Ludwig Greven - 27. März 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Corona vs. Kultur / Texte zur Kulturpolitik

Die Welt wird eine bessere sein


Die Corona-Zeit kehrt in uns ganz neue, verschüttete Seiten hervor

Wie lange diese nie gekannte, alle verbindende Krise andauern wird, weiß niemand. Doch jeden Tag mehr weicht auch in mir die Furcht, das Entsetzen. Der Blick weitet sich. Auf die Mitmenschen. Auf die Zeit danach, wenn die Phase des Welt-Innehaltens vorbei sein wird. Wenn das alltägliche, geschaftliche, künstlerische Leben irgendwann zurückkehren wird, aber in völlig anderer Weise, als wir es kannten. Denn in Wahrheit steht das Leben ja nicht still. Die globale Gesellschaft verwandelt sich gerade in rasantem Tempo. Menschen helfen Menschen, Nachbarn ihren Nachbarn, Nationen anderen Nationen. Ärzte und Pflegekräfte kümmern sich unermüdlich um die Erkrankten, Leidenden, Sterbenden, unter Aufopferung ihrer letzten Kräfte, nicht selten ihres Lebens. Virologen arbeiten fieberhaft an neuen Erkenntnissen, Pharmaforscher unter Höchstdruck an einem Impfstoff und Medikamenten gegen das Virus. Laborassistenten, Apotheker, Mitarbeiter in den Gesundheitsämtern und Politiker, die permanent schwerste Entscheidungen treffen müssen auf ungewisser Basis, sorgen sich darum, dass der Pandemie nicht noch viele Millionen Menschen mehr zum Opfer fallen. Und Kassiererinnen, Regalauffüller und Produzenten von Lebensmitteln, Schutzmasken und Desinfektionsmitteln dafür, dass wir Übrigen das Lebens- und Überlebensnotwendige erhalten, während wir tatenlos vom Sofa daheim oder vor dem Computer zuschauen können und sollen.

 

Allein das führt zu einem Umwerten bisheriger Werte. Es lehrt Demut und Dankbarkeit, schafft zugleich Hoffnung, Vertrauen, Zuversicht. Wir lernen in der existenziellen Bedrohung, die vor niemandem haltmacht, ob reich, ob arm, ob alt, ob jung, worauf es wirklich ankommt. Auf wen man sich verlassen kann, wenn es darauf ankommt, und auf wen nicht, vom eigenen Umfeld bis zum Staatenlenker. Menschen in Berufen, von denen unser privates und gesellschaftliches Leben abhängt, die aber zu oft im Schatten stehen, erfahren endlich die Wertschätzung, die sie schon immer verdient haben. Mehr als hochbezahlte Manager, Fußballtreter, Sternchen jeder Art.

 

In der erzwungenen Vereinzelung verbindet uns eine nie dagewesene Solidarität über alle Klassenschranken und vorerst geschlossenen Grenzen hinweg. Auch solche, die sich sonst gerne im identitären Neo-Tribalismus von Völkischen, Gruppenegoisten und Minderheitsfanatikern, der wahren Seuche der Neuzeit, geflissentlich separieren, achten auf Nähe in der gebotenen Distanz. Sie singen gemeinsam vom Balkon, stellen Kerzen in die Fenster, beten in Gedanken zusammen, lächeln sich an. Sie organisieren Gigs in geschlossenen Clubs ohne Publikum und Gottesdienste ohne Gläubige und übertragen sie auf YouTube. Sie teilen im Netz Lektüreempfehlungen, Koch- und Backrezepte, Tipps für TV-Serien und Online-Museumsführungen, und für das Leben in der Quarantäne. Ihren Kummer, ihre Sorgen, Ängste, ihre Wünsche und Hoffnungen.

 

Die Welt als globales Dorf: Nie war es so wahr wie jetzt. Da mögen Nationalisten, Populisten und Weltverschwörungsverrückte noch so hetzen auch in dieser Schrecknis. Sie kommen nicht dagegen an, dass wir als Gattung nur bestehen können, wenn wir zusammenstehen.

 

Schon zeichnen sich neue Perspektiven ab. Eine: „Glokalisierung“. Die Globalisierung bringt neue Gefahren mit sich. Aber dass die Welt zusammenwächst, ist ein Segen. Und nicht aufzuhalten. Doch sie muss und wird neu gedacht werden: global und lokal, regional. Denn weltweite Lieferketten, just in time, können, wie sich gezeigt hat, über Nacht zusammenbrechen. Also wird es wieder mehr regionale Produzenten, Vorräte und Lager geben, ohne die weltweite Vernetzung aufzugeben.

 

Menschliche statt künstliche Intelligenz

 

Eine weitere: „Flexinnovation“. In der Ausnahmesituation zeigt sich einmal mehr, wie fix Menschen und Gesellschaften in der Lage sind, sich auf neue Verhältnisse einzustellen. Videokonferenzen statt Dienstreisen und -flüge; Homeoffice statt endloser Meetings und vertaner Lebenszeit im Büro – Familie, Kinder und Beruf verbindend in anstrengender, aber beglückender Weise; Digitalunterricht, wenn es in den Schulen und Unis nicht geht; riesige Hilfsprogramme für Firmen, Selbständige, Freiberufler und Künstler binnen Tagen ohne parteipolitisches Gewürge, ohne Lobbyschlachten; Spaziergänge statt Fernreisen; heimische Gymnastik statt Fitnessclub; Konzentration statt hektischem Stress: Das, was sich viele schon lange wünschten und was nebenbei dem Klimaschutz dient, ist plötzlich möglich. Und wird nicht verschwinden. Hoffentlich.

 

Eine dritte: „Humanökonomie“. Ohne permanentes Wachstum geht es auch. Die Wirtschaft wird stark schrumpfen aufgrund des monatelangen Stillstands, viele Arbeitsplätze werden verloren gehen, eine globale Rezession droht. Aber sie wird nicht zusammenbrechen, sondern sich neu erfinden, menschlicher, weniger turbokapitalistisch. Und weniger technologiehörig.

 

Die wichtigste, alte Erkenntnis für mich jedoch: Jedes Leben zählt. Jeder ist wichtig. Auf niemanden können wir verzichten. Jeder, jede ist gleich: gleich wertvoll, gleich liebenswert. Wir hängen alle voneinander ab. Materielle Dinge sind unwichtig. Auf Sie, auf dich, auf mich kommt es an. Pass auf dich auf, passen wir auf uns auf! Das wird bleiben.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.


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