Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz - 26. April 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Gemeinnützigkeitsrecht nicht für politische Auseinandersetzungen missbrauchen


Diskussion über die Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe, von attac und Campact sind Alarmzeichen

Die Deutsche Umwelthilfe hatte vor Gerichten in mehreren deutschen Städten Fahrverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge erstritten und sich damit nicht nur den Zorn von Dieselfahrern zugezogen, sondern auch Politiker wollen durch Gesetzesänderungen erreichen, dass der Deutschen Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit entzogen wird. „Der Gesetzgeber muss die Kriterien der Gemeinnützigkeit überarbeiten“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe, Stefan Müller, im März. Die CDU hatte bereits bei ihrem Parteitag im Dezember beschlossen, prüfen zu lassen, ob die Deutsche Umwelthilfe weiterhin als gemeinnützige Organisation anerkannt werden sollte. Die FDP unterstützt Überlegungen in der CDU, der Deutschen Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit abzuerkennen, sagte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Liberalen im Bundestag, Michael Theurer. Die AfD fordert den sofortigen Entzug der Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe.

 

Immer mehr Politiker denken immer lauter darüber nach, wie der missliebigen Deutschen Umwelthilfe die Gemeinnützigkeit entzogen werden kann. Wobei das Problem mit den Grenzwertüberschreitungen von Dieselfahrzeugen eindeutig kein Problem der Deutschen Umwelthilfe ist, sondern der Automobilindustrie, deren Produkte die gesetzlich vorgegebenen Grenzwerte nicht einhalten. Die Deutsche Umwelthilfe besteht nur auf die Einhaltung der von der Politik beschlossenen Vorgaben.

 

So richtig Fahrt nahm die Diskussion zum Gemeinnützigkeitsrecht auf, als der Bundesfinanzhof im Februar dieses Jahres entschied, dass die Tätigkeit des Fördervereins der globalisierungskritischen Nichtregierungsorganisation attac nicht gemeinnützig ist. Dem Urteil ging ein jahrelanger Rechtsstreit voraus. In erster Instanz wurde dem Trägerverein von attac noch die Gemeinnützigkeit beschieden. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofes muss sich nun, da der attac-Trägerverein seinen Sitz in Hessen hat, das Hessische Finanzgericht mit der Frage befassen. Der Bundesfinanzhof hatte laut attac in seiner Urteilsbegründung festgestellt, dass die „Einflussnahme auf politische Willensbildung und Gestaltung der öffentlichen Meinung (…) keinen gemeinnützigen Zweck erfüllt“.

 

Nachdem das Urteil ergangen war, begann eine rege Diskussion, inwiefern hier ein politisches Urteil gegenüber einer missliebigen Organisation gefällt wurde und ob in der Zukunft gemeinnützige Organisationen, die sich politisch äußern und positionieren, generell befürchten müssen, ihre Gemeinnützigkeit zu verlieren. Attac wetterte, dass zu erleben sei, „wie Regierung und Parteien immer öfter versuchen, politisch missliebige Organisationen über das Gemeinnützigkeitsrecht mundtot zu machen“ und weiter „Gemeinnützigkeit dürfe nicht auf apolitische Wohltätigkeit beschränkt werden“.

 

Zuletzt stellte die Online-Kampagnen-Plattform Campact bis auf Weiteres vorsorglich keine Zuwendungsbestätigungen für Spenden mehr aus, da sie Angst hat, rückwirkend den Status als gemeinnützige Organisation zu verlieren – und damit das Recht, Spendenbescheinigungen zur Vorlage beim Finanzamt an Spender auszugeben sowie für bereits ausgestellte Bescheinigungen in Regress genommen zu werden. Die Diskussion über die Gemeinnützigkeit der Deutsche Umwelthilfe, von attac und Campact sind Alarmzeichen, die sehr ernst genommen werden müssen.

 

Gemeinnützigkeit, was ist das?

Ob eine dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit einer Organisation, eines Vereins oder einer Stiftung gemeinnützig im steuerrechtlichen Sinn ist, wird in der Abgabenordnung, einem der wichtigsten Steuergesetze, geregelt. In der Abgabenordnung ist klar und schnörkellos beschrieben, was eine gemeinnützige Körperschaft ausmacht. Sie zeichnet sich dadurch aus, „die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern“.

 

Eine Förderung der Allgemeinheit liegt nicht vor, „wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugutekommt, fest abgeschlossen ist“. In Absatz 2 Paragraf 52 der Abgabenordnung werden gemeinnützige Zwecke aufgeführt (siehe Infokasten). So gehört die Förderung von Kunst und Kultur ebenso zu den gemeinnützigen Zwecken wie beispielsweise die Förderung der Erziehung und Volksbildung, die Förderung von Umwelt- und Naturschutz oder die Förderung des demokratischen Staatswesens. Voraussetzungen für die Gemeinnützigkeit einer Körperschaft sind:

 
• die Verfolgung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke,
• die selbstlose, ausschließliche und unmittelbare Verfolgung der Zwecke,
• die Nennung der gemeinnützigen Zwecke in der Satzung,
• die tatsächliche Geschäftsführung entsprechend der Satzung sowie
• die Regelung in der Satzung, dass das Vermögen der Körperschaft bei

 

Auflösung oder Wegfall der Steuerbegünstigung auch künftig für steuerbegünstigte Zwecke verwendet wird.

 

Die Gemeinnützigkeit einer Körperschaft ist in der Regel eine der Voraussetzungen, um öffentliche Mittel beantragen zu können. Ebenso sind Spenden an eine Körperschaft nur dann steuerlich abzugsfähig, wenn diese gemeinnützig ist.

 

Das Gemeinnützigkeitsrecht ist ein zentraler Baustein zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements. Darin kommt zum Ausdruck, dass sich Körperschaften für die Allgemeinheit, letztlich das Gemeinwohl, stark machen. Dieses bürgerschaftliche Engagement als Spende von Zeit oder von Geld ist eine wesentliche Grundlage unseres Gemeinwesens. Es zeugt davon, dass nicht der Staat alles richtet, sondern die Bürgerinnen und Bürger selbst für ein gelingendes Zusammenleben verantwortlich sind, sich hierfür stark machen und füreinander einstehen.

 

Die Feststellung, ob eine Körperschaft als gemeinnützig anerkannt ist, obliegt den Finanzämtern. Sie prüfen nicht nur die Satzung, sondern anhand der Jahresberichte auch, ob die tatsächliche Geschäftsführung den gemeinnützigen Zwecken entspricht.

Gemeinnützige Zwecke
Über die in der Abgabenordnung aufgeführten Zwecke ließ und lässt sich trefflich streiten. Immer wieder als Zielscheibe von Häme und Spott dienen beispielsweise die gemeinnützigen Zwecke zur Förderung des Amateurfunks, des Modellflugs und des Hundesports. Es gibt daher ebenso Stimmen, die für eine Reduktion der gemeinnützigen Zwecke eintreten, wie solche, die sich für eine Ausweitung stark machen.

 

Anfang dieses Jahrhunderts standen das Gemeinnützigkeitsrecht und die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements auf der politischen Agenda weit oben. Zu nennen sind etwa die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zukunft des bürgerschaftlichen Engagements“, die Reformen im Stiftungssteuerrecht, das Gesetz „Hilfen für Helfer“, die Gründung des Bundesnetzwerks Bürgerschaftlichen Engagements, die mit großem Echo begleiteten Freiwilligensurveys und vieles andere mehr.

 

Auch wenn das Thema bürgerschaftliches Engagement im Allgemeinen an Relevanz nichts eingebüßt hat, gehört das Gemeinnützigkeitsrecht heute nicht zu den „Top-Themen“ gesellschaftlicher Debatten. Es handelt sich vielfach um einen fachlichen juristischen Diskurs.

 

Im Visier der Politik
Nun ist es so, dass die Brisanz des attac-Urteils in dem zeitlichen Zusammenfall mit Äußerungen zur Prüfung der Gemeinnützigkeit der Deutschen Umwelthilfe und der Selbstbescheidung von Campact entsteht. Hieraus erwächst ein Klima der Angst. Vereine sorgen sich, auch im Kulturbereich, ob bei generellen politischen Äußerungen bereits der Entzug der Gemeinnützigkeit drohen könnte. Diese Sorgen müssen ernst genommen werden und gemeinnützige Körperschaften müssen gemeinsam eine Haltung hierzu entwickeln. Der Fachausschuss Steuern des Deutschen Kulturrates wird sich in seiner konstituierenden Sitzung im Mai mit dem Thema befassen. Das Bündnis für Gemeinnützigkeit, zu dessen Gründungsmitgliedern der Deutsche Kulturrat gehört, behandelt das Thema und plant eine gemeinsame Positionierung.

 

Klar ist unseres Erachtens, dass Finanzämter nicht von der Politik missbraucht werden dürfen, missliebigen Organisationen den Garaus zu machen. Hier sind politische Auseinandersetzungen gefordert und nicht etwa steuerrechtliche Tricks.

 

Ebenso wichtig erscheint uns, die politische Dimension gemeinnütziger Körperschaften deutlicher zu betonen. Indem sie für die Allgemeinheit Aufgaben übernehmen, indem sie sich für die Gesellschaft einsetzen, engagieren sie sich oft auch politisch, geht es doch vielfach auch darum, das Gemeinwesen zu verändern. Diese politische Dimension des bürgerschaftlichen Engagements trat in den oben genannten Debatten vielfach in den Hintergrund.

 

Der Deutsche Juristentag hat im September 2018 festgestellt: Gemeinnützigkeit ist nicht nur ein Steuerstatus, sondern das prägende Recht für alle Non-Profit-Organisationen in Deutschland.

 

Die Politik muss aufhören das Gemeinnützigkeitsrecht für politische Auseinandersetzungen zu missbrauchen. Der Umgang der Regierungen in Polen und Ungarn mit Nichtregierungsorganisationen zeigt eindrücklich, wie schnell ein Schaden entstehen kann, der eine Demokratie in den Grundfesten erschüttert. Lassen wir es nicht so weit kommen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2019.

 


 

Abgabenordnung

 

§52 Gemeinnützige Zwecke

 

1) Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Eine Förderung der Allgemeinheit ist nicht gegeben, wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugute kommt, fest abgeschlossen ist, zum Beispiel Zugehörigkeit zu einer Familie oder zur Belegschaft eines Unternehmens, oder infolge seiner Abgrenzung, insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur klein sein kann. Eine Förderung der Allgemeinheit liegt nicht allein deswegen vor, weil eine Körperschaft ihre Mittel einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuführt.

(2) Unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 sind als Förderung der Allgemeinheit anzuerkennen:

  • die Förderung von Wissenschaft und Forschung;
  • die Förderung der Religion;
  • die Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der öffentlichen Gesundheitspflege, insbesondere die Verhütung und Bekämpfung von übertragbaren Krankheiten, auch durch Krankenhäuser im Sinne des § 67, und von Tierseuchen;
  • die Förderung der Jugend- und Altenhilfe;
  • die Förderung von Kunst und Kultur;
  • die Förderung des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege;
  • die Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung einschließlich der Studentenhilfe;
  • die Förderung des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes und der Naturschutzgesetze der Länder, des Umweltschutzes, des Küstenschutzes und des Hochwasserschutzes;
  • die Förderung des Wohlfahrtswesens, insbesondere der Zwecke der amtlich anerkannten Verbände der freien Wohlfahrtspflege (§ 23 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung), ihrer Unterverbände und ihrer angeschlossenen Einrichtungen und Anstalten;
  • die Förderung der Hilfe für politisch, rassisch oder religiös Verfolgte, für Flüchtlinge, Vertriebene, Aussiedler, Spätaussiedler, Kriegsopfer, Kriegshinterbliebene, Kriegsbeschädigte und Kriegsgefangene, Zivilbeschädigte und Behinderte sowie Hilfe für Opfer von Straftaten; Förderung des Andenkens an Verfolgte, Kriegs- und Katastrophenopfer; Förderung des Suchdienstes für Vermisste;
  • die Förderung der Rettung aus Lebensgefahr;
  • die Förderung des Feuer-, Arbeits-, Katastrophen- und Zivilschutzes sowie der Unfallverhütung;
  • die Förderung internationaler Gesinnung, der Toleranz auf allen Gebieten der Kultur und des Völkerverständigungsgedankens;
  • die Förderung des Tierschutzes;
  • die Förderung der Entwicklungszusammenarbeit;
  • die Förderung von Verbraucherberatung und Verbraucherschutz;
  • die Förderung der Fürsorge für Strafgefangene und ehemalige Strafgefangene;
  • die Förderung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern;
  • die Förderung des Schutzes von Ehe und Familie;
  • die Förderung der Kriminalprävention;
  • die Förderung des Sports (Schach gilt als Sport);
  • die Förderung der Heimatpflege und Heimatkunde;
  • die Förderung der Tierzucht, der Pflanzenzucht, der Kleingärtnerei, des traditionellen Brauchtums einschließlich des Karnevals, der Fastnacht und des Faschings, der Soldaten- und Reservistenbetreuung, des Amateurfunkens, des Modellflugs und des Hundesports;
  • die allgemeine Förderung des demokratischen Staatswesens im Geltungsbereich dieses Gesetzes; hierzu gehören nicht Bestrebungen, die nur bestimmte Einzelinteressen staatsbürgerlicher Art verfolgen oder die auf den kommunalpolitischen Bereich beschränkt sind;
  • die Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zugunsten gemeinnütziger, mildtätiger und kirchlicher Zwecke.

Sofern der von der Körperschaft verfolgte Zweck nicht unter Satz 1 fällt, aber die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet entsprechend selbstlos gefördert wird, kann dieser Zweck für gemeinnützig erklärt werden. Die obersten Finanzbehörden der Länder haben jeweils eine Finanzbehörde im Sinne des Finanzverwaltungsgesetzes zu bestimmen, die für Entscheidungen nach Satz 2 zuständig ist.

 


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