Helmut Hartung - 7. März 2023 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Texte zur Kulturpolitik

Bundesländer wagen große Reform


Gemeinsame Plattform für alle Inhalte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks

Die Mehrheit der Bevölkerung ist mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) unzufrieden. Nicht einmal ein Drittel sprach sich Ende 2022 in einer repräsentativen IPSOS-Umfrage für den Fortbestand des ÖRR in der derzeitigen Form aus. Ein Drittel forderte die Zusammenlegung von ARD und ZDF, ein weiteres Drittel die komplette Abschaffung. Auch das Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der Berichterstattung von ARD und ZDF ist innerhalb von zwei Jahren von 74 Prozent auf 62 Prozent im Oktober 2022 gesunken, so die Forschungsgruppe Wahlen des ZDF. Es besteht dringend Handlungsbedarf in den Anstalten selbst und in der Medienpolitik. Dieser Akzeptanzverlust hängt auch mit Misswirtschaft und Beitragsvergeudung beim Sender rbb zusammen. Das war der Auslöser für die galoppierende Unzufriedenheit, aber nicht die Ursache. Seit Jahren gibt es Kritik an einem zu teuren und uneffektiven öffentlich-rechtlichen System, an üppigen Intendantengehältern, doppelten Strukturen und gleichartigen Inhaltsangeboten sowie der oft fehlenden politischen Ausgewogenheit und dem ausufernden Gendern. Nicht nur die Öffentlichkeit missbilligt, wie die monatlich 18,36 Euro in den Anstalten verwendet und verschwendet werden, sondern auch zunehmend Politiker in den Bundesländern, wie Rainer Robra aus Sachsen-Anhalt oder Dirk Schrödter in Schleswig-Holstein. Auch die KEF hat mehrfach vergeblich Änderungen bei der Verwendung des Rundfunkbeitrages angemahnt. In einem Interview sagte am 17. Februar der Minister und Chef der Staatskanzlei Rainer Robra: „Ich kam mir mit meinen Mahnungen in der Vergangenheit oft wie der einsame Rufer in der Wüste vor, aber das hat sich durch den ‚Offenbarungseid’ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit seinen Einblicken in die Misswirtschaft beim rbb geändert. Ich stehe mit meinen Forderungen jetzt nicht mehr allein da. Hier zeigte sich beispielhaft, welche Verwerfungen es im System gibt, die nicht nur individuelles Fehlverhalten zur Ursache haben und die verändert werden müssen.“

 

Wie ein „einsamer Rufer in der Wüste“ muss sich auch Tom Buhrow, Intendant des WDR und Not-ARD-Vorsitzender, in seiner Rede am 3. November 2022 in Hamburg vorgekommen sein. Buhrow sprach hier als „Privatmann“ und hat sich für eine große Rundfunkreform und einen neuen Gesellschaftsvertrag für die Öffentlich-Rechtlichen ausgesprochen. Während seine mahnenden Worte bei den Intendantinnen- und Intendantenkollegen keine konkreten Aktivitäten auslösten, handelte die Rundfunkkommission der Länder kurz entschlossen. Mit dem Vierten Medienänderungsstaatsvertrag, dessen Entwurf am 7. Dezember 2022 beschlossen worden ist, wird eine Verbesserung der Transparenz, der Compliance sowie der Gremienaufsicht und eine Vermeidung von Interessenkollisionen erwartet. Die Rundfunkkommission hatte anfangs gehofft, dass die Anstalten selbst Schlussfolgerungen ziehen und ihre Geschäftsordnungen überarbeiten. Die Kehrtwende war ein Armutszeugnis: Die Politik vertraute nicht länger darauf, dass vor allem die ARD-Anstalten ihre massiven Probleme selbst in den Griff bekommen. Nach dem Entwurf sind die Sender verpflichtet, für eine größtmögliche Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit zu sorgen. Die Organisationsstruktur, einschließlich der Zusammensetzung der Gremien und ihrer Ausschüsse, alle Satzungen, Richtlinien, Geschäftsordnungen sowie sonstige Informationen, die von wesentlicher Bedeutung für die Rundfunkanstalt sind, müssen in Zukunft im Internet veröffentlicht werden. Dazu gehören die Bezüge der Intendanten und Direktoren zuzüglich der Aufwandsentschädigungen, Sitzungsgelder, sonstige geldwerte Vorteile, Honorierungen für Tätigkeiten bei Tochter- und Beteiligungsgesellschaften sowie die Leistungen bei der Beendigung der Tätigkeit.

 

Ein entscheidender Schritt für eine tiefgreifende Reform des ÖRR war die Klausurtagung der für Medienpolitik Verantwortlichen in den Bundesländern am 19. und 20. Januar im pfälzischen Deidesheim. War schon allein der Umstand, dass die 16 Minister und Staatssekretäre zwei Tage lang über eine langfristige Strategie für den ÖRR berieten, ungewöhnlich, so unterschieden sich auch die Ergebnisse vom bisherigen Klein-Klein deutscher Medienpolitik. Viele Medienpolitiker hatten im Vorfeld der Beratung selbstkritisch eingeräumt, dass das verloren gegangene Vertrauen nur durch tiefgreifende strukturelle Veränderungen wiederhergestellt werden kann. Die Länder verständigten sich deshalb über eine ordnungspolitische Perspektive für eine „Neuarchitektur“ des öffentlich-rechtlichen Systems. In einem Acht-Punkte-Beschluss wurde die Absicht erklärt, die digitale Transformation zu beschleunigen, die Strukturen zu verschlanken und die Anstalten zu zwingen, enger zusammenzuarbeiten. Zudem gelten künftig einheitliche Transparenz- und Compliance-Regeln. Die Rundfunkkommission hat sich zudem verständigt, einen „Zukunftsrat“ aus Experten als zeitweiliges Gremium einzusetzen. Es soll so erreicht werden, dass hohe journalistische Qualität, Regionalität und Pluralität das Profil der Anstalten prägen. Die Länder streben jedoch weder eine Reduzierung der Zahl der ARD-Anstalten noch ein Zusammengehen von ARD und ZDF an, halten aber eine gemeinsame technische Plattform für unabdingbar.

 

Als zweites Ziel hat die Rundfunkkommission neben der gemeinsamen Plattform eine Erweiterung der regionalen Berichterstattung, die die föderale Vielfalt Deutschlands widerspiegeln soll, definiert. Eine dritte Überlegung sieht vor, die bestehenden Anstalten zu verschlanken, indem Doppelstrukturen beseitigt und Kooperationen vorgeschrieben werden. Entsprechend bringt der Beschluss Kompetenzzentren und Shared-Service-Center ins Spiel. Es werden eine Überprüfung der Leitungs- und Gehaltsstrukturen im außer- und übertariflichen Bereich angekündigt.

 

Die Länder wünschen sich innerhalb von zehn bis fünfzehn Jahren einen ÖRR in den bisherigen Senderstrukturen, der seine Angebote, die regional ausgebaut werden, weitgehend online, über eine gemeinsame Plattform verbreitet. Durch Kompetenzbündelung und Reduktion von Arbeitsebenen und Abteilungen soll Personal abgebaut und mit einer »Anpassung« der Personalkosten der Rundfunkbeitrag langfristig zumindest gleich bleiben, möglichst aber sinken. Der Auftrag soll im Wesentlichen nicht reduziert werden.

 

Das alles will man sich durch einen „Zukunftsrat“ sanktionieren lassen, dem man anscheinend auch Veränderungskonzepte überlassen möchte, die für die Anstalten schmerzhaft wären. Dieser Rat soll bis zum Herbst Vorschläge vorlegen. Zu den auf fünf bis sechs Punkten begrenzten Fragestellungen für den Zukunftsrat gehören die Abbildung der „regionalen Vielfalt“ in einer digitalisierten Medienwelt, die künftige strukturelle, personelle, organisatorische und technische Aufstellung sowie der publizistische Wettbewerb im öffentlich-rechtlichen System bei gleichzeitiger Optimierung der Zusammenarbeit. „Wir wissen aus der politischen Institutionenforschung, dass derartig strukturierte Kollektivprobleme ohne unabhängige Unterstützung und Begleitung kaum gelöst werden können“, sagt der Dortmunder Medienökonom Frank Lobigs. Die Länder und die Anstalten benötigten darum einen kompetenten und unabhängig besetzten Expertenrat, der „konsequent die Gesamtperspektive einnehmen und somit faire und effiziente Gesamtvorschläge“ entlang der klaren Reformaufgaben ausarbeiten könnte.

 

Parallel zu den Denkprozessen des Zukunftsrats will die Rundfunkkommission die rechtlichen Rahmenbedingungen z. B. für eine engere Kooperation prüfen. Alle öffentlich-rechtlichen Sender sind selbstständige Unternehmen und unterliegen den EU-Wettbewerbsregeln und Paragrafen des deutschen Kartellrechts. Deshalb streben die Länder eine Bereichsausnahme an. Auch sollen die wirtschaftlichen Effekte der Strukturveränderungen genauer analysiert werden.

 

Die Rundfunkkommission plant, ihre Überlegungen für den Fünften Medienänderungsstaatsvertrag, in den die Vorschläge des Zukunftsrates einfließen sollen, bis Ende dieses Jahres auch der Gebührenkommission KEF zu übermitteln, damit mögliche Einsparungen ab 2025 noch für die nächste Beitragsempfehlung berücksichtigt werden können.

 

Für Nathanael Liminski, Chef der Staatskanzlei in NRW, ist klar, wie er der FAZ sagte, dass die Sender kurzfristig einen wesentlichen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit des Systems leisten müssten. Die Rundfunkkommission habe klare Erwartungen an alle Anstalten formuliert, die angestoßenen Reformprozesse zu intensivieren. Die Länder hätten aber deutlich gemacht, dass sie die gesetzlichen Rahmenbedingungen mittelfristig noch in diesem Jahr fortentwickeln.

 

Die Rundfunkkommission erwarte, so hat sie es in Deidesheim formuliert, „erhöhte Anstrengungen der Anstalten und ihrer Gremien, um den bereits angestoßenen Reformprozess aktiv voranzutreiben und konstruktiv fortzusetzen“. Es bestehe Einigkeit, dass der Reformprozess weitergeführt werden müsse, um den ÖRR inhaltlich, finanziell wie technisch zukunftsfest auszugestalten. In allen acht Punkten des Reformpapiers geht es um den ÖRR als System und nicht nur um die ARD. Die Antwort des ZDF-Intendanten Norbert Himmler am 9. Februar in einem Interview mit dem Medienportal DWDL: „Wir haben unsere Effizienz bewiesen. Trotz Beitragsstabilität in den letzten zehn Jahren haben wir uns stetig weiterentwickelt und die Herausforderungen angenommen. Wir haben uns modernisiert und im Angebot diversifiziert.“ So verkündet der Chef der größten öffentlich-rechtlichen Anstalt sehr selbstbewusst gebetsmühlenartig, es ginge nicht um Veränderungen des öffentlich-rechtlichen Systems, sondern nur der ARD. „Hier ist auch das ZDF in der Pflicht. Gelegentlich vermittelt das ZDF den Eindruck, die Reformen gingen es nichts an. Das ist ein fundamentaler Irrtum. Die Reformnotwendigkeit ist möglicherweise bei der ARD gravierender, doch es geht darum, das öffentlich-rechtliche System insgesamt zu reformieren und dazu gehört auch das ZDF“, sagte Rainer Robra am 17. Februar der FAZ.

 

Im Gegensatz zum ZDF haben die ARD-Intendanten mehrere Reformschritte angekündigt. So beschlossen sie bei ihrer Sitzung in Hannover nebulös und unkonkret, dass „Kooperation der Regelfall“ sein würde und sich eine Steuerungsgruppe aus elf ARD-internen Fachleuten um die Umsetzung der Reformvorhaben kümmern würde. Es werde für vier Bereiche crossmediale journalistische Kompetenzzentren geben, hieß es in der Pressemitteilung. Allerdings sollen die „Konturen der neuen ARD“ erst im Verlauf dieses Jahres sichtbar werden.

 

Unabhängig von den strategischen Entscheidungen bestand in der Öffentlichkeit die Hoffnung, dass die Medienpolitiker der Länder Maßnahmen beschließen und die Anstalten Vorschläge vorlegen würden, die sich auf die Beitragshöhe ab 2025 auswirken könnten. Der Chef der Sächsischen Staatskanzlei Oliver Schenk sieht hier vor allem drei Faktoren. Erstens die Bildung der Rücklagen, ermöglicht durch höhere Beitragseinnahmen als ursprünglich prognostiziert; dieses Geld soll in der nächsten Beitragsperiode verwendet werden. Zweitens erwartet er, dass die Anstalten die Einführung einheitlicher Standards und Systeme, die teilweise bereits 2017 begonnen worden seien, schneller realisieren und so Kosten sparen. Drittens könnten Festlegungen aus dem Dritten Medienänderungsstaatsvertrag, der Mitte 2023 in Kraft treten soll, noch in diesem Jahr umgesetzt werden.

 

Doch die positiven Effekte sind fraglich. Selbst wenn die lineare Verbreitung der ARD-Sender One, Alpha und von ZDFneo noch 2023 beendet werden sollte, was unsicher ist, sind die Einsparungen sehr überschaubar. Auch der Sonderfonds aus Beitragsmehreinnahmen ist im Moment nicht mehr als ein Hoffnungsposten. Er kann für zusätzliche Aufwendungen verwendet werden, wenn auch mit Zustimmung der KEF. Damit hängt der Rundfunkbeitrag ab 2025 vor allem von den Einsparungen und dem Reformwillen der Anstalten in den nächsten vier Jahren ab. Dazu wurden sie in Deidesheim erneut nachdrücklich gedrängt. Ob das den Optimismus einiger Ministerpräsidenten rechtfertigt, dass es ab 2025 zu keiner Beitragserhöhung kommt, ist fraglich.

 

Die geplante Reform wird, wenn sie konsequent zu einer Verschlankung des öffentlich-rechtlichen Systems und zu einem Paradigmenwechsel von „immer mehr“ zu „immer zielgenauer“ führt, nicht nur positive Ergebnisse für die gesellschaftliche Kommunikation, sondern auch Auswirkungen für das gesamte Medienökosystem haben. Sie wird dazu beitragen, den digitalen Wandel auch in anderen Bereichen der Medienwirtschaft zu beschleunigen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 3/2023.


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