Susanne Keuchel - 30. Januar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Nachhaltigkeit ist mehr als Schadensbegrenzung


Wie nachhaltig sind reaktive Maßnahmen?

Das Leitprinzip der Nachhaltigkeit gewinnt an gesamtgesellschaftlicher Relevanz. Aktuell geht es dabei in Deutschland vor allem um ökologische Fragen wie den CO2-Ausstoß, die auch zu neuen Diskursbegriffen führten wie der „Dieselskandal“ oder die „Flugscham“.

 

Ja, der CO2-Ausstoß ist zu groß, daher müssen wir diesen drosseln. Es werden zu viele Ressourcen verbraucht, daher müssen wir sparsamer haushalten. Verzicht und Verbote sind jedoch für viele Menschen nicht motivierend und provozieren sogar oftmals eine Abwehrhaltung, wie beim Dieseldiskurs beobachtet werden kann.

 

Auch bei anderen aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen kann eine reaktive statt agierende Haltung beobachtet werden, beispielsweise bei der Digitalisierung. So ist auch die EU-Datenschutzrichtlinie lediglich eine Reaktion auf bestehende Missstände.

 

Aber sind reaktive Maßnahmen wirklich „nachhaltig“? Der Begriff der Nachhaltigkeit referiert unter anderem auf die Forstwirtschaft. Es soll nicht mehr verbraucht werden als jeweils nachwachsen und somit künftig wieder bereitgestellt werden kann. Hier geht es nicht um Schadensbegrenzung, sondern um langfristige Planung. Die Nachhaltigkeitsagenda 2030 referiert in diesem Sinne auf die Definition der Generationsgerechtigkeit im Brundtland-Bericht der Vereinten Nationen von 1987. Hierin heißt es: „Humanity has the ability to make development sustainable – to ensure that it meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.“

 

Es geht also um Langzeitperspektiven, die sowohl die Lebensumstände der aktuellen wie die der nachfolgenden Generationen miteinbezieht. Es geht also auch nicht um ein gegenseitiges Ausspielen der Generationen, sondern um eine gemeinsame zukunftsorientierte Planung, nicht nur ökologischer, sondern gesamtgesellschaftlicher Bereiche.

 

Eine langfristige Planung kann nicht nur auf Verboten basieren, sondern braucht konkrete Zukunftsvisionen, wie wir künftig miteinander leben wollen, wie Mobilität beispielsweise langfristig gestaltet werden soll. In Zeiten beispielsweise, in denen Mobilität eine entscheidende staatstragende Frage des klimatechnischen Überlebens geworden ist, müssen gesamtgesellschaftliche Lösungen erarbeitet werden.

 

Es kann nicht nur Bürgerverzicht eingefordert werden, sondern es müssen Alternativen, neue attraktive Mobilitätsvisionen entwickelt werden. Warum nicht Mobilität als staatliche gemeinschaftliche Aufgabe begreifen, statt den einzelnen Bürger mit Beförderungsentgelt zu beteiligen. Straßen werden von Steuergeldern finanziert, warum nicht ein gesamtgesellschaftliches Zukunftsmobilitätskonzept, das ausschließlich auf öffentlichem Nah- und Fernverkehr baut, in einer Frequenz und einem Umfang, die dem Bürger den Verzicht auf den Individualverkehr leichtmacht?

 

Viele gesellschaftliche Bereiche haben wir in den letzten Jahrzehnten ökonomisiert. Wenn wir künftig das Leitprinzip der Nachhaltigkeit wichtiger erachten als das der Ökonomie, dann bedeutet das nicht nur ein umweltbewussteres Verhalten des Einzelnen, sondern einen gesellschaftlichen Systemwechsel. Im Sinne der Nachhaltigkeitsagenda 2030, die beispielsweise auch Bildungsgerechtigkeit fordert, macht eine Finanzierungsbeteiligung des einzelnen Bürgers bei der individuellen Nutzung von öffentlichem Personennahverkehr, aber beispielsweise auch Kultur- oder Bildungsangeboten, keinen Sinn mehr. Vielmehr müssen Überlegungen angestellt werden, wie diese Angebote allen Bürgern gleichermaßen zugänglich gemacht werden können, da letztlich alle – die Gesellschaft – von dem Rückgriff der Bürger auf diese Angebote profitieren.

 

Nachhaltigkeit als Vision und nicht als Schadensbegrenzung zu begreifen, kann gewinnbringend, bereichernd sein und Menschen motivieren, ihr Lebensumfeld nachhaltig aktiv mitzugestalten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.


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