Helmut Hartung - 4. Februar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Mehr Geld, weniger Leistung?


Die Reformdiskussion über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in 2020

Die Diskussion um den Leistungsumfang und die Ausgestaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird auch 2020 weitergehen. Unbestritten und empirisch nachweisbar erreichen seine Angebote täglich nach wie vor die große Mehrheit der Menschen in Deutschland und diese Angebote genießen hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Nach einer ARD-Akzeptanzstudie 2018 gefällt 84 Prozent der ab 14-Jährigen in Deutschland die ARD mit ihrem Programmangebot „sehr gut“ oder „gut“. Im Osten wie im Westen der Republik und quer durch die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft ist die Haltung grundsätzlich positiv. Jeweils zwei Drittel der Bevölkerung beurteilen die Angebote des ARD-Verbunds als unabhängig von Interessengruppen und sind der Überzeugung, dass in der Berichterstattung alle zu Wort kommen. Noch vor zwei Jahren ergaben einige Umfragen, dass über die Hälfte der Bevölkerung öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio nicht als unabhängig einstufte. Der ARD-Medienverbund erreicht mit seinen nationalen und regionalen Angeboten praktisch die gesamte Bevölkerung in Deutschland regelmäßig. Mindestens einmal wöchentlich nutzen 94 Prozent dieses Angebot. Für 80 Prozent zählen sie zum täglichen Medienkonsum. Die Tagesreichweite von 80 Prozent beruht auf der Akzeptanz in allen gesellschaftlichen Gruppen – auch in den jüngeren Altersgruppen. Selbst in der Altersgruppe zwischen 14 und 24 Jahren nutzen 88 Prozent wöchentlich und 62 Prozent täglich Angebote aus der ARD-Familie, linear oder online, per Radio, Fernseher oder Smart-Speaker.

 

Hohe Akzeptanz muss gesichert werden

 

Können sich angesichts dieser positiven Zahlen die Mitarbeiter der öffentlich-rechtlichen Anstalten und die Medienpolitiker der Länder beruhigt zurücklehnen oder müssten sie angesichts der tiefgreifenden Veränderung in der Mediennutzung nicht eher die Voraussetzung schaffen, dass diese hohe Akzeptanz in der Bevölkerung auch in den nächsten Jahren erhalten bleibt?

 

Die TV-Nutzung Jugendlicher zwischen 12 und 19 Jahren ändert sich rapid. Natürlich nutzen sie nach wie vor Bewegtbildangebote sowohl auf dem TV-Gerät als auch auf dem Handy, sehen sie sich weiterhin lineare Programme an oder streamen einzelne Sendungen. Aber die TV-Nutzung verringerte sich in dieser Altersgruppe von 2015 bis 2018 von 129 Minuten täglich auf 101 Minuten und die YouTube-Präsenz stieg bei diesen Jugendlichen von 2016 bis 2018 von 42 auf 60 Prozent. Das sind Zahlen des Internationalen Zentralinstituts für das Jugend- und Bildungsfernsehen. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung liegt bei rund 44 Jahren, das der Zuschauer von ARD und ZDF bei 62. Im Vergleich: Das Durchschnittsalter der Zuschauer von ProSiebenSat.1 beträgt 37 Jahre. Sicher ist das Programmprofil nicht mit dem von ARD und ZDF zu vergleichen. Aber die Tendenz muss nachdenklich stimmen. Auch das neue Jugendangebot „funk“ kann diese Entwicklung nicht aufhalten, auch wenn inzwischen drei Viertel der 14 bis 29-Jährigen „funk“ oder mindestens ein „funk“-Format kennen.

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk steckt in einem Dilemma

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss mehr Jugendliche erreichen, ohne die Älteren zu verprellen. Er muss mit seinen Programmen auf möglichst allen digitalen Plattformen präsent sein, ohne seine wichtigsten kuratierten linearen Angebote zu vernachlässigen. Er muss – laut Bundesverfassungsgericht – Information, Kultur, Bildung und Unterhaltung bieten und gleichzeitig einen hohen „Public Value“, also einen hohen Wert für die Gesellschaft und den Einzelnen aufweisen. Und er soll das alles mit dem gleichen Geld – und nach Möglichkeit mit weniger – leisten, weil der Beitrag, den jeder zahlen muss, natürlich für die Akzeptanz wichtig ist.

 

Seit Frühjahr 2016 diskutieren die Länder darüber, wie dieser Spagat zu schaffen sei, wie man mehr leisten – auch das hatte das Bundesverfassungsgericht 2018 konstatiert – und weniger Geld ausgeben soll, ohne gleichzeitig den Auftrag generell infrage zu stellen.

 

Um diese Quadratur des Kreises zu ermöglichen, schlugen einige Länder das sogenannte Index-Modell vor, das zugleich eine Budgetierung und Flexibilisierung bei den Verbreitungswegen vorsah. Bei diesem Vorschlag sollte der Beitrag automatisch und kontinuierlich an die Preisentwicklung angepasst werden. Die Funktion der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF), den tatsächlichen Bedarf zu ermitteln, wurde damit fragwürdig. Zudem versäumten es die Länder, zuerst den Auftrag zu definieren und dann die Art der Finanzierung zu bestimmen.

 

Diese Idee fand unter den Ländern keine Mehrheit. Das Index-Modell ist gescheitert. So stellte Oliver Schenk, Chef der Sächsischen Staatskanzlei, im November in einem FAZ-Interview fest: „Ziel einer Reform muss es sein, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für eine sich immer schneller verändernde Medienlandschaft langfristig fit zu machen und gleichzeitig die Akzeptanz in der Bevölkerung durch mehr Effizienz und hohe Qualität zu stärken. Über dieses Ziel sind sich alle Länder einig, unterschiedliche Auffassungen bestehen über den Weg. Länder, in denen große ARD-Anstalten oder das ZDF ihren Sitz haben, haben hier manchmal etwas andere Vorstellungen als z. B. Sachsen. Dazu kommen auch divergierende politische Bewertungen durch die sehr unterschiedliche Zusammensetzung der Landesregierungen. Auch wenn alle Länder grundsätzlich für Reformen sind, ist die Zeit für einen Paradigmenwechsel durch das Index-Modell anscheinend noch nicht reif.“ In der monatelangen Debatte habe sich gezeigt, dass einzelne Länder einige der Überlegungen aus diesem Modell nicht mittragen können und ein solches Gesamtpaket, vor allem mit der Indexierung, gegenwärtig bei den Ländern keine Mehrheit fände, betont Oliver Schenck. An den unterschiedlichen Vorstellungen, wie der Auftrag künftig definiert werden sollte, hat sich damit nichts geändert. Allerdings berücksichtigen die Länder nun mit dem Bekenntnis zur Empfehlung der KEF die Einwände von Verfassungsrechtlern gegenüber dem Index-Modell.

 

KEF empfiehlt Beitragsstabilität

 

Auf der Ministerpräsidentenkonferenz im Dezember 2019 waren Auftrag und Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kein Thema. Wenige Tage zuvor wurde bekannt, dass die KEF eine Erhöhung des Rundfunkbeitrages ab 2021 auf 18,36 Euro vorschlägt. Das wäre ein Cent mehr, als ARD, ZDF und Deutschlandradio gegenwärtig ausgeben. Diese KEF-Berechnung entspricht der Hälfte des von den Anstalten angemeldeten Mehrbedarfs und würde auch keinen Teuerungsausgleich enthalten. Für die ARD bedeutet diese „Erhöhungs“-Empfehlung der KEF sogar eine Verschlechterung gegenüber der aktuellen Verteilung der Mittel zwischen ARD, ZDF und Deutschlandradio. So sieht die KEF bei ZDF und Deutschlandradio für die Beitragsperiode von 2021 bis 2024 jeweils einen Mehrbedarf von über 7 Prozent, bei der ARD lediglich von 3,8 Prozent. Damit hat sich der prozentuale Anteil der ARD am Beitragsaufkommen von 1992 bis 2021 von 76,8 Prozent auf 69,6 Prozent verringert. Gleichzeitig kritisiert die KEF zu hohe Gehälter bei den öffentlich-rechtlichen Sendern und hat hier mehr Maßhalten gefordert. Ein Gutachten habe ergeben, dass die Vergütung bei den öffentlich-rechtlichen Sendern höher ausfällt als bei den Einrichtungen der öffentlichen Verwaltung. Die KEF schlägt deshalb in ihrem aktuellen Bericht vor, die Gelder für den Personalaufwand in der kommenden Vierjahresperiode um insgesamt 60,3 Millionen Euro zu kürzen. Die Rundfunkanstalten teilen die KEF-Interpretation des besagten Gutachtens nicht, weil die zwei wesentlichen Einflussfaktoren – Altersdurchschnitt der Belegschaft und eine unterproportionale Vergütungsentwicklung in der privaten Medienwirtschaft – nicht ausreichend berücksichtigt worden waren.

 

Auftrag soll an die veränderte Mediennutzung angepasst werden

 

Die KEF wird ihren endgültigen Bericht Mitte Februar vorlegen. Möglicherweise wird sie ihren Vorschlag für den Rundfunkbeitrag ab 2021 noch um einige Cent erhöhen, aber im Wesentlichen werden die Anstalten in der nächsten Beitragsperiode mit dem gleichen Geld auskommen müssen, das sie gegenwärtig zur Verfügung haben. Obwohl der Beitrag aktuell nur bei 17,50 Euro liegt, ist das möglich, weil sie auf Rücklagen von ca. eine Milliarde Euro zurückgreifen können, die durch die Umstellung von der Geräteabgabe zur Haushaltsabgabe entstanden sind. Die Sender müssen also weiter sparen. Um Kürzungen am Programm zu vermeiden, werden sie noch mehr kooperieren und sich vernetzen und alle Sparmöglichkeiten durch neue Technologien nutzen müssen. Zugleich muss beim Erwerb von Verwertungsrechten für Sport, Spielfilme und Unterhaltung noch mehr auf die Kosten-Nutzen-Relation, bezogen auf den Public-Value-Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, geachtet werden. Auch für Fußball gibt es finanzielle Schmerzgrenzen.

 

Der Reformdruck ist groß

 

Haben die Länder mit dem Indexmodell auch die Debatte über eine Novellierung des Auftrages ad acta gelegt? Aus vielen Staatskanzleien war in den letzten Wochen zu hören, dass man den Auftrag weiter im Blick habe und möglichst 2020 auch endlich zu einem Ergebnis kommen möchte. Aber wie groß ist der Reformdruck nach der moderaten KEF-Empfehlung noch?

 

Der Druck ist weiterhin groß, denn es ist nur möglich, mit dem jetzt von der KEF vorgeschlagenen Beitrag ein dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk gemäßes Programm auf allen Verbreitungswegen zu sichern, wenn die Länder den Auftrag modifizieren. „Die vor allem in den letzten zwei Jahren intensiv geführte Debatte um Auftrag und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat uns einem Reformstaatsvertrag nicht nähergebracht“, stellt dazu der Brandenburger Staatssekretär für Medien Benjamin Grimm fest. „Dass die Diskussion zuletzt auf die Frage des Systemwechsels von der Bedarfsermittlung durch die KEF hin zu einem Indexmodell reduziert wurde, hat die eigentliche Aufgabe verdeckt. Denn tatsächlich ist die entscheidende Frage, wie man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in einer Zeit neu aufstellt, in der sich das Mediennutzungsverhalten dramatisch verändert hat, unter anderem mit dem Effekt, dass das lineare Angebot viele Benutzergruppen überhaupt nicht erreicht. Brandenburg hat sich dafür eingesetzt, die Rundfunkanstalten schneller und flexibler zu machen. Hinter dem Begriff der Fokussierung steht für uns die Idee, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (wieder) stärker auf seine Kernaufgabe, auf den Gedanken des Public Value, auszurichten, und damit auf seine Unterscheidbarkeit gegenüber rein (Massen-)Markt-getriebenen Angeboten.“
Insgesamt kristallisiert sich heraus, dass die Länder sich vor allem auf drei Kernthemen verständigen könnten: 1. Fokussierung des Programmangebotes, 2. Flexibilisierung bei den Verbreitungswegen, 3. Vernetzung auf einer gemeinsamen Plattform. Eine solche Flexibilisierung könnte sich vor allem auf die sogenannten Zusatzangebote beziehen, wie tagesschau24, EinsFestival, ZDFinfo und ZDFneo. Bei diesen Angeboten könnten die Anstalten dann „flexibel“ selbst darüber entscheiden, ob sie diese Angebote als klassische Fernsehangebote fortführen oder z. B. in ein Telemedienangebot überführen möchten, erläutert Axel Wintermeyer, Chef der Staatskanzlei Hessens.

 

„Das Jahr 2020 wird medienpolitisch geprägt sein von der Frage, ob und wie die Reformdiskussion zu Auftrag und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weitergeführt werden soll“, beschreibt Heiko Geue, Chef der Staatskanzlei von Mecklenburg-Vorpommern, einen der medienpolitischen Schwerpunkte für dieses Jahr.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.

 


Copyright: Alle Rechte bei Deutscher Kulturrat

Adresse: https://www.kulturrat.de/themen/texte-zur-kulturpolitik/mehr-geld-weniger-leistung/