Johann Michael Möller - 29. Oktober 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Umgangsformen


Zum Rausschmiss von Monika Maron beim S. Fischer Verlag

Viele, die sie kannten, werden in diesen Tagen an die große Verlegerin Monika Schoeller zurückgedacht haben. Sie fehlt. Und wie sie fehlt. In ihrem eigenen Haus und in der gesamten deutschen Verlagslandschaft. Mit Milde und Sorgfalt hat man ihren Führungsstil umschrieben. Unter ihrer Ägide ist der S. Fischer Verlag Heimat für viele freie Geister gewesen. Dem großen Lektor Günther Busch hat sie eine Wirkungsstätte zurückgegeben. Die legendäre Suhrkamp-Kultur hatte er zuvor entscheidend geprägt. Seine liebenswerte Bescheidenheit ist mir unvergesslich geblieben. Oder der andere wirkungsmächtige Lektor, Walter Pehle, dessen berühmte „Schwarze Reihe“ den Anstoß gab, sich mit der deutschen Vergangenheit schonungsloser auseinanderzusetzen, als das damals der Fall war. Ein Verlag wird zum Unruheort der Gesellschaft. Von welchem lässt sich das heute im Guten noch sagen?

 

Auch den Zürcher Ammann Verlag gibt es schon lange nicht mehr. Monika Schoeller hatte ihn einst unterstützt. Als Egon Ammann 2009 das Ende seines Unternehmens erklärte, war das eine bestürzende Nachricht. Noch bestürzender aber war die Begründung: Den Stab zu übergeben, sagte Ammann damals, wäre „die eine Möglichkeit“ gewesen, die andere, „ihn zu veräußern“. „Den Stab zu begraben“ sei die Entscheidung, „die wir gewählt haben“. Er hat sich und seinem Verlag womöglich Schlimmes erspart. Bis heute steht die Backlist im Netz. Sie erscheint wie ein Epitaph. Die Literatur, liest man dort das Wort Fernando Pessoas, sei ein Versuch, „das Leben wirklich werden zu lassen“.

 

Der Ammann Verlag hat ein würdiges Ende gefunden. Anderen Verlagen war das nicht mehr vergönnt. Wer nach dem Erbe von Eugen Diederichs sucht, muss sich bei einer der Großsammelstellen umsehen, wo geistiges Erbe verschrottet wird. Es sind nur die ausgeschlachteten Rümpfe geblieben. Man kann sie wie auf einem Schiffsfriedhof betrachten.

 

Das sei eben der Lauf der Dinge, bekommt man in solchen Fällen zu hören. Man könne mit Literatur kein großes Geld mehr verdienen. Aber das bezweifelt doch niemand! Elendig ist nur „Marketing-Speech“, jene geschäftsmäßige Empathielosigkeit, die mittlerweile zum Job vieler Verleger gehört. Die weise Sigrid Löffler hat das mit der Bundesliga verglichen. Man wisse gar nicht mehr, „welcher Verleger gerade zu welchem Verlag gewechselt“ sei. Auch das gehört mittlerweile zum Alltag der Branche.

 

Man kann den Rausschmiss von Monika Maron zur politischen Sache erklären, was es in Teilen auch ist. Aber genauso liegt er auch in der Logik dieser Art von Geschäftsführung, die sich die Tradition des eigenen Hauses von der Presseabteilung zuarbeiten lässt. Die Verlegerin, Siv Bublitz, hat sich inzwischen geäußert, schriftlich und von Juristen penibel geprüft. Es sind nur die üblichen Floskeln dabei herausgekommen, von gemeinsamen Jahren und einem Werk, das man gewiss in Ehren halten will. So klingen Todesanzeigen.

 

Den Verantwortlichen bei Fischer hat es offenbar die Rede verschlagen. Sie müssen sich von einer jungen Literaturkritikerin wie Marie Schmidt auf die Umgangsformen hinweisen lassen. So ginge man mit einer der wichtigen Stimmen unserer Zeit einfach nicht um. Und der unbestechliche Patrick Bahners hat wie ein Friedensrichter durchdekliniert, wie hanebüchen die meisten Anwürfe sind. Der Fischer-Verlag hat die intellektuelle Auseinandersetzung mit seiner langjährigen Autorin trotz anderslautender Behauptungen nicht gesucht. Er hat sie schnöde verstoßen. Für Monika Maron war dieser Verlag einmal ihr Leben. Für die neue Geschäftsführerin ist es das nicht. Man sollte es keinen Kulturbruch nennen, wie Harald Martenstein meint; durch diesen Verlag reiten keine apokalyptischen Reiter. Dort hat ein schrecklich banaler Geist Einzug gehalten. Mit der Tradition des Hauses hat er nichts mehr zu tun.

 

Ich würde Monika Maron trotzdem gerne fragen, ob sie diese Zuspitzung überrascht hat; ob sie nicht einkalkulieren musste, dass es an den Uferböschungen des Mainstreams auch ungemütlich sein kann. Man rüttelt nicht am Grundkonsens einer Gesellschaft und wundert sich dann, dass man einsamer wird. Die umstrittene Dresdner Buchreihe, in der Monika Maron publiziert hat, nennt sich Exil. Das ist anmaßend und geschichtsvergessen zugleich. Ich muss dabei an Karl Wolfskehl denken, der im wahren Exil sein bitteres Fazit zog: Die Heimat habe ihn wohl vergessen, schrieb er nach Kriegsende einem Freund; womöglich wisse sie gar nicht mehr, dass es ihn jemals gab.

 

Monika Maron schreibt nicht aus dem Exil. Das wird ihr von vielen Seiten jetzt zugerufen. Sie ist eine der wichtigsten Stimmen unseres literarischen Lebens geblieben und sollte weiterhin Auskunft geben, welchen Weg sie jetzt geht. Im Umfeld des 30. Jahrestages der Wiedervereinigung hat sie davon gesprochen, dass sie sich wieder mehr als Ostdeutsche fühle, weit mehr sogar als zu Zeiten der DDR. Das sagt niemand, der vom Ferienlager an der Ostsee träumt und dem früheren Leben im Falschen. Das schreibt eine Schriftstellerin, die vor Jahrzehnten ihre geistige Heimat im Westen gefunden hat, in jenem Verlag, der sie jetzt exiliert. Was ist passiert in diesen 30 Jahren der Einheit, dass Lebensläufe nicht mehr ankommen wollen und Biografien wieder verloren gehen mitten in unserem alerten Land. Aus diesem Stoff werden womöglich die nächsten großen Bücher entstehen. Der Fischer-Verlag hat sich gerade um vieles gebracht.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2020.


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