitet hatten, einer scharfen Ideologiekritik unterzogen. Das war ihr gutes Recht und bot Anlass zu einer Debatte. Richtig viel erbracht hat sie nicht, aber immerhin ein Punkt ist mir in Erinnerung geblieben.

 

Die AfD-Politiker warfen uns vor, wir würden mit unseren Thesen die Identität deutscher Kultur relativistisch auflösen. Dabei gebe es doch eine Substanz nationaler Kultur, die unbedingt zu verteidigen sei. Nun kann man diese Position durchaus beziehen, nur muss man dann auch präzise sagen können, worin diese Identität denn inhaltlich besteht. Und da werden AfD-Politiker entweder sehr redselig – indem sie alles Mögliche willkürlich aufzählen von Goethe bis zur Leberwurst – oder sehr aggressiv – indem sie die polemische Abkürzung nehmen und erklären: deutsch ≠ Islam – oder sie verstummen. Letzteres geschah damals bei unserer Debatte. Auf unseren Einwand, dass sie nur eine Ideologiekritik formulieren würden, ohne selbst darzulegen, worin denn nun die kulturelle Identität unserer Nation bestünde, erklärte Herr Jongen in guter Politikermanier, dazu würde man in der AfD-Fraktion ein Papier vorbereiten.

 

Auf dieses Papier warten wir immer noch. Vor zwei, drei Monaten haben wir deshalb Herrn Jongen einen Brief geschrieben mit der Frage, wann wir mit diesem Papier rechnen dürften. Eigentlich müsste das doch ein Klacks für eine Partei sein, die wieder und wieder eine spezifisch deutsche Kultur beschwört. Das Büro von Herrn Jongen bestätigte höflich den Eingang unseres Schreibens und versprach eine baldige inhaltliche Antwort. Doch wir warten immer noch.

 

Womit sich wieder einmal zeigt, dass die größten Kritiker des vermeintlichen liberalen Kulturrelativismus selbst erhebliche Schwierigkeiten damit haben, die deutsche Kultur inhaltlich zu bestimmen. Was nicht verwundert, denn die AfD vereinigt die unterschiedlichsten Positionen in sich. Für Martin Renner z. B. würde ein vorkonziliarer Katholizismus zur deutschen Kultur gehören, für den Peter-Sloterdijk-Schüler Marc Jongen dagegen hätte das Christentum für sein Kulturverständnis eher keine Bedeutung. Diese internen Gegensätze werden zurzeit noch überdeckt durch Wahlerfolge und die gemeinsame Aggression gegen andere. Ob daraus eine grundsätzlich überzeugende, dauerhaft tragfähige und im Konkreten hilfreiche Kulturpolitik erwächst, würde ich allerdings bezweifeln.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.


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