Anja Karliczek - 31. Oktober 2018 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Deutsche Bundesregierung / Texte zur Kulturpolitik

Berufliche Bildung stärken


Bildung und Forschung in der aktuellen Legislaturperiode

Als ich kürzlich das Hannah-Arendt-Gymnasium in Lengerich besuchte, das ganz in der Nähe meiner Heimatstadt Tecklenburg liegt, da war nach einer kleinen Umfrage unter den Oberstufenschülern schnell klar: Alle wollen wie selbstverständlich studieren. Nun will ich nicht behaupten, dass in Deutschland grundsätzlich zu viel studiert wird, aber dass es einen starken Drang zur Universität gibt, das ist doch ganz offensichtlich. Die berufliche Bildung hingegen steht nicht so hoch im Kurs. Es ist paradox: Zwei Drittel der Deutschen beurteilen die duale Berufsausbildung positiv. Wenn man aber fragt, wer seinen eigenen Kindern diesen Weg empfehlen würde, dann reduziert sich die Zustimmung um ein Vielfaches. Dabei werden Facharbeiter dringend gesucht – und gut bezahlt. Und nichts spricht dagegen, nach einer Ausbildung, z. B. als Anlagenmechaniker für Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik, später an einer Hochschule Versorgungstechnik zu studieren. Den Neigungen so mancher Schülerin und so manchen Schülers käme das sicher gelegen.

 

Am Hannah-Arendt-Gymnasium habe ich darum von ganzem Herzen für die berufliche Bildung geworben. Ich möchte sie in den kommenden Jahren mit dem Berufsbildungspakt weiter stärken. Die berufliche Bildung ist nicht nur ein Aushängeschild unseres Landes in der Welt und einer der Gründe dafür, warum unsere Jugendarbeitslosigkeit so viel geringer ist als anderswo, sie gibt dem Einzelnen oft auch viel mehr, als das die graue Theorie an der Uni vermag. Und nach der Ausbildung stehen einem weiter alle Türen offen: Stichwort Durchlässigkeit. Das gilt natürlich in beide Richtungen, denn so mancher Student hat nach einiger Zeit an der Universität gemerkt, dass ihm das Praktische fehlt, dass er vielleicht lieber eine Ausbildung zum Groß- und Außenhandelskaufmann macht als ein Wirtschaftsstudium. Ich selbst habe nach meinem Abitur eine Banklehre absolviert und später ein BWL-Fernstudium gemacht. Bis heute kann ich sagen, dass dieser Weg der für mich richtige war. Darum finde ich es auch prima, dass am Hannah-Arendt-Gymnasium schon in der achten Klasse eine persönliche Berufsberatung angeboten wird und die Schüler erfahren, welch’ zahlreiche Berufsmöglichkeiten es gibt. Das hilft sehr, wenn man sich früh entscheiden muss, in welche Richtung es beruflich gehen soll.

 

Vielleicht fällt diese Entscheidung heute schwerer als früher. Ich sehe das an meinen eigenen Kindern. Leben wir doch in komplexen, unübersichtlichen Zeiten, in Zeiten, in denen sich die Welt um uns herum epochal verändert. Wie können wir diese komplexe Welt erfassen? Wie können wir Globalisierung und Digitalisierung gestalten? Ich meine, dass dafür vor allem zwei Dinge nötig sind. Erstens: Wir müssen als Gesellschaft zusammenhalten. Junge und Alte, Technikaffine und Technikmuffel, Facharbeiter und Uniabsolventen, Stadt- und Landmenschen dürfen sich nicht auseinanderdividieren lassen. Darum haben wir in unserem Koalitionsvertrag festgelegt, den Zusammenhalt in den Mittelpunkt zu stellen. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land! Und das schließt für mich selbstverständlich auch den Zusammenhalt als Europäer, als westliche Allianz gemeinsamer Werte, mit ein.

 

Und zweitens können wir die neue Herausforderung nicht meistern ohne Bildung. Bildung ist der Schlüssel – dieser Satz gilt mehr denn je. Bildung ist nicht nur die Basis für das Lebensglück jedes Einzelnen von uns. Sie trägt auch entscheidend dazu bei, die Lebensbedingungen in unserem Land weiter zu verbessern und uns alle fit zu machen für das digitale Zeitalter. Denn was wir gerade erleben, ist ein riesiger technologischer Sprung, vergleichbar in etwa mit der Zeit, als die Pferdekutschen von den Automobilen abgelöst wurden. Nur, dass dieser Wandel ungleich schneller vonstattengeht und wirklich alle Lebensbereiche erfasst: unsere Fortbewegung, unsere Kommunikation, unsere Arbeit. Und dass all diese Veränderungen weltweit passieren, gleichzeitig, dass wir also in Sekundenschnelle auf das Geschehen am anderen Ende der Welt reagieren können, und die anderen auf uns. In Theodor Fontanes „Der Stechlin“ springt aus der Tiefe des Sees immer dann ein sagenhafter Wasserstrahl, „wenn es draußen in der Welt, sei´s auf Island, sei´s auf Java, zu rollen und zu grollen beginnt oder gar der Aschenregen der hawaiischen Vulkane bis weit auf die Südsee hinausgetrieben wird“. Es ist dieses Gefühl, dass alles mit allem zusammenhängt, das Fontane da beschreibt. Und das sich längst materialisiert hat: Wir müssen nur unser Handy aus der Hosentasche ziehen.

 

 

Ich denke, Deutschland kann in dieser Welt einen wunderbaren Platz einnehmen. Doch dafür sollten wir aktiv werden, die Chancen nutzen und unsere Innovationen vorantreiben. Neue Ideen müssen schnell zu neuen Produkten werden: Das ist der Grund, warum wir eine Agentur für Sprunginnovationen gründen und eine Strategie für Künstliche Intelligenz vorgelegt haben. Und das ist der Grund, warum wir weiter intensiv in die Köpfe investieren wollen, in Bildung, denn Innovationsgesellschaft ist gleichbedeutend mit Wissensgesellschaft. Dazu gehört auch Chancengerechtigkeit: Der siebte Bildungsbericht im Juni hat wieder gezeigt, dass immer mehr Menschen nach guter Bildung streben – dass aber gleichzeitig die soziale Herkunft nach wie vor einen starken Einfluss auf den Bildungserfolg hat. Ich möchte mithelfen, das zu verbessern. Jedes Kind hat ein Recht darauf, den Weg zu gehen, der zu seinen Begabungen passt – unabhängig vom Geldbeutel, dem Bildungsstand, den Wurzeln oder dem Engagement der Eltern. Wir sollten jedes einzelne Kind da abholen, wo es steht. Deswegen werden wir die Ganztagsbetreuung für Grundschulkinder ausbauen, eine Initiative für Brennpunktschulen starten und das BAföG reformieren.

 

Daher liegt mir auch die kulturelle Bildung so sehr am Herzen. Sie hat in den vergangenen Jahren einen erheblichen Bedeutungszuwachs bekommen. Ob es nun der Zirkuskurs nach Unterrichtsschluss für Kinder zwischen 10 und 14 Jahren an der Gesamtschule in Greven oder ob es der Theaterferienkurs für zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Begegnungsstätte Hansaviertel ebenfalls in Greven ist, um nur zwei Beispiele aus meiner Heimatregion zu nennen, die von uns im Programm „Kultur macht stark“ gefördert werden. Junge Menschen in diesen Kursen stärken nicht nur ihre kognitiven Kompetenzen, sie lernen auch Offenheit für Neues, Gewissenhaftigkeit und Teamfähigkeit und werden sogar in der Schule besser, wie Forschungsergebnisse zeigen. Nicht zuletzt geht es auch bei kultureller Bildung um Zusammenhalt: Er wird durch ein gemeinsames kulturelles Verständnis gefestigt. Darum werden wir in dieser Legislaturperiode auch einen Schwerpunkt auf kulturelle Bildung in ländlichen Regionen legen.

 

Dabei ist kulturelle Bildung zunehmend auch digitale Bildung. Man denke nur an den Umgang mit den digitalen Medien, die längst den Alltag unserer Kinder und Jugendlichen bestimmen. Das gilt erst recht für die Schule: Unser vielleicht ambitioniertestes Projekt ist nicht ohne Grund der Digitalpakt. Mit ihm wollen wir unsere Schulen zukunftsfähig machen. Damit Schulen im digitalen Zeitalter ihren Bildungs- und Erziehungsauftrag erfüllen und Schüler auf das Leben gut vorbereiten können, brauchen sie gut ausgebildete Lehrkräfte, geeignete pädagogische Konzepte sowie eine leistungsfähige digitale Infrastruktur.

 

Die Erwartungen an den Digitalpakt sind also hoch. Bei kaum einem anderen Thema werden die Ergebnisse unserer Arbeit in der Fläche so sichtbar sein wie hier: Der Digitalpakt betrifft 40.000 allgemeinbildende und berufliche Schulen mit 11 Millionen Schülern. Ich glaube, dass es eine Verantwortungsgemeinschaft von Bund und Ländern gibt, um bestmögliche Bildung auch wirklich durchzusetzen. Schulen sind bekanntlich Ländersache. Aber es macht mir Sorgen, wenn viele Menschen in unserem Land dem Bildungsföderalismus zunehmend so skeptisch gegenüberstehen wie gegenwärtig. Diese Bedenken müssen wir ernst nehmen.

 

Wir machen Politik für die Menschen. Auf sie müssen wir hören. Deswegen setze ich mich auch für den Nationalen Bildungsrat ein. Die Kinder in Cloppenburg müssen die gleichen Bildungschancen haben wie die in Füssen, die Kinder in Aachen die gleichen wie in Görlitz. Und Kinder, die von einem Bundesland ins andere ziehen, müssen schnell schulisch den Anschluss finden. Mit dem Nationalen Bildungsrat können wir, Bund und Länder gemeinsam, zeigen, dass wir die Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen und unser Bildungswesen gemeinsam voranbringen.

 

Denn die Welt wartet nicht auf uns. Globalisierung und Digitalisierung führen dazu, dass der weltweite Wettbewerb stärker wird. Allerdings haben Einzelkämpfer auf den Weltmärkten kaum Chancen, vorne mitzuspielen. Wir brauchen Freunde, enge Partner. Daher ist mir so viel an einem starken Europa, an gemeinsamen europäischen Initiativen in Bildung und Forschung gelegen. Konrad Adenauer hat in seiner Regierungserklärung am 15. Dezember 1954 gesagt: „Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde die Hoffnung für viele. Sie ist heute die Notwendigkeit für alle.“ Wenn man mich fragt, von welchen Prinzipien ich mich bei meiner Arbeit eigentlich leiten lasse, dann gehört diese Überzeugung auf jeden Fall dazu.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 6/2018.


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