Johann Hinrich Claussen - 30. Juni 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Schloss, Kuppel, Kreuz und Spruch


Ist die Debatte ums Humboldt Forum schon abgeschlossen?

In Berlin ist eine Debatte erst abgeschlossen, wenn der Letzte seine Meinung beigesteuert hat. So erklärte mir ein weiser Kollege, als ich hier meine Arbeit aufnahm. In diesem Sinn stelle ich nun das amtliche Endergebnis der Debatte um „Schloss, Kuppel, Kreuz und Spruch“ vor. Es lohnt sich, diese Kolumne bis zum Schluss zu lesen, denn sie enthält auch Neues, das hoffentlich zu weiteren Diskussionen führt.

 

Naiv wie ich bin, war ich überrascht, dass die Debatte um das Kreuz auf der Kuppel auf dem Berliner Schloss vor Kurzem wiederaufflackerte. Vor etwa zwei Jahren hatte es dazu schon einen ebenso ausführlichen wie folgenlosen Meinungsaustausch gegeben. Als die Planungen bekannt geworden waren, hatte der Berliner Kultursenator Klaus Lederer protestiert. Ganz unrecht hatte er nicht, denn an diesem Detail wird die Widersprüchlichkeit des Projekts „Humboldt Forum im Berliner Schloss“ deutlich: Außen und innen, Form und Inhalt passen nicht zueinander. Aber es geht in öffentlichen Debatten nie nur darum, was gesagt wird, sondern immer auch darum, wer es tut. Und da löst es ungute Erinnerungen aus, wenn ein Vertreter derjenigen Partei, die für die Tradition einer doktrinären, staatlichen Zwangssäkularisierung steht, erklärt: Das Kreuz muss weg!

 

Als Theologe konnte ich mich nicht unbefangen darüber freuen, dass das Kreuz kommen sollte. Denn es würde nur ein bauhistorisches Zitat, ein Stück Talmi sein, das die eigentliche Bedeutung verdeckt. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass diese Debatte endlich die Aufmerksamkeit auf die religiösen Aspekte des Humboldt Forums lenken würde. Dann hätte weniger die Baumaßnahme selbst als der Streit über sie der theologischen Sache gedient und ein Nachdenken über das Kreuz angeregt, das eben kein Logo, sondern ein Symbol ist – also zugleich bestimmt und deutungsoffen. Ob das geschehen wird?

 

Als nun aber das Kreuz wirklich kommen sollte, brach die Debatte wieder los. Doch nun wurde vor allem über ein neues Detail gestritten – den Vers, den Friedrich Wilhelm IV. an den unteren Rand der Kuppel hatte anbringen lassen: „Es ist in keinem andern Heil, ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn in dem Namen Jesu, zur Ehre Gottes des Vaters. Dass in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Ist das nicht die Re-Proklamation eines reaktionären Gottesgnadentum, ein Sinnspruch religiöser Intoleranz, der allem widerspricht, was das Humboldt Forum werden soll?

 

Doch in der Bibel kann man nachlesen, dass die beiden Verse, die der König zusammengefügt hatte, keineswegs für Staatsfrömmigkeit und Unduldsamkeit stehen. Im Gegenteil, es sind herrschaftskritische Verse, die für Glaubensfreiheit einstehen. „Es ist in keinem andern Heil“, sagt Petrus, der als Anführer einer winzigen Gemeinschaft armer Leute gefangen genommen und vor den Hohen Rat gezerrt worden war. Mit diesem Bekenntnis protestiert er gegen die religiöse Obrigkeit und verteidigt das Recht, seinen Glauben frei zu verkünden. „Im Namen Jesu sollen sich beugen die Knie aller“ – damit zitiert Paulus den ältesten christlichen Hymnus. Es ist ein Lobpreis, der sich die Freiheit aller Liebeslieder nimmt, den Geliebten für den einzig Wahren zu halten. Und dieser über alles Geliebte ist ein zu Unrecht schmählich Hingerichteter – womit wir wieder beim Kreuz wären. Das ist paradox, ekstatisch, aber auch subversiv. Denn in Wirklichkeit mussten damals alle ihre Knie vor dem Kaiser beugen.

 

Es erscheint als absurd, dass Friedrich Wilhelm IV. dieses Verse für sein romantisches Gottesgnadentum vereinnahmte. Man könnte von einem Missbrauch der Bibel sprechen. Aber darüber will ich mich nicht ärgern, es ist zu lange her. Ärgerlich finde ich jedoch, dass die Debatte den falschen Eindruck verstärkt hat, als gebe es nur diese Alternative: hier reaktionäres Christentum – dort säkulare Moderne. Dass es gerade in Berlin die schöne Tradition einer evangelischen Aufklärung gegeben hat, gerät da ganz in den Hintergrund. Darüber würde ich mich gern einmal streiten. Wer macht mit?

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2020.


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