Sven Scherz-Schade - 29. August 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Landeskulturpolitik

Rheinland-Pfalz: Kulturpolitik mit der Ampel


Rheinland-Pfalz und seine kulturpolitischen Herausforderungen

Rheinland-Pfalz

  • Landeshauptstadt: Mainz
  • Gründung: 30. August 1946
  • Einwohner: 4,05 Mio.
  • Fläche: 19.854,21 km²
  • Bevölkerungsdichte: 204 Einwohner pro km²
  • Regierungschefin: Malu Dreyer (SPD)
  • Regierende Parteien: SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen
  • Nächste Wahl: Sommer 2021
  • Minister für Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur: Konrad Wolf (parteilos)
  • Öffentliche Ausgaben für Kultur: 269,4 Mio. Euro/Jahr
  • Kulturausgaben je Einwohner: 67,52 Euro/Jahr
  • Kommunalisierungsgrad: 56,0 %

Alles ist noch ganz frisch und neu in dieser 2016 gebildeten rot-gelb-grünen Koalition in Rheinland-Pfalz und auch Marion Schneid, neu im Amt als kulturpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, muss sich vorerst noch ein bisschen orientieren. Opposition gegen eine Ampel, in der ein parteiloser Minister über Wissenschaft, Weiterbildung und eben auch Kultur regiert. Von außen betrachtet steht so viel schon mal fest: Kulturpolitik steht im neuen Mainzer Landtag weder an allererster Stelle, noch wird sie parteipolitisch besonders kontrovers gestaltet. Von der neuen AfD im Landtag einmal abgesehen. Wobei: Wegsehen geht gar nicht!

 

Denn im Juni meldete sich ein dreister AfD-Abgeordneter, Damian Lohr, mit einer kleinen Anfrage zu Wort, wie hoch denn die Kosten und Gesamtausgaben der Produktion „Lieder aus der Fremde“ der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz seien? Die politische AfD-Stoßrichtung ist widerwärtig. Man kann sie als Angriff auf die Kunstfreiheit und die freie Spielplangestaltung der staatlichen Kultureinrichtungen auslegen. Denn die AfD hat hier rechtspopulistisch ihre parlamentarischen Möglichkeiten genutzt, nach dem simpel nörgelnden Spießbürgermuster („Und das von unseren Steuergeldern!“) eine Produktion zu hinterfragen, die ihr inhaltlich schlichtweg nicht passt. Das Auftragswerk, das von Komponist und Musiker Mehmet Cemal Yeşilçay und Autorin und Schauspielerin Anja Kleinhans geschaffen wurde, erzählt unter anderem die Geschichte eines syrischen Mädchens, das flüchtet und nach Deutschland kommt. Das Orchester musizierte bei der Aufführung in orientalisch erweiterter Besetzung. Als Schirmherrin fungierte die Ministerin für Integration, Anne Spiegel von Bündnis90/Die Grünen – und eben nicht der parteilose Kulturminister. Die Produktion soll in Zukunft für Schulen, Schülerinnen, Schüler und die Jugend gezeigt werden. All das war der AfD unlieb. Deshalb ihre Anfrage im Parlament.

 

Mit solcher frechen und schamlosen Einmischung muss sich die Kulturpolitik in Rheinland-Pfalz herumschlagen. Das kittet zwar – wie die Reaktionen und Statements diesen Sommer zeigten – Ampel und CDU zusammen. Doch den tatsächlichen kulturpolitischen Herausforderungen ist damit überhaupt nicht geholfen. Wie gesagt: Die gewählten Akteure im neuen Landtag orientieren sich noch. Am liebsten würden sie ihre Themen so sortieren, damit sie sich „profilieren“ und ihrer Fraktion ein kulturpolitisches Gesicht verleihen können. Das allerdings ist schwierig. En gros steht man auf einem gemeinsamen Nenner. „Wir müssen es schaffen, dass Kultur nicht nur als schönes Beiwerk gesehen wird, sondern als wirklich wichtige Aufgabe des gesellschaftlichen Zusammenlebens“, sagt z. B. Marion Schneid von der CDU.

 

Rheinland-Pfalz, das ist das Kulturland mit z. B. – um in unterschiedlichsten Trägerschaften mal einige zu nennen – dem Gutenberg-Museum in Mainz, dem Technik-Museum in Speyer, dem Karl-Marx-Haus in Trier, dem Pfalztheater Kaiserslautern oder dem Festival des deutschen Films in Ludwigshafen. Letzteres fand dieses Jahr zum zwölften Mal statt und hatte mit 112.000 Besuchern in 245 Vorstellungen und zahlreichen Gesprächsrunden ein Rekordergebnis eingefahren. So ein Erfolgskurs fordert weitere kulturpolitische Ausgestaltung. Eventuell könnte Ludwigshafen am Rhein und Umgebung, die von der Metropolregion Rhein-Neckar gGmbH beworben und vermarktet wird, zu einem mit Berlin-Potsdam konkurrenzfähigen oder sinnvoll ergänzenden Filmstandort entwickelt werden. Allerdings hört man derartig konkrete Vorhaben seitens der parlamentarischen Kulturpolitik nicht oder noch nicht. Denn wie gesagt: Man orientiert sich. Marion Schneid: „Wir als Opposition werden in den Haushaltsberatungen Anträge stellen und Akzente setzen.“ Genauer geht es momentan nicht.

 

Da gilt fraktionsübergreifend erstmal, dass die bestehende Förderung der großen Kultureinrichtungen beibehalten werden soll, auf dass die Kulturlandschaft mindestens so vielfältig bleibt wie sie ist. Und auch die nicht-institutionell geförderten Projekte und kleineren Programme sollen ausreichend abbekommen.

 

Jetzt im Spätjahr 2016 wird in Rheinland-Pfalz im Zuge der Haushaltsberatungen der Etat neu aufgestellt. „Da sind wir gespannt, was der Finanzminister uns für Möglichkeiten lässt“, sagt Helga Lerch, kulturpolitische Sprecherin der FDP-Fraktion. Weil das Land aufgrund der Schuldenbremse bis 2020 einen ausgeglichenen Haushalt schaffen muss, bewegt sich auch die Kulturpolitik unter einer quasi Haushaltssperre! „Das engt uns gewaltig ein“, sagt Helga Lerch und sie verweist auf den generellen Erfolg, dass im Ampel-Koalitionsvertrag zumindest grundsätzlich der „hohe“ Stellenwert der Kultur in Rheinland-Pfalz formuliert wurde. Einvernehmlich zwischen Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen wurde festgestellt, dass man sich auf Artikel 40 in der Landesverfassung „Förderung von Kunst und Kultur“ einschwört. Danach verpflichten sich alle, d. h. das Land, die Gemeinden und Gemeindeverbände, ein vielfältiges Kulturangebot mit Orchestern, Theatern, Museen, Bibliotheken usw. zu erhalten. Helga Lerch: „Die Kulturlandschaft soll weiterentwickelt werden. Dazu gehört auch, dass wir an die Kommunen appellieren. Sie sollen sich auch in der schwierigen Haushaltslage den kulturellen Angelegenheiten nicht verschließen.“


Von Landesseite aus sagt sich das leicht. Selbst kleine Gemeinden sind in Rheinland-Pfalz verschuldet. Der Veranschaulichung wegen einfach mal das Beispiel Jockgrim in der Südpfalz: 7.500 Einwohner und 14,5 Millionen Euro Schulden! Jockgrim hat viele Naherholungsgebiete und wenig Gewerbeflächen. Ergo hat die Kommune wenige Einnahmen. Lang, lang ist’s her, als in Jockgrim 1989 ein internationales Bildhauersymposium stattfand und ein Teilstück des Skulpturenwegs Rheinland-Pfalz geschaffen wurde. Nein, an solche künstlerisch-professionellen Kultur-Highlights ist dort derzeit nicht zu denken. Vorrangig bestimmen – auch das ist gut, richtig und wichtig – Ehrenamt und Laienkunst die Kultur in jener Ortsgemeinde, so bei der 750-Jahr-Feier letztes Jahr. Das Ziegeleimuseum vor Ort, Träger ist die Verbandsgemeinde, würde gern mehr machen und die Öffnungszeiten erweitern. Doch es fehlt am Budget. So sieht’s aus. Und nun kommt der Appell aus der Ampel-Koalition: Investiert auch in Kultur! In der Koalitionsvereinbarung auf Seite 131 formuliert liest sich das so: „Aus diesem Grund stellt eine nachhaltige Finanzierung von Kultureinrichtungen und kulturellen Aktivitäten für die Kommunen eine freiwillige, aber unverzichtbare Aufgabe dar, die auch in schwierigen Haushaltslagen möglich sein muss.“

 

So hört sich ein gemeinsamer Nenner an, auf den sogar Marion Schneid von der CDU zählt, wobei sie schon mal anmerkt: „Die Regierungskoalition hat aber die herausragende Bedeutung der Kulturförderung nicht konkret hinterlegt. Sie haben keine Beispiele genannt, wo sie mehr Gelder reingeben oder mehr Förderung anbieten würden“, kritisiert Marion Schneid. Einzig die Zusammenarbeit zwischen Musikschulen und Erziehern sei hierbei genannt worden, damit mittels der Weiterbildungsstaffel „Muki – Kinder singen und musizieren“ eine bessere musikalische Vorbereitung von Kindern im Kindergartenalter forciert werden kann. Schneid: „Das ist ohne Zweifel wichtig, war mir aber für einen Koalitionsvertrag zu wenig. Was den Bereich Bildung angeht, war viel mehr als in der Kultur genannt.“

 

Auch Helga Lerch gibt zu, dass die kulturpolitische Ausrichtung angesichts der Haushaltslage jetzt zaghaft angelaufen ist. Aber: Das rein pragmatische Vorgehen kann auch Vorteile mit sich bringen, sodass man nicht leeren Versprechungen hinterherjagt. Auch was die Kulturförderung im Einzelnen angeht, muss man sich zunächst einmal orientieren und die Kulturförderins­trumente überprüfen. Lerch: „Wir haben die Kulturstiftung des Landes im Auge, die sehr projektbezogen und auch institutionell fördert und Stipendien vergibt. Die Kulturstiftung wollen wir weiter pflegen und ausbauen. Wichtig ist uns die Verzahnung von Bildung und Kultur.“

 

Tatsächlich gab und gibt es auch in Rheinland-Pfalz viele Initiativen zur kulturellen Bildung, auch mit Kindern und Jugendlichen. Das Problem: Viele Projekte hatten Modellcharakter und erhielten dadurch eine Anschubfinanzierung. Wenn nun diese Mittel verzehrt sind, fehlt den Kulturmachern die Perspektive für die Zukunft. Hier Transparenz und eine gewisse gerechte Ordnung zu schaffen, wäre ein hehres Ziel für das gesamte Bundesland. „Kulturförderung ist dabei wie eine Tischdecke, an der jeder zieht“, drückt es Marion Schneid metaphorisch aus: „Nur wird die Tischdecke dadurch nicht größer.“ Ob als langfristiges Vorhaben ein landesweit zu verabschiedendes Kulturfördergesetz hier helfen würde, mag die Abgeordnete heute noch nicht einschätzen. Durch ein neues Gesetz kommt ja nicht mehr Geld in die Kasse, wird das Tischtuch auch nicht größer. Innerhalb wie außerhalb der Koalition gilt, dass das letzte Wort das Finanzressort hat, damit Sparen und Ausgeben im ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen.

 

Unterdessen wird die Landesregierung ein wichtiges Vorhaben forcieren: Die sogenannten SchUM-Städte, so werden in jüdischen Quellen die drei Rheinstädte Speyer, Worms und Mainz bezeichnet, sollen in die UNESCO Welterbe-Liste aufgenommen werden. Speyer, Worms und Mainz sind kulturgeschichtlich seit dem frühen Mittelalter für das nordeuropäische Judentum von großer Bedeutung. Das jüdische Ritualbad in Speyer oder der große jüdische Friedhof in Worms sind z. B. wichtige Kulturdenkmale, die an diese Vergangenheit erinnern. Helga Lerch befürwortet den Antrag des Landes und der SchUM-Städte voll und ganz: „Das würde jüdische Geschichte im Selbstverständnis des Landes Rheinland-Pfalz gut verankern“, sagt sie. Die Bemühungen zur Aufnahme ins Welterbe laufen bereits seit 2012, eine endgültige Entscheidung der UNESCO wird frühestens 2019 erwartet.

 

Der Text ist zuerst in Politik & Kultur 5/16 erschienen.


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