Johann Michael Möller - 28. Oktober 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Münchner Gegengewicht


Carola Lentz wird neue Präsidentin des Goethe-Instituts

Goethe scheint passé, den „Faust“ lesen müssen Schüler in Nordrhein-Westfalen auch nicht mehr, und von deutscher Kultur zu reden, ist schwierig geworden. Was heißt das eigentlich für das Institut, das Goethes Namen trägt und zu Deutschlands wichtigsten Kulturbotschaftern in der Welt gehört? Das Goethe-Institut hat sich jetzt eine Ethnologin an die Spitze gewählt und somit die Vertreterin eines Faches, das nach herkömmlichem Verständnis eher für die Kulturen außerhalb Europas zuständig ist. Die Berufung von Carola Lentz, einer international renommierten Afrikaforscherin, muss gleichwohl als Signal gewertet werden, wenn man nicht das abgegriffene Wort vom Paradigmenwechsel verwenden will. Ob man will oder nicht: Vita und Werk der Mainzer Professorin, die in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften rasch Karriere machte, bedeutet die Fokussierung der Auswärtigen Kulturpolitik auf einen Kontinent, dessen Zukunft immer mehr auch zur Schicksalsfrage Europas zu werden beginnt.

 

Wir können nicht mehr wegsehen, was dort geschieht, heißt das im Klartext und man kann den Verantwortlichen des Goethe-Instituts nur ein Kompliment machen für diese eindeutige Botschaft.

 

Endlich, so scheint es, begreifen wir auch in Deutschland, dass unser Verhältnis zu Afrika nicht mehr ein historisches oder karitatives ist, sondern längst ein politisches; und dass es dabei auch nicht um Entwicklungshilfe geht, sondern um kulturelles Verstehen. Der Zugang zur Gegenwart, hat der Historiker Wolf Schäfer einmal bemerkt, ist in unseren globalgeschichtlichen Zeiten inzwischen „für alle Menschen geöffnet“, weshalb man besser von Gleichzeitigkeit reden sollte – von der Gleichzeitigkeit des Gleichzeitigen.

 

Die Berufung von Carola Lentz erscheint daher wie ein Gegenakzent zu jener merkwürdig rückwärtsgewandten Diskussion um das Humboldt Forum in Berlin, wo einmal mehr die Schlachten der Vergangenheit geschlagen werden. Auch unter dem Mantel der Dekolonisierung kann sich der alte Exotismus verstecken.

 

Mit Carola Lentz kommt dagegen eine ausgewiesene Expertin, die in vielen dieser afrikanischen Länder gearbeitet hat. Sie weiß, worüber sie spricht, und man wird ihr die vielleicht mangelnde Nähe zum Kulturbetrieb nicht dadurch verzeihen müssen, dass sie im Kirchenchor singt und womöglich auch noch Akkordeon spielen kann. An der Spitze des Goethe-Instituts wird künftig jedenfalls eine Kulturwissenschaftlerin stehen und keine Kulturrepräsentantin. Ihr Kulturbegriff wird daher notwendig ein anderer sein.

 

Wer in ihren wissenschaftlichen Schriften aufmerksam liest, merkt schnell, wie wenig sie von der heute üblichen Kulturalisierung des Sozialen hält. Lentz sucht die Rückgewinnung des Kulturellen als soziale Praxis und Arena von „machtförmigen Aushandlungsprozessen“. In ihrem neuen Amt wird sie sich angewöhnen müssen, solche Dinge etwas weniger kompliziert auszudrücken. „Begriffliche Lockerungsübungen“ nennt sie das selbst, und eine Kostprobe davon hat sie in einem Streitgespräch in der Berlin-Brandenburgischen Akademie bereits gegeben. Dort war Thilo Sarrazin ihr Ziel und sein fundamentalistisches Kulturverständnis, aber gleichzeitig konnte sie sich den Seitenhieb auf die linksliberalen Verfechter eines fröhlichen Multikulturalismus auch nicht verkneifen. Ihr Verhältnis zur Kultur ist vergleichsweise abstrakt, was sie aber durch den augenzwinkernden Hinweis auf ihr Faible für schwarze Lederjacken wettzumachen versucht.

 

Wenn sie davon spricht, dass die Markierungen kultureller Grenzen neu ausgehandelt werden müssen, dann meint sie nicht nur „die anderen“. Kulturelle Außenpolitik hat im eigenen Land zu beginnen, was eine alte Erkenntnis aus den 1960er Jahren ist, aber in heutigen transkulturellen Zeiten neue Bedeutung bekommt. Die Antwort auf die Frage nach dem gesellschaftlichen Zusammenhalt lässt sich nicht mehr im kulturellen Alleingang gewinnen. Aber es bleibt doch die Ungewissheit, ob ein so granulares Verständnis von Kultur auf Dauer ausreicht, um die notwendige Festigkeit von Gesellschaften zu gewährleisten. Das „Verharren im strukturlos Mobilen“, hat ein kluger Beobachter kürzlich bemerkt, sei keine Basis für Wissenschaft, und – möchte man hinzufügen – auch keine Basis für Kultur-politik.

 

In München könnte bei aller Kooperationsbereitschaft ein Gegengewicht entstehen zu jener von allen guten Geistern verlassenen Debatte in Berlin. Aber eine solche Arbeitsteilung wäre nicht hilfreich. Das Goethe-Institut scheint jedoch gut beraten zu sein, die Fehler des Humboldt Forums nicht wiederholen zu wollen. Es reicht, wenn man dort um die koloniale Vergangenheit kreist. Viel spannender erscheint aber die Frage, was von den Erkenntnissen aus Afrika übertragbar wäre für das heutige Verständnis von Kulturkonflikten weltweit.

 

Es ist keine billige Analogie, wenn auch die Länder Mittel- und Osteuropas sich einreihen in den postkolonialen Diskurs. Auch da wartet ein großes Feld auf die kommende Präsidentin. Was man von ihr erhoffen kann, ist nicht das übliche bildungsbürgerliche Repertoire. Aber sie wird begründete Antworten geben auf die höchst aktuelle Frage, warum es gerade die Kultur ist, an der sich die postmodernen Konflikte entzünden. Kultur sei kein Gefängnis, hat Carola Lentz einmal gesagt. Aber nur dann, wenn man weiß, wo der Schlüssel hängt

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/texte-zur-kulturpolitik/muenchner-gegengewicht/