Olaf Zimmermann - 5. Juli 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Symbiose


Vergesellschaftung von Individuen zweier unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vorteilhaft ist, wird normalerweise als Symbiose bezeichnet. Im Kulturbereich gebrauchen wir den Begriff „symbiotisches Verhältnis“, wenn wir die besondere Nähe zwischen Künstlern und der Kulturwirtschaft beschreiben wollen. Ohne Künstler kein Kunsthandel, ohne Autoren keine Verlage, ohne Musiker keine Phonoindustrie. Ohne Galerien schaffen es nur sehr wenige Künstler in den Olymp der Kunstwelt, ohne Verlage finden nur wenige Schriftsteller ihre Leser. Ohne die Labels ist der Weg der Musiker noch steiniger. Beide Seiten brauchen einander also.

 

Weil dem so ist, haben sich im Kulturbereich über Jahrzehnte ungewöhnliche Symbiosen ausgebildet. Komponisten und Musikverlage bilden den Kern der GEMA, Schriftsteller und Verleger arbeiten in der Verwertungsgesellschaft Wort (VG Wort) zusammen, Künstler und die Vermarkter ihrer Werke finanzieren zusammen rund 80 Prozent der Künstlersozialkasse.

 

Und auch im Deutschen Kulturrat arbeiten seit fast 35 Jahren Künstlerverbände und Verbände der Kulturwirtschaft partnerschaftlich zusammen, zum gegenseitigen Vorteil. Diese besondere Form der Kooperation verlangt ein stetiges miteinander Ringen um den richtigen Weg.

 

Jetzt bringt ein Urteil gegen die VG Wort dieses symbiotische Verhältnis in schweres Fahrwasser. Der Bundesgerichtshof hat die gemeinsame Rechtewahrnehmung von Autoren und Verlegern in der Verwertungsgesellschaft für illegal erklärt, da die rechtlichen Voraussetzungen fehlen. Den Verlegern stünden, so die Begründung des Gerichtes, keine eigenen Rechte oder Ansprüche nach dem Urheberrechtsgesetz zu, die von der VG Wort wahrgenommen werden könnten.

 

Juristisch ist die Sache im Fall der VG Wort jetzt klar, eine Symbiose gibt es nicht. Konkret heißt das: An Verlage dürfen in der Zukunft keine Ausschüttungen mehr geleistet werden und die Ausschüttungen der letzten Jahre müssen zurückgeholt und an die Autoren verteilt werden.

 

Die VG Wort hat im letzten Jahr ihre Erlöse auf gut 300 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Diesen sprunghaften Anstieg verdanken die Autoren hauptsächlich einer dicken Nachzahlung der Geräteindustrie für die sogenannte Kopierabgabe auf Drucker.

 

Doch glaubt eigentlich irgendjemand ernsthaft, dass die VG Wort diesen großen Erfolg gegen die mächtigen Unternehmen wie Hewlett Packard, Canon, Epson, Brother oder Samsung ohne ihre symbiotische Stärke hätte erringen können? Das Wesen der Symbiose ist, dass alle stärker werden.

 

Das Editorial ist zuerst in Politik & Kultur 4/16 erschienen.


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