Olaf Zimmermann & Gabriele Schulz - 28. Oktober 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Einiges erreicht, aber kein Grund, sich zurückzulehnen


Zur Diversität in Kultureinrichtungen

Ist ein Anteil von 64 Prozent weiblichen Beschäftigten in vom Bund dauerhaft geförderten Kulturinstitutionen viel oder wenig? Ist das Ergebnis, dass bei 86 Prozent der befragten Institutionen das Thema Diversität eine Rolle gespielt hat, eine „Scheinantwort“, weil sie vermeintlich sozial erwünscht ist oder spiegelt sie eine aktuelle Diskussion in Kulturinstitutionen wider? Woran liegt es, dass bei den befragten Institutionen die Mehrzahl der Beschäftigten mit Migrationshintergrund aus einem EU-Mitgliedstaat kommt? Ist es ein Zeichen, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit im Binnenmarkt auch in Kulturinstitutionen wichtig ist oder belegt es gar, dass ein falscher Migrationsbegriff zugrunde gelegt wurde? Alles Fragen, die bei der Vorstellung des Berichts „Diversität in Kulturinstitutionen 2018-2020“ eine Rolle gespielt haben. Doch der Reihe nach.

 

Mitte Oktober dieses Jahres wurde dieser Bericht der Öffentlichkeit vorgestellt. Es handelt sich um einen Bericht der Initiative kulturelle Integration, der insgesamt 28 Institutionen angehören und die im Jahr 2016 vom Deutschen Kulturrat initiiert wurde. Zur Mitgliedschaft der Initiative kulturelle Integration zählen neben dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration und dem Deutschen Kulturrat als Initiatoren die Länder, die kommunalen Spitzenverbände, die Sozialpartner, die Religionsgemeinschaften, die Medien sowie zivilgesellschaftliche Organisationen an. Auslöser für die Etablierung der Initiative kulturelle Integration war das Ankommen vieler Flüchtlinge im Jahr 2016 und die sich hieraus ergebenden Integrationsanforderungen.

 

Die Initiative kulturelle Integration hat gemeinsam 15 Thesen unter der Überschrift „Zusammenhalt in Vielfalt“ (bit.ly/3Gkv1YI) erstellt, die im Mai 2017 vorgestellt wurden. Eine dieser Thesen widmet sich der Integration in der Arbeitswelt. These 14 lautet „Erwerbsarbeit ist wichtig für Teilhabe, Identifikation und sozialen Zusammenhalt.“ In der Erläuterung der These heißt es unter anderem: „In unserer Arbeitsgesellschaft sollen die Talente der Menschen zur Entfaltung kommen, unabhängig von Geschlecht, Nationalität, ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexueller Orientierung und Identität.“ Und weiter: „Die gesellschaftliche Veränderung muss sich in der Beschäftigtenstruktur widerspiegeln. Das gilt für den öffentlichen Sektor ebenso wie für die Privatwirtschaft.“ Diese Formulierung bildet den Rahmen für die Beschäftigung der Initiative kulturelle Integration mit dem Thema Integration in der Arbeitswelt, wie z. B. die diesjährige Jahrestagung, die sich dem Thema Integration und Arbeit widmete.

 

Die These war auch Hintergrund des ersten Workshops im Rahmen des Nationalen Aktionsplan Integration, der im November 2018 im Bundeskanzleramt durchgeführt wurde und in den die Initiative kulturelle Integration involviert war. Bei diesem Workshop wurde aus verschiedenen Perspektiven, Sozialpartner, Wissenschaft und Kulturakteure, erörtert, wie bedeutsam und erfolgsfördernd eine diverse Belegschaftszusammensetzung ist. Im Rahmen des Nationalen Aktionsplan Integration wurde im Jahr 2021 als eines der Kernvorhaben die Erstellung eines Diversitätsberichts festgehalten. Mit dem vorgelegten Bericht wird diesem Kernvorhaben nachgekommen.

 

Grundlage des Berichts ist eine Befragung von 102 dauerhaft von der Beauftragten für Kultur und Medien geförderten Kultureinrichtungen und -institutionen. Es handelt sich um ein breites Spektrum an Institutionen mit unterschiedlich großen Belegschaften. Beispiele für diese Einrichtungen sind die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Deutsche Literaturfonds, der Deutsche Musikrat und andere mehr. Die Befragung wurde schriftlich von einem Befragungsinstitut auf der Grundlage eines zuvor erarbeiteten Fragebogens durchgeführt. Das Befragungsinstitut hat die Daten den Autoren der Studie zur Verfügung gestellt, sodass den Autoren nicht bekannt ist, welche Institutionen geantwortet haben.

 

Insgesamt haben 67 Institutionen den umfangreichen Fragebogen ausgefüllt, was angesichts des Umfangs des Fragenkatalogs, der Komplexität der Fragestellung und dem zugrunde gelegten Diversitätsbegriff mit seinen vier Dimensionen Alter, Geschlecht, Behinderung, Migrationshintergrund sehr erfreulich ist. Das belegt, dass das Thema Diversität in den befragten Institutionen angekommen ist. Bei denjenigen, die zwischen 31 und 100 Mitarbeitende haben, gaben sogar 94 Prozent an, dass Diversität in der Arbeit der Einrichtung in den letzten drei Jahren eine Rolle spielte. Besonders wichtig ist diese Fragestellung bei der Personalgewinnung. Auf die Frage, inwiefern das Thema Diversität in der Institution im Blick ist, antworteten 87 Prozent bei Stellenausschreibungen und 83 Prozent im Bewerbungsverfahren. Bei fast der Hälfte (48 Prozent) spielt das Thema eine Rolle in kulturpolitischen Diskussionen sowie im Austausch mit ähnlichen Einrichtungen. Auch dies ist ein Beleg, dass die Fragestellung breit debattiert wird.

 

Wird das Personal betrachtet, so zeigt sich, dass die Mehrzahl der Beschäftigten weiblich ist (64 Prozent). Die über 50-Jährigen stellen mit 42 Prozent die größte Beschäftigtengruppe, gefolgt von den 30- bis 50-Jährigen mit 37 Prozent und dann den unter 30-Jährigen mit 11 Prozent. 4 Prozent der Beschäftigten haben eine Beeinträchtigung. Das entspricht in etwa dem Wert der erwerbstätigen Schwerbehinderten in der Gesamtgesellschaft, der bei 4,5 Prozent liegt. Beschäftigte mit Migrationshintergrund stellen 18 Prozent der Beschäftigten. Mit Blick auf den Migrationshintergrund wurde die Definition des Statistischen Bundesamts zugrunde gelegt. Hier wird definiert: „Zur Bevölkerung mit Migrationshintergrund zählen alle Personen, die die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzen oder die mindestens ein Elternteil haben, auf das dies zutrifft.“

 

Organisationserhebungen, wie die hier skizzierte, stehen vor der Herausforderung, dass die für das Personal in den Institutionen Zuständigen aus den verfügbaren Personalunterlagen nicht unbedingt wissen, ob Mitarbeitende einen Migrationshintergrund haben oder nicht. Ein möglicher Migrationshintergrund ist eigentlich nichts, was den Arbeitgeber angeht, und wird daher in den Daten, die beispielsweise den Sozialversicherungsträgern übermittelt werden, auch nicht erhoben. Das heißt, dass der Anteil der Beschäftigten mit Migrationshintergrund in den befragten Einrichtungen unter Umständen höher liegen kann als angegeben, weil die entsprechenden Daten nicht vorhanden sind. Diese Lücke ließe sich nur durch eine Beschäftigtenbefragung schließen. Darüber ist zu berücksichtigen, dass einerseits das Anliegen besteht, mehr Diversität, speziell mit Blick auf den Migrationshintergrund, beim Personal zu erreichen, und andererseits streng genommen der Migrationshintergrund keine Rolle spielen sollte – eine Aporie, die schwer zu lösen ist.

 

In einigen Nachfragen und Diskussionen zum Bericht wurde problematisiert, dass ein falscher Begriff gewählt worden sei, da EU-Bürgerinnen und -Bürger mit Migrantinnen und Migranten mit türkischem Migrationshintergrund gleichgesetzt würden. Damit würde, so die Kritikerinnen und Kritiker, ein schiefes Bild entstehen. Dem ist zu entgegnen, dass auch in der amtlichen Statistik genau dieser Migrationsbegriff verwandt wird und er daher eine Referenz bildet, um den ermittelten Wert an Diversität bei den Beschäftigten in Kulturinstitutionen überhaupt einschätzen zu können. Mit Blick auf den gesamtgesellschaftlichen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund und deren beruflicher Stellung ist der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund in den befragten Institutionen bereits relativ höher. Teilweise liegt er sogar über dem Bevölkerungsanteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Zu einem ähnlichen Befund kommt auch der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR), der in seinem Jahresgutachten 2021 (bit.ly/2XEiEoY) zu dem Schluss kommt, dass Kulturinstitutionen mit Blick auf migrationsbedingte Diversität in der Personaldimension einen Sonderfall bilden. Und zwar in der Hinsicht, dass „heterogene Belegschaften in vielen Kulturbetrieben schon längst und durchaus traditionell Realität“ sind. Ein Befund, der angesichts einiger Debatten erstaunt.

 

Untersucht wurde beim Diversitätsbericht auch die Dimension Publikum. Vorab sei auch hier auf den SVR verwiesen, der beklagt, dass zu wenig und vor allem zu wenig vergleichbare und valide Daten zum Publikum von Kultureinrichtungen vorhanden ist. Auch der Initiative kulturelle Integration vorgelegte Diversitätsbericht fördert zutage, dass Nachholbedarf mit Blick auf systematische Untersuchungen zum Publikum bestehen. Am ehesten werden diese von Einrichtungen mit einem größeren Personalstab durchgeführt.

 

Als zusammenfassender Befund kann festgehalten werden, dass zwar einiges mit Blick auf Diversität erreicht wurde, aber noch kein Grund besteht, sich zurückzulehnen. Der Kulturbereich wird ähnlich anderen gesellschaftlichen Bereichen in den nächsten Jahren vor der Herausforderung stehen, den demografischen Wandel abzufedern. Ein beträchtlicher Teil der Belegschaften wird in den nächsten zehn Jahren aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Es ist daher im ureigensten Interesse, sich als attraktiver, divers orientierter Arbeitgeber aufzustellen, um in der Zukunft Personal zu gewinnen. Dazu gehören neben einem guten Betriebsklima auch die entsprechenden Aufstiegschancen. Oder anders gesagt und die These 14 Initiative kulturelle Integration aufgreifend: In Kulturinstitutionen sollen die Talente aller Menschen zur Entfaltung kommen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 11/2021.


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