Olaf Zimmermann - 2. Juli 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Science-Fiction

Es können Wunder geschehen


Science-Fiction als Spannungsfeld zwischen dem menschlichen Hier und Jetzt und der Suche nach der Zukunft

„Wenn wir uns bemühen, können Wunder geschehen“, das sagt Captain Michael Burnham, gespielt von Sonequa Martin-Green, am Ende der dritten Staffel von „Star Trek: Discovery“, die im Januar 2021 bei Netflix in Deutsch zum ersten Mal ausgestrahlt wurde.

 

Gene Roddenberry erdachte die Fernsehserie „Star Trek“, die in Deutschland lange Zeit „Raumschiff Enterprise“ hieß. Das ZDF begann am 27. Mai 1972 mit der Ausstrahlung der Serie und seit dieser Zeit fesselt mich das Star-Trek-Universum.

 

„Der Weltraum – unendliche Weiten. Das sind die Abenteuer des Raumschiff Enterprise“, dieser Satz, die Musik, die Enterprise, wie sie durch den Weltraum gleitet, all dies begleitet mich seit meinen Kinderjahren.

 

Ja, ich bekenne, ich bin ein Star- Trek-Fan. Captain Kirk, dem Vulkanier Spock, Pille, später Captain Jean-Luc Picard, Commander William T. Riker, Commander Data, dem Android, die Besatzung der Voyager mit der Wissenschaftsoffizierin Seven of Nine, einer ehemaligen Borg-Drohne und heute die Discovery mit der Protagonistin Sternenflotten-Offizierin Michael Burnham, sie alle faszinieren mich seit meiner Kindheit und diese Faszination hält bis heute an.

 

Als Anfang der 1960er Jahre Geborener gehört der Aufbruch in den Weltraum zu den positiven Erinnerungen meiner Kindheit. Sehr genau erinnere ich mich an die Mondlandung, natürlich in schwarz-weiß, aber höchst aufregend. Ich durfte auf dem Schoß meines Großvaters nicht nur die Landung selbst, sondern auch die Sondersendung, natürlich nur teilweise, sehen. Der Journalist Günter Siefarth moderierte damals 28 Stunden lang live aus dem „WDR-Apollo-Studio“. Die Fernsehübertragung der Mondlandung 1969 war ein gigantisches Medienereignis. Mehr als die Hälfte aller damals auf der Welt existierenden Fernsehsender waren zugeschaltet und mehr als eine halbe Milliarde Menschen schauten sich das Ereignis im Fernsehen an.

 

Ich denke, damals, 1969 wurde meine Liebe zur Science-Fiction geweckt.

Nach dem Sputnik-Schock hatten die USA nicht nur in die Weltraumforschung investiert, sondern auch ein großes Bildungsprogramm aufgelegt, um mehr Menschen den Zugang zu höherer Bildung zu ermöglichen und sie für Zukunftsaufgaben zu qualifizieren. In Deutschland starteten Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre ebenfalls Bildungsreformen, um die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen zu erweitern und vor allem um mit Bildung und Forschung den Vorsprung des westlichen Kapitalismus zu sichern.

 

Zukunft war positiv besetzt. Die Welt sollte besser werden, moderner, fortschrittlicher. Wissenschaften, insbesondere die Naturwissenschaften, sollten den Weg in die Zukunft bahnen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Science-Fiction-Genre in jener Zeit einen besonderen Aufschwung erlebte und mit Fernsehserien massenkompatibel wurde. Science-Fiction war auch ein Teil des Kampfes der Systeme, Ost gegen West, Kapitalismus vs. Kommunismus.

 

Doch ist das Science-Fiction-Genre wesentlich älter als die erwähnten US-amerikanischen Serien. Als erster Science-Fiction gilt gemeinhin Mary Shelleys „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ aus dem Jahr 1818. Der von Menschen geschaffene neue Mensch erweist sich nicht zuletzt aufgrund seiner hässlichen Gestalt als Monster, da ihm nur Entsetzen entgegengebracht wird. Shelleys Frankenstein reiht sich damit ein in die romantische Dichtung der damaligen Zeit, in der sogenannte Automaten, wie beispielsweise in der Erzählung „Der Sandmann“ von E.T.A. Hoffmann, eine wichtige Rolle spielen.

 

Die Erschaffung von künstlichen Menschen, Automaten, ist eines der zentralen Motive des Science-Fiction-Genre, sowohl was die Literatur, aber auch den Film betrifft. Zu denken ist etwa auch an Ridley Scotts „Blade Runner“. Ein zentrales Motiv dieses Films ist, dass die Replikanten, eigentlich nur geschaffen, um zu arbeiten und mit einer kurzen Lebenszeit von vier Jahren versehen, auf der Suche nach ihrer Vergangenheit sind. Ihnen wurden bei ihrer Erschaffung Erinnerungen an Ereignisse implantiert, die sie nie erlebt haben, die sie aber brauchen, um auch als Android lebensfähig zu sein.

 

Faszinierend an Science-Fiction ist meines Erachtens gerade dieses Spannungsfeld zwischen dem menschlichen Hier und Jetzt, der Sehnsucht und der Suche nach der Zukunft, die stets zwischen Utopie und Dystopie schwankt. Science-Fiction sind in den seltensten Fällen nur eins, nur Utopie oder nur Dystopie. In der Regel vermischen sich beides miteinander. In Science-Fiction werden nicht selten gesellschaftliche Herausforderungen sehr früh durchgespielt. Im Film „Lautlos im Weltraum“ von 1972 treiben vier Raumschiffe mit riesigen Gewächshauskuppeln als eine Art Arche Noah durch den Weltraum, um die letzten Biotope der verseuchten Erde zu erhalten. Dann kommt der Befehl von der Erde, die Gewächshäuser abzusprengen. 50 Jahre später hat der Klimawandel aus der Fiction, bittere Realität werden lassen. Die wunderbare Joan Baez sang das Titellied „Rejoice in the Sun“ zum Film und machte die Mischung aus Utopie und Dystopie damit eindrücklich deutlich.

 

Auffallend an Science-Fiction ist, dass Kunst und Kultur als Thema selten vorkommen. Gerade die Raumschiffe sind entweder düster oder steril, oder beides. Es fehlen die Farben, Bilder, Kunst. Eine Ausnahme bildet die Star-
Trek-Serie und dies könnte auch ein Teil ihres Erfolges sein. Insbesondere in der zweiten Serie unter Captain Jean-Luc Picard spielt Kunst eine wichtige Rolle. Picard selbst ist herausragender Kenner Shakespeares und anderer Klassiker und tanzt gerne. Commander William T. Riker spielt Posaune und der Android Data, versucht sich im Bilder malen, Musizieren, Theaterspielen und der Rezitation von Literatur, um seinem Traum menschlicher zu werden näher zu kommen. In „Star Trek: Raumschiff Voyager“ singt der Schiffsarzt, ein Hologramm, fast unentwegt.

 

Es können Wunder geschehen! Science-Fiction bilden die Traumwelten, in denen das möglich ist. Deshalb liebe ich dieses Genre.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 7-8/2021.


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