Johann Michael Möller - 25. Februar 2022 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Die Kulturstaatsministerin kämpft mit Symbolen


Kuppelkreuz-Debatte am Berliner Stadtschloss

Es ist die Zeit vieler Enttäuschungen. Auch, was die Innenpolitik anbetrifft. Denn während der Kanzler und seine Außenministerin eine respektable Figur im kriegerischen Konflikt um die Ukraine machen, ist von den Reformvorhaben im Innern herzlich wenig zu sehen. Der Gesundheitsminister stolpert weiter durch eine inkonsistente Impfpolitik; die Verteidigungsministerin fremdelt mit ihrer Truppe, der Wirtschaftsminister umwölkt seine Energiepolitik. Und die Kulturstaatsministerin kämpft mit Symbolen.

 

Ja, liebe Claudia Roth, wir haben uns in der Mehrheit darauf gefreut, dass mit Ihnen ein Urviech ins Amt kommt; eine, die weiß, wie es den Künstlern gerade geht und die immer noch den Blues in den Adern verspürt. Es gibt diesen Typus ja kaum noch unter den politischen Brillenträgern. Sie dagegen sind für uns immer noch die letzte Rock’n’Rollerin in diesem reichlich altklugen Kabinett.

 

Warum Sie sich jetzt ausgerechnet auf das Kuppelkreuz über dem Berliner Humboldt Forum stürzen, ist mir ein Rätsel. In unserer gemeinsamen süddeutschen Heimat gehört so ein Ding doch einfach dazu. Man kann in diesem Berliner Konflikt gar nichts gewinnen und mit kulturpolitischem Neuanfang hat das wenig zu tun. Wie wollen Sie Ihrem Kollegen, dem Kultursenator Lederer, denn erklären, dass es tatsächlich Menschen gibt, denen dieses Kreuz noch etwas bedeutet? Wobei selbst die alte DDR, der er sich offenbar noch immer verbunden fühlt, auf solche Gefühle Rücksicht genommen hat. Als der Berliner Dom in der unmittelbaren Nachbarschaft zum heutigen Humboldt Forum wiederhergestellt wurde, hat man das Kreuz mit der goldenen Laterne nach einigem Zögern und etwas niedriger doch wieder erlaubt.

 

Ein so altes Symbol lässt sich eben nicht einfach verstecken. Als die Sonne auf die neu errichtete Kugel des Fernsehturms schien, strahlte zum Entsetzen ihrer sozialistischen Erbauer ein blitzendes Kreuz wieder auf die Betrachter herab.

 

Jetzt ist mit der Kuppel des in Teilen wiedererstandenen Berliner Stadtschlosses noch ein weiteres, weithin sichtbares Kreuz hinzugekommen; und Sie werden mir natürlich sagen, dass das dort gar nichts verloren hat. Aber warum denn nicht? Wer auf dem Schinkelplatz vor der Fassade steht und hinaufschaut, den wird das keinesfalls stören. Auch ein bisschen Patina gibt es da schon. Was sind das für magische Beschwörungen, die uns glauben machen sollen, dass damit ein schrecklicher christlicher oder gar politischer Anspruch erhoben wird. Tut man dort nicht. Und die Verteidiger dieses Kreuzes haben in ihrer ganzen bürgerlichen Unschuld immer nur vorbringen können, dass es um eine getreuliche Wiederherstellung geht. Aber das ist nicht Ihr Punkt, liebe Frau Roth. Sie sehen darin etwas, was Sie in Ihrem Weltbild bedroht. Ich möchte Sie gerne beruhigen. Im Zeichen des Kreuzes ist schrecklich viel Blut geflossen; aber es war auch ein Versöhnungszeichen zumindest für die christliche Welt.

 

Vielleicht verstehen Sie, liebe Frau Roth, dass mir in dieser ganzen Debatte die vernünftigen Begründungen fehlen und schlicht auch das Wissen um den historischen Ort. Im deutschen Protestantismus spielte das Kreuz in der Nachfolge Luthers eine besondere Rolle, mit Staatschristentum hatte das nicht allein nur zu tun. Natürlich ist uns jene alte Frömmigkeit fremd geworden, mich wundert aber, dass sie für andere Religionsformen nach wie vor gilt. Denn warum es nicht möglich sein soll, ein Kuppelkreuz über den Zeugnissen islamischer oder hinduistischer Glaubenswelten zu errichten, lässt sich auch im postkolonialen Sinne nicht so einfach verstehen.

 

Man könnte es ja auch viel argloser betrachten und sagen: An diesem Ort berührt sich das kulturelle Erbe der Welt. Aber es geistern zu viele Missverständnisse durch diese Debatte und man spürt oft, dass sie mutwillig sind. So hat mein theologisch ausgebildeter Mitkolumnist Johann Hinrich Claussen, der weltoffene Kulturbeauftrage der Evangelischen Kirche in Deutschland, zurecht darauf hingewiesen, dass man noch nicht einmal dem Kuppelspruch eine rein böse Intention unterstellen kann. Man könnte ihn auch als Bekenntnis zur Glaubensfreiheit lesen; und den ältesten christlichen Hymnus als reaktionären Herrscherwillen zu interpretieren hat mit einer fairen Auseinandersetzung nichts mehr zu tun.

 

Wir wissen beide, liebe Frau Roth, dass um das Humboldt Forum ein heftiger Kulturkampf ausgebrochen ist, und dass es weder um Ausstellungskonzepte geht noch um postkoloniale Debatten. Der Konflikt hat sich zunächst an der historischen Hülle festgemacht; aber dann kam der Entschluss für das Kreuz wie gerufen. Wenn man mit den Beteiligten am Humboldt Forum spricht, dann war es genau dieser Moment als die Stimmung kippte. Vielleicht hatte man sich auch allzu lange der Illusion hingegeben, dass trotz aller historischen Zitate und rekonstruierten Fassaden eine neutrale Hülle entstehen werde, die sich mit jeder x-beliebigen Nutzung später verträgt. Das war natürlich ein Irrtum. Dieser Erinnerungsort blieb auch in seiner plastifizierten, merkwürdig künstlichen Form weiterhin mächtig. Das offenkundige Scheitern des Humboldt Forums hat auch etwas mit der Hilflosigkeit der neuen Konzepte angesichts der Deutungskraft von Geschichte zu tun.

 

Aber das ist, liebe Frau Roth, eben nicht nur ein Thema für Ausstellungsmacher und Museologen. Es ist wie ein historischer Fluch. Aus dem vermeintlichen Zentralort preußischer Geschichte, soll die zentrale Aushandlungsfläche der neuen postnationalen Gesellschaft werden. Für ein Kreuz gibt es da keinen Platz. Aber wie erbärmlich ist das? Und wie naiv doch zu glauben, man könne mit den Traditionen, Glaubensformen und Erinnerungsorten einer Gesellschaft umspringen wie mit dem Baukasten aus dem Legoland. Wir erleben seit Jahrzehnten wie eine naive, fast ingenieurshafte Vorstellung von „Nation Building“ überall scheitert. Was macht uns eigentlich so sicher, dass der Prozess des sagen wir: „Post Nation Buildung“ stattdessen besser verläuft? Warum wollen wir eigentlich all denen, die aus der ganzen Welt zu uns kommen, eine besenrein ausgekehrte neue Heimat zumuten? Warum dürfen wir uns nicht gegenseitig ausprobieren an der jeweils anderen, auch ungeliebten Kultur? Und warum sprechen wir dieser neuen Gesellschaft ab, sich dem gemeinsamen Erbe mit der nötigen Umsicht zu nähern?

 

Wir erleben in diesen Jahren das Entstehen einer diversen, ich würde lieber sagen: vielgestaltigen Literatur. Sie lebt ganz entscheidend von der Auseinandersetzung mit dem Vorhandenen; mit der Sprache, den Erinnerungen und dem vertrauten Gefühl. Was wir bereitwillig auf den Trödel geben, bekommt für viele dieser jungen Künstler einen ganz neuen Wert. Wenn es dem Humboldt Forum wirklich um eine bunte, lärmende, lebensfrohe Gesellschaft ginge, wäre mir wohler. Doch es ist wieder einmal nur eine moralische Anstalt entstanden, in der wir uns selber zum Kotzen sind. „Vom Ludergeruch der Reaktion“ hat die Süddeutsche Zeitung schon vor Jahren gesprochen.

 

Wenn es im politischen Berlin überhaupt jemand gäbe, der sich diesem Elend entgegenwerfen könnte, dann sind Sie das doch, liebe Frau Roth. Lassen Sie uns lieber drei Kreuze machen und ein Ende mit dieser Debatte. Wir haben nach zwei Jahren Corona und einer entsetzlichen, auch geistigen Lähmung doch endlich eine fröhliche Kulturstaatsministerin wieder verdient.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/22.


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