Susanne Keuchel - 28. Oktober 2019 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Für einen kulturellen Wandel im Klimadiskurs


Politischer Tatenlosigkeit darf kein blinder Aktionismus folgen

Schon lange setzen sich Umweltorganisationen für den Klimaschutz ein. Dass dieser nun salonfähig geworden ist, ist der Radikalität einer Jugendbewegung zu verdanken: „Fridays for Future“ Ein erster politischer Aktivismus ist die Folge. Schnelles Handeln ist notwendig, dennoch sollte der langen politischen Tatenlosigkeit nicht blinder Aktionismus folgen.

 

Denn bei der Analyse erster einzelner geplanter wie geforderter Maßnahmen wird schnell deutlich, dass diese a) die Umwelt in einzelnen Aspekten entlasten, an anderer Stelle aber wieder belasten. So gilt beispielsweise die E-Motorik als umweltfreundliche Alternative zu anderen Kraftstoffen. Weniger umweltfreundlich ist jedoch die Herstellung und Entsorgung der Batterien aus Lithium und Cobalt. Nicht nur das Recyceln der Lithium-Ionen-Batterien ist bisher noch schwierig, auch die Gewinnung belastet die Umwelt. Beim Abbau von Lithium wird viel Wasser verbraucht, was negative Auswirkungen auf den Grundwasserspiegel hat. Zudem wird Cobalt zurzeit unter teils menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen, vor allem aus Bergwerken der Demokratischen Republik Kongo, gewonnen.

 

Letzteres macht b) deutlich, dass Maßnahmen zum Klimaschutz nicht nur aus der Umweltschutzperspektive, sondern aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive heraus betrachtet werden sollten. Denn auch Fragen der Diplomatie, der Humanität, Demokratie, des gesellschaftlichen Zusammenhalts und kulturellen Austauschs berühren Fragen des Umweltschutzes.

 

Wie sieht es beispielsweise mit der Kunstfreiheit und geforderten Umweltschutzmaßnahmen aus? Ist der Künstler noch frei in der Auswahl seiner Materialien? Wie kann internationaler Künstleraustausch, können beispielsweise auch internationale Jugendbegegnungen sichergestellt werden? Diese Fragen können auf andere Handlungsfelder, beispielsweise der Politik oder der Wissenschaft, übertragen werden. Müssen für mehr Klimaschutz bestehende Freiheitsrechte von Bürgern eingeschränkt werden?

 

Das Zeitalter des Anthropozän, das den Menschen zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren biologischer, geologischer und atmosphärischer Prozesse auf Erden macht, wirft zugleich eine weitere berechtigte Frage auf: Können wir mit Reduzierung überhaupt bisherige negative Umwelteingriffe auffangen? Oder müssen wir nicht das Zeitalter des Anthropozän in anderer Hinsicht ernst nehmen und Technologien entwickeln, die bisherige Umweltschäden reparieren? Beispielsweise weiter an Technologien forschen, die CO2 recyceln oder neue umweltfreundliche Energiequellen ermöglichen? Das bedeutet nicht den Verzicht auf Reduktion, sondern im besten Fall Mehrgleisigkeit, um strategisch nachhaltige Entscheidungen treffen zu können: Ist beispielsweise der Fleischverzicht, In-vitro-Fleisch aus dem Reagenzglas und/oder maßvolle Tierzucht, um auch das natürliche Abgrasen der Wiese zu ermöglichen, sinnvoll?

 

Letztlich geht es hier um einen Appell für eine ganzheitliche Betrachtung auf drei Ebenen: Erstens eine interdisziplinäre Betrachtung des Klimaschutzes, zweitens diese unter einer gesamtgesellschaftlichen Zukunftsperspektive. Wir brauchen Umweltschützer und Klimaexperten ebenso wie den Menschenrechtler, den Juristen, den Technik- und den Kulturexperten an einem Tisch. Und wir brauchen drittens nicht nur politische Regularien, sondern einen kulturellen Wandel für den Klimaschutz, der nicht nur Top-down, sondern auch Bottom-up gestaltet wird. Hierfür bedarf es gestalterische Perspektiven: Wie wollen wir in Zukunft leben? Und was müssen wir für diese Zukunft tun? Die Künste und die kulturelle Bildung können helfen, das Unmögliche denkbar zu machen und so neue Wege zu eröffnen, für eine nachhaltige Zukunftsperspektive.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2019


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