17. April 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Kulturgoschen: Begrüßung durch den Präsidenten des Deutschen Kulturrates, Prof. Christian Höppner


Kulturgroschenpreisverleihung an Bundestagspräsident a.D., Prof. Dr. Norbert Lammert

Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident a.D.
lieber Norbert Lammert,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,
lieber Kulturgroschenpreisträger Staatsminister a.D. Bernd Neumann,
lieber Herr Dr. Decker,
lieber Herr Widmann,
liebe Gäste!

 

Seien Sie herzlich Willkommen zur Verleihung des Kulturgroschens 2018 an Prof. Dr. Norbert Lammert.

 

Sie haben sich in Ihrer Zeit als Mitglied des Deutschen Bundestags (1980-2017) über Jahrzehnte in besonderer Weise für die Freiheit der Künste und für bessere Rahmenbedingungen für Bildung, Kultur und Wissenschaft eingesetzt. Sie haben immer wieder die zentrale Rolle der Kultur für den gesellschaftlichen Zusammenhalt unterstrichen. Eng damit verwoben ist Ihr Engagement für die Kulturelle Bildung – Sie haben kontinuierlich auf die zentrale Bedeutung der Kulturellen Bildung für Kinder und Jugendliche gerade in der Entwicklungsphase und zugleich auf den „lausigen Zustand“ in der Schule hingewiesen. Ihr Engagement hat nicht nur oft Schlimmeres verhindert, sondern auch das Bewusstsein für die gesellschaftspolitische Dimension der Kultur geschärft. Dabei wurde auch immer klar, dass Kultur kein Allheilmittel für die Defizite gesellschaftlicher Entwicklungen, sondern eine Verständigungsbasis für Auseinandersetzungen sein kann.

 

Diese Verständigungsebenen im Zuhören und Streiten zu finden, wird im Digitalen Zeitalter der Echokammern schwieriger. Verrohung und Hass nehmen nicht nur im Internet zu.

 

Bei der diesjährigen ECHO-Preisverleihung wurden die Künstler „Kollegah und Farid Bang“ mit einem ECHO ausgezeichnet. Auch wenn Gangsta-Rap, der als Genre seit über 30 Jahren existiert, mit seinen spezifischen Ausdrucksformen und Stilmitteln auf Provokation und Grenzüberschreitung angelegt ist, sage ich klar: ihre Musik ist nicht meine und die Texte finde ich widerlich. Dennoch haben wir uns im ECHO-Beirat in Abwägung zwischen Kunstfreiheit und Nichtzulassung zu Gunsten der Kunstfreiheit durchgerungen. Diese Entscheidung war ein Fehler. Unzweifelhaft stehen die Mitglieder des Beirats und die in ihr vertretenen Organisationen ohne wenn und aber gegen Antisemitismus, Hass und Gewalt.

 

Das derzeitige Format des ECHO-Preises, aus Verkaufszahlen, Juryempfehlung, ggf. Beiratsanhörung und der letzten Entscheidung des Bundesverbandes der Musikindustrie über Auftritt und Preisvergabe ist so gesellschaftlich nicht mehr tragbar. Ich werde deshalb unter diesen Rahmenbedingungen nicht weiter im Beirat mitarbeiten.

 

Es ist gut, dass die Diskussionen der vergangenen Tage ein Stoppschild für eine seit Jahren bestehende Eskalationsspirale aus Hass, Rassismus und Gewalt setzen möchten. Eine Eskalation, die weit über den Kulturbereich hinausgeht und die zu wenig die gebührende Wachsamkeit in unserer Gesellschaft erfahren hat. Es ist gut, dass der Bundesverband Musikindustrie angekündigt hat, den ECHO Pop grundlegend reformieren zu wollen.

 

Ich werde gemeinsam mit meinen beiden Vizepräsidenten dem Sprecherrat des Deutschen Kulturrates einen Runden Tisch zu den Grenzen der Kunstfreiheit vorschlagen. Wir brauchen einen gesellschaftlichen Konsens darüber, was geht und was nicht in den Künsten – und zwar unterhalb ordnungspolitischer Regelungen. Kein leichtes Unterfangen, aber ein notwendiges.

 

Die Frage, wie wir mit unserer Geschichte, wie wir mit Menschen, die bei uns Zuflucht suchen, wie wir mit Andersdenkenden, wie wir mit dem Fremden umgehen, ist eine zutiefst kulturelle Frage, die auch den Kulturbereich fordert. Die „Initiative Kulturelle Integration“ und die „Allianz für Weltoffenheit“ sind zwei Plattformen eines beispiellosen zivilgesellschaftlichen Zusammenschlusses, die unter wesentlicher Mitwirkung des Deutschen Kulturrates Perspektiven für die notwendige Bewusstseinsbildung in unserer Gesellschaft bieten.

 

Meine Damen und Herren, mit der Auszeichnung für Norbert Lammert verbindet sich neben dem großen Dank für sein gesellschaftspolitisches Wirken die Zuversicht, dass er auch künftig seine Stimme zu den drängenden Fragen unserer Zeit erheben wird. Damit Sie sich dabei, lieber Herr Lammert, weiterhin und vielleicht noch intensiver durch die schönen Künste inspirieren lassen können, erlaube ich mir zum Schluss eine kleine Anregung: sollte die Information stimmen, dass Sie sich hin und wieder an den Goldberg-Variationen von J.S. Bach versuchen und dann mit all den virtuosen Einspielungen im Kopf zu dem Schluss kommen, dass man dabei nur scheitern könne, dann empfehle ich Ihnen aus eigener Erfahrung: Hören Sie andere Aufnahmen erst an, wenn Sie mit Ihrer Interpretation glücklich sind, dann können Ihnen andere Interpretationen Inspiration, aber keinen Frust bescheren. Oder, um es mit dem Weltbürger und Geiger Yehudi Menuhin zu sagen: „Die Musik spricht für sich allein, vorausgesetzt wir geben ihr eine Chance.“ In diesem Sinne wünsche ich uns einen inspirierenden Abend.


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