Sven Scherz-Schade - 29. Juni 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Landeskulturpolitik

Sachsen: Solidarische Kulturfinanzierung


Sachsen: Kulturpolitik und deren Zukunft

Sachsen

  • Landeshauptstadt: Dresden
  • Gründung: 3. Oktober 1990
  • Einwohner: 4,07 Mio.
  • Fläche: 18.420,15 km²
  • Bevölkerungsdichte: 221 Einwohner pro km²
  • Regierungschef: Stanislaw Tillich (CDU)
  • Regierende Parteien: CDU und SPD
  • Nächste Wahl: Sommer 2019
  • Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst: Eva-Maria Stange (SPD)
  • Öffentliche Ausgaben für Kultur:  666,9 Mio. Euro/Jahr
  • Kulturausgaben je Einwohner: 164,50 Euro/Jahr
  • Kommunalisierungsgrad: 47,8 %

Der Zwinger, das Gewandhaus, die Semperoper … Ohne Zweifel ist Sachsen Kulturstaat! Dass Kultur Staatsziel ist, steht in der Landesverfassung des Freistaates. Und dass man eine „Kultur der Weltoffenheit, Pluralität und Toleranz“ als Voraussetzung für eine lebendige Kulturpolitik schafft, steht im sogenannten Kultur-Kompass. Diesen Wegweiser für die Kulturentwicklung in Sachsen hatte das Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst 2009 herausgegeben, damals auf Anregung der Bundestags-Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“. Ohne Zweifel ist Sachsen aber vor allem ein Kulturstaat, der neben seinen beispielsweise eingangs genannten Leuchttürmen eben auch die Fläche im Blick hat.

 

„Wir sind ja gesegnet mit dem Kulturraumgesetz“, stellt Franz Sodann, kulturpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Sächsischen Landtag, grundsätzlich fest. Das Kulturraumgesetz stellt sicher, dass der Freistaat auch die „ländlichen Kulturräume“ mit Kulturförderung versorgt und tatsächlich konnte nach der Wende durch das Kulturraumgesetz vieles erhalten und gerettet werden. Seit 2008 ist das Gesetz nun landespolitisch entfristet. Es gilt sozusagen „für alle Zukunft“ und wenn man von kulturpolitischen Herausforderungen im Freistaat Sachsen sprechen will, dreht sich früher oder später eigentlich alles um dieses solidarische Prinzip der Kulturraumfinanzierung. Franz Sodann hat beim Blick in die Zukunft berechtigte, weitblickende Sorge, was das Kulturraumgesetz, kurz KRG, anbelangt. Doch fairerweise muss man sich zunächst einmal die Vorzüge vergegenwärtigen, die mit dem kulturpolitischen Kurs der Kulturräume einhergehen.

 

Weil nichts auf ewig hält, wurde beim Kulturraumgesetz eine verpflichtende Evaluierung festgeschrieben, die im Turnus von sieben Jahren zu erfolgen hat. Eine solche Evaluierung ist vor Kurzem erst abgeschlossen worden und in den Fraktionen werden derzeit die Ergebnisse dieser Bewertung diskutiert. Mehr Geld… das zumindest erscheint parteiübergreifend einhellig. „Im Koalitionsvertrag haben wir dazu schon Aussagen gemacht. Die Summe muss erhöht werden“, sagt Aline Fiedler, Sprecherin für Wissenschaft, Kultur und Medien der CDU-Fraktion im Landtag. Derzeit stehen 91,7 Millionen Euro zur Verfügung. Davon bekommen etwas mehr als die Hälfte die urbanen Zentren, also Leipzig, Chemnitz und Dresden, die andere Hälfte wird auf die fünf ländlichen Kulturräume ausgeschüttet. Dies sind Vogtland-Zwickau, Erzgebirge-Mittelsachsen, Leipziger Raum, Meißen-Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, Oberlausitz-Niederschlesien. Die letzte Erhöhung der KRG-Mittel fand im Doppelhaushalt 2015/16 statt, damals um fünf Millionen Euro. Und Aline Fiedler verweist stolz darauf, dass nun abermals weitere drei Millionen Euro anvisiert seien. So gesehen: Die Zeichen stehen gut. Aber stehen sie auch gut genug, wenn man an die längerfristige Zukunft denkt?

 

Aline Fiedler geht die Frage recht pragmatisch an und verweist auf das Stichwort »Mobilität«. Die Möglichkeiten, die Menschen aus der Fläche, das Publikum zum Beispiel via Theaterbus zu den Spielstätten zu bringen, seien in Sachsen längst nicht ausgeschöpft. Oder umgekehrt, dass Ensembles mehr Gastspielvorstellungen in der unmittelbaren Region geben. Fiedler: „Oft gibt es das Problem etwa im Kinder- und Jugendtheaterbereich. Da bestehen tolle Angebote. Aber niemand finanziert den Bus, der die Kinder vom Land dort hinbringen würde.“ Wie sich sowas kulturpolitisch konkret regeln lässt, überlegt sich Aline Fiedler. Wirklich spruchreife Lösungen gibt es noch nicht, was – nachgefragt nach Herausforderungen der Zukunft – vollauf ok ist. Sie und die CDU-Fraktion arbeiten sich momentan an der Diskussion ab, ob das Thema kulturelle Bildung ins Kulturraumgesetz mit aufgenommen werden soll. In den letzten Jahren wurde viel über die weitreichende Bedeutung der kulturellen Bildung debattiert und ohne besondere gesetzliche Reglementierung haben auch viele Kulturinstitutionen oder Gruppierungen bereits von sich aus Angebote dazu ins Leben gerufen. Fiedler: „Wir haben in der Fraktion noch keine abschließende Meinung dazu. Ich persönlich hätte eine große Sympathie dafür, so eine Formulierung für die kulturelle Bildung im Kulturraumgesetz mit aufzunehmen.“

Bei der Linksfraktion sieht Franz Sodann mit gewisser Sorge in die Zukunft. Für ihn besteht dringender Handlungsbedarf. Status Quo und Realität der kulturellen Infrastruktur im Freistaat bewertet er zum Großteil mit Blick auf den Arbeitsmarkt Kultur. Sodann: „Ja, die Kulturraummittel wurden unlängst erhöht. Davor gab es aber jahrelang nichts! Das bleibt alles hinter den allgemeinen Tarifsteigerungen weit zurück“. Sodann argumentiert wie ein gewerkschaftlicher Verfechter des Mottos: Eine zukunftsfähige Kulturlandschaft muss auch faire Arbeitsverhältnisse, faire Löhne und Honorare bieten. „Die Tarife des Öffentlichen Dienstes sind in den letzten zehn Jahren um 33 Prozent gestiegen“, sagt er. „Ich will da überhaupt nicht meckern, die sollen das haben! Aber die meisten Theater in der Fläche arbeiten mit Haustarifverträgen und fallen davon weit, weit ab.“ Im Kulturraum Leipziger Land beispielsweise gibt es das Leipziger Symphonieorchester Böhlen, das seit 1995 keine Steigerung erhalten hat, dort wird momentan bei 65 Prozent unter Tarif, das wäre TVK D, gearbeitet, ähnlich ist die Situation bei der Sächsischen Bläserphilharmonie Bad Lausick. Die Gegenwarts- und Zukunftsfrage für Sodann heißt schlichtweg: Wie schaffen es Leute im Kulturbereich, von ihrer Arbeit zu leben? Es geht nicht um sozialromantisch verklärte „Hungerkünstler“ oder „Bohemiens“, sondern um die ganz normale bürgerliche Existenz. Betroffen sind etwa Mitarbeiter im soziokulturellen Bereich oder sämtliche Lehrkräfte an den Musikschulen und Museumspädagogen. Mitunter sind die Menschen mit freiberuflicher künstlerischer Haupttätigkeit gar nicht klar zu fassen. Von denen, die aus ökonomischen Gründen zur nebenberuflichen Tätigkeit gezwungen sind ganz zu schweigen. Da bilden die Mitarbeiter an Theatern und Orchestern eine regelrecht homogene und gut definierte Gruppe.

 

„Wir müssen raus aus den Haustarifverträgen“, sagt Sodann. „Allein um die Theater und Orchester in den ländlichen Räumen aus den Haustarifverträgen herauszubekommen, bräuchte es einen Aufwuchs von mindestens neun bis zwölf Millionen Euro.“ Dann könnten Schauspieler, Tänzer und Musiker wieder nach Tarif bezahlt werden. Die von Sodann genannte Summe ist im Kulturbereich viel Geld. Bezogen auf den Gesamthaushalt ist sie allerdings ein Klacks. Die derzeitigen Kulturraummittel machen 0,5 Prozent des sächsischen Haushalts aus.

 

Doch neben den quantitativen Kritikpunkten am lieben Geld, sieht der in die Kulturpolitik gewechselte Schauspieler Franz Sodann bei allen Vorteilen des Kulturraumgesetzes auch qualitative Mängel. Das wiederum ist politisch schwierig zu vermitteln und zu erklären. Aber es gibt sie, die negativen Wirkungen des Kulturraumgesetzes. Franz Sodann fasst das so zusammen: „Die Staatsregierung nimmt sich zu sehr aus der Verantwortung.“ Und dann erklärt er seinen Gedankengang: Die Kulturräume genießen große Autonomie, das heißt, sie dürfen mit den ihnen zugewiesenen Mitteln in der Kulturförderung machen, was sie wollen. In den letzten Jahren sei nun aber in die Kulturräume alles Mögliche reingefrachtet worden, was zu kulturellen Verzerrungen führt. „In den städtischen Kulturräumen wirkt sich das nicht so sehr aus. Die Millionen kommen dort an, verschwinden im Stadthaushalt und werden im Kulturetat wieder ausgeschüttet.“ Anders sei es hingegen in den ländlichen Regionen. Die Verteilung der KRG-Gelder verläuft wie folgt: Der ländliche Kulturraum, der aus je zwei Landkreisen besteht, erhält seine Landeszuweisung über die KRG-Mittel.

 

Jeder Landkreis muss zudem eine Kulturumlage bezahlen, die in die Kulturkasse einfließt. Es gilt: Nur Anliegen von regionaler Bedeutsamkeit dürfen über das KRG gefördert werden. „Es gibt aber keine Definition zur regionalen Bedeutsamkeit“, sagt Franz Sodann und gibt ein Beispiel. Eine Kommune kann oder will seine Heimatstube, sprich sein Museum zur Ortsgeschichte, nicht mehr finanzieren. Deshalb greift es zu Mitteln aus dem Kulturraumtopf. Prinzipiell ist das gut, weil das Museum finanziell „gerettet“ ist. Aber als Bedingung muss nun jenes Heimatmuseum irgendwie inhaltlich erweitert werden, um zur regionalen Bedeutsamkeit zu gelangen. Umgekehrt wollen natürlich viele kleine Kultureinrichtungen, um zu „überleben“, gerne ran an die KRG-Mittel und jene vermeintliche „regionale Bedeutsamkeit“ – was und wie weitreichend auch immer das sein mag – erlangen. Kurzum: Sodann sieht die Gefahr, dass die Kulturräume überlastet werden: „Man finanziert nicht nur Theater und Orchester über diese Mittel, sondern auch Museen, Bibliotheken, soziokulturelle Zentren, Musikschulen und zum Teil auch zoologische Gärten. Dafür ist das Geld wirklich zu wenig.“ Darüber hinaus wirkt das Kulturraumgesetz langfristig deregulierend, denn wie gesagt, die Kulturräume sind in der Entscheidung, was sie mit dem Geld anstellen, autark. Damit sind sie aber auch alleine, wenn nicht gar allein gelassen. Sodann: „Ein Landesentwicklungskonzept Kultur wird nicht gewollt. Jedoch sehen wir großen Bedarf an einer landesweiten kulturpolitischen Diskussion über die Zukunft der sächsischen Kunst und Kultur.“ Denn trotz „Staatsziel Kultur“ in der Verfassung gibt die Landespolitik durch das Solidarmodell vermehrt direkte Kulturfördermöglichkeiten ab. Sachsens kulturpolitische Herausforderung bleibt auch in Zukunft etwas komplizierter.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 4/16 erschienen.


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