Olaf Zimmermann - 23. Dezember 2017 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

#MeToo - Differenzierung erforderlich


 

#MeToo schallte es in den letzten Monaten des Jahres 2017 vielfach durch die Medien. Frauen und Männer klagten an, sexuell bedrängt, belästigt oder sogar vergewaltigt worden zu sein. Oftmals lagen die Ereignisse bereits Jahrzehnte zurück. Täter waren bekannte Stars, die teils schon zum Zeitpunkt des Geschehens berühmt waren, teils seinerzeit noch unbekannt und jetzt als Prominente von ihrem schändlichen Tun eingeholt werden. Zu lesen war von Verschwiegenheitskartellen. Davon, dass doch eigentlich in der Branche bekannt gewesen sei, dass die Besetzungscouch wortwörtlich zu verstehen ist oder dass sexuelle Übergriffe scheinbar zum Gewohnheitsrecht von Stars gehören.

 

Um eines vorab klarzustellen, sexuelle Ausbeutung, Übergriffe und das Ausnutzen von Abhängigkeit sind kein Kavaliersdelikt. Da gibt es nichts zu beschönigen oder zu verharmlosen. Dort, wo eine strafbare Handlung begangen wurde, muss die Tat durch Gerichte geahndet werden.

 

Klima der Angst

 

Offenbar herrscht im Kultur- und Medienbereich ein Klima der Angst, das solche Übergriffe ermöglichte und verhindert hat, dass sich die Betroffenen dagegen zu Wehr setzen. Es scheint zumindest teilweise die Devise zu gelten, dass künstlerische Genies sich einiges herausnehmen können und nicht mit den üblichen Maßstäben bewertet werden müssen. Ein solcher Kult um vermeintliche oder tatsächliche Genies ist mir persönlich, der ich jahrelang mit vielen Künstlern zusammengearbeitet habe, fremd und ich denke, dass es gut wäre, die Stars von ihrem jeweiligen Olymp herunterzuholen. Dazu gehört aber dann auch endlich, die übertrieben vielen roten Teppiche einzurollen. Einige Künstler verlieren auf dieser besseren Auslegeware offensichtlich wirklich den Bezug zur Realität. Weder sind Künstler bessere Menschen, noch dürfen sie sich mehr als andere herausnehmen. Offenbar gibt es darüber hinaus in einigen künstlerischen Branchen einen solchen ökonomischen Druck, dass es als notwendig erachtet wird, seinen Körper zu verkaufen. Hiergegen ist entschieden einzutreten.

 

Berührung erlaubt?!

 

Dennoch gilt es im Kunstbetrieb, Besonderheiten zu beachten. Kunst zu machen, ist ein intimer Akt. Kunst ist oftmals körperlich. Kunst machen verlangt nicht selten Berührung und Intensität. Kunst hat auch eine erotische Ausstrahlung, die durch die handelnden Personen, die Künstlerinnen und Künstler entsteht.

 

Nicht von der Hand zu weisen ist, dass in der künstlerischen Arbeit, speziell auch im Verhältnis zwischen Lehrenden und Schülerinnen bzw. Schülern Berührungen dazu gehören. Vielleicht ist ein Teil der intensiven Beziehung zwischen Lehrenden und Schülern in der Eins zu Eins-Betreuung bei Meisterschülern auch manchmal eine erotische Spannung. Erotische Spannung ist aber ganz klar und eindeutig von sexuellen Übergriffen zu trennen.

 

Die Gleichstellungsbeauftragten an den Musikhochschulen haben sich intensiv mit dem Thema befasst und eine pragmatische Handreichung erstellt, in der sie genau unterscheiden zwischen körperlicher Nähe und Übergriff. Beispielhaft sei hier auch die Handreichung der Hochschule für Musik Hans Eißler, Berlin genannt.

 

Übers Ziel hinaus

 

Neben den genannten Fragestellungen wird in den Kontext »#Metoo-Debatte« noch eine weitere Frage eingeordnet, die meines Erachtens dort überhaupt nichts zu suchen hat, nämlich die Darstellung von Frauen in der Kunst.

 

In Berlin wird an der Alice Salomon Hochschule diskutiert, ob ein Gedicht von Eugen Gomringer entfernt werden muss, was als frauenfeindlich eingestuft wird bzw. von dem sich Frauen belästigt fühlen. In der Göttinger Mensa wurde eine Ausstellung von Werken einer Künstlerin abgehängt, die als zu freizügig erachtet wurde. Weibliche nackte Brüste und Hintern waren für einige Studierende offenbar eine Zumutung.

 

In New York wurde eine Online-Petition gestartet, um ein Bild von Balthus ins Depot zu verdammen. Die Werke von Paul Gauguin werden ins Visier genommen, da er sehr junge Frauen nicht nur malte, sondern auch mit einer 13-jährigen Tahitianerin zusammenlebte. Sie war häufig sein Modell.

 

Kunst lebt von Erotik. Die entscheidenden künstlerischen Themen sind Liebe und Erotik, Tod und Vergehen. Die Urtriebe Thanatos und Eros sind nicht erst seit Freud wesentlicher Bestandteil der Künste. Im »Hohelied der Liebe« in der hebräischen Bibel wird nicht nur die geistige, sondern auch die leibliche Liebe gerühmt. Plastiken aus der Ur- und Frühgeschichte haben vielfach eine erotische Konnotation, geht es doch um Fruchtbarkeit. Eindeutige sexuelle Darstellungen zieren antike Vasen. Antike Schriftsteller sind nicht gerade zimperlich, wenn es um die Darstellung der körperlichen Liebe geht – und keineswegs nur zwischen Mann und Frau.

 

Es ließen sich tausende Beispiele aus der Kunst-, Literatur- und Filmgeschichte finden, die veranschaulichen, dass Kunst, egal welcher Gattung auch immer, das genaue Gegenteil von Prüderie ist. In der Kunst werden Sehnsüchte und auch Lüste sublimiert. Genau darum werden unsere Sinne angesprochen.

 

Dass es dabei Grenzen gibt, was ausschließlich Erwachsenen zugemutet werden kann und was frei zugänglich ist, versteht sich von selbst. Im Filmbereich ist die Altersklassifikation eine gut eingeübte Praxis und auch in der Computerspielebranche hat sich das Instrument der freiwilligen Selbstkontrolle längst bewährt. Für die ganz harten Fälle besteht die Möglichkeit der Indizierung. Ebenso selbstverständlich sind Kunstwerke von sexistischer Werbung zu unterscheiden. Hier dient vor allem der weibliche Körper dazu, zum Kauf von Konsumgütern zu animieren.

 

Freiheit der Kunst

 

Die Freiheit der Kunst ist ein hohes Gut. Der Deutsche Kulturrat nennt unter seinen Satzungszwecken das »Eintreten für Kunst-, Publikations- und Informationsfreiheit« als erstes Vereinsziel. Für die Freiheit der Kunst einzutreten, heißt auch, sich für jene Kunst stark zu machen, die einem vielleicht selbst gar nicht gefällt, eventuell gar abstößt. Freiheit der Kunst heißt nicht, mit jeder künstlerischen Darstellung einverstanden zu sein oder sie goutieren. Kunstfreiheit bedeutet, auch das zu ertragen, was dem eigenen Kunstgeschmack zuwiderläuft. Diese Freiheit wurde in Europa in langen Auseinandersetzungen errungen. Immer wieder neu dafür einzutreten, ist Aufgabe und Verpflichtung zugleich.

 

Debatten trennen

 

In der kulturpolitischen Diskussion kommt es darauf an, zu differenzieren und genau zu benennen, worum es geht. Die derzeitige Debatte leidet meines Erachtens darunter, dass alles in einen Topf geworfen wird. Es ist in meinen Augen ein Unterschied, ob jemand seine Position missbraucht, um Frauen oder Männer zu sexuellen Handlungen zu zwingen, oder ob Frauen oder Männer in erotischen Posen dargestellt werden.

 

Das Überschießen der Diskussion und Infragestellen der Kunstfreiheit erweist dem, um was es eigentlich geht, nämlich gegen sexuelle Übergriffe in der Kunstwelt vorzugehen, einen Bärendienst. Eine Differenzierung der Diskussion ist dringend erforderlich.


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